Internationales

Indonesien:

Pogrome auf Bestellung

Ausgebrannte Geschäfte, verkohlte Ruinen eines Einkaufzentrums, ein rußgeschwärztes Skelett eines Minibusses an einer belebten Kreuzung. Jakarta Anfang August. Allenthalben stößt der Beobachter auf Spuren der Unruhen, die am 13. und 14. Mai Jakarta und andere indonesische Großstädte erschütterten und mit zum Rücktritt des Diktators und Kohl-Freundes Suharto führten. Doch was sich für den außenstehenden Beobachter zunächst als spontanes Aufbegehren darstellte, scheint bewußt provoziert, wenn nicht gar initiert gewesen zu sein.

Ziel der Plünderer waren fast ausschließlich chinesische Geschäfte und Häuser. Unter den über 1.200 Todesopfern der Ausschreitungen haben sich zahlreiche Angehörige der chinesischen Minderheit befunden. Organisierte Banden, daran scheint es inzwischen keinen Zweifel mehr zugeben, haben die Plünderungen und Brandschatzungen angestiftet und gezielt chinesische Frauen und Mädchen vergewaltigt.

Der Schrecken über die Geschehnisse sitzt tief, sowohl bei der acht Millionen Köpfe zählenden chinesischen Gemeinde, als auch bei den demokratischen Oppositionellen. Der Ruf nach einer Untersuchungskommission wurde laut, um die Hintergründe aufzuklären. Ende Juli gab die Regierung dem Drängen nach und bestellte ein Gremium, dem auch einige anerkannte Menschenrechtler angehören. Letzte Woche nahm die Kommission ihre Arbeit auf.

Doch ob mit den Generälen, die ebenfalls berufen wurden, nicht der Bock zum Gärtner gemacht wird, ist zumindest eine offene Frage. Zahlreiche Augenzeugen sprechen davon, daß Soldaten oftmals tatenlos dem Geschehen zugeschaut, wenn sie nicht gar Plünderer angestachelt haben.

Schwierig wird es außerdem sein, überlebende Opfer zur Aussage zu bewegen, denn noch immer haben die meisten Angst, offen über die Vorfälle zu sprechen. Kein Wunder in einer Atmosphäre, in der neben kritischen Stellungnahmen in den Zeitungen auch Beiträge zu finden sind, die den Chinesen erklären, selbst Schuld zu sein. Besonders dreist treibt es Lukman Harun, ein hoher Politiker der regierenden Golkar-Partei Habibies und Suhartos. In aller Öffentlichkeit spekuliert er darüber, ob jemand in Mitten von Schießereien und Brandschatzungen überhaupt ein "sexuelles Bedürfnis" entwickeln könne. Die Menschenrechtler sollten endlich Beweise vorlegen und aufhören, den Fall zu politisieren. Die Einschüchterung verfängt. Vor allem fernab der Hauptstadt, dort, wo die politische Öffnung weniger weit gediehen ist, tut man sich schwer, öffentlich über die Tage im Mai zu sprechen. In Surabaya, der zweitgrößten Stadt des Landes, mag sich selbst die Vorsitzende der People Movement for Humanity nicht konkret gegenüber Journalisten äußern. Erst Stunden vor dem Gespräch hatte sie eine Vorladung von der Polizei bekommen. Ihre Gruppe, ein Bündnis verschiedener Frauenorganisationen, betreut die Opfer von Vergewaltigungen. Einige Tage zuvor hatte in der gleichen Stadt die Polizei Pinky Irwan, einen konfuzianischen Gelehrten, verhört. Eindringlich war er gewarnt worden, seine Behauptungen über die Vergewaltigungen zu beweisen, andernfalls müsse er mit einer Anzeige wegen Aufwiegelung rechnen. In einem Land, in dem noch vor wenigen Monaten Oppositionelle verschwanden und in dem noch immer gefoltert wird, eine massive Drohung.

Beim neugegründeten Surabayaer Verein gegen Diskreminierung ist etwas mehr zu erfahren. In der westjawanischen Stadt haben sich in der Nacht vom 14. auf den 15.5., so ein Sprecher, nur einige Hundert an Ausschreitungen beteiligt. Die seien von einer Gruppe Maskierter, offensichtlich Fremde, angeleitet worden. Morde habe es keine gegeben, aber bisher seien 16 Vergewaltigungen bekannt. Mit den Pogromen habe man der Opposition den Wind aus den Segeln nehmen wollen, was zumindest in Surabya nicht gelungen ist, denn am Tag darauf haben 400 bis 500.000 unter dem Motto "Für Reformen, gegen Gewalt" demonstriert.

Andernorts ging es nicht so glimpflich ab. In Jakarta beteiligten sich über die ganze Stadt verteilt Hunderttausende an den Plünderungen, berichtet Fay vom Volunteer Team, einem Bündnis von Menschenrechtsgruppen. Wie viele andere habe auch er zuerst an einen spontanen Ausbruch geglaubt, denn chinesische Geschäftsleute sind allgemein verhaßt. Doch nach und nach hat sich aus Augenzeugenberichten ergeben, daß überall nach dem gleichen Schema vorgegangen wurde: Den Anfang machten jeweils Gruppen von sehr jungen Männern, die in Bussen oder gar auf Armeelastwagen angefahren kamen. Passanten haben sich dann angeschlossen oder auch nur zugeschaut.

Wie das Militär, das sonst bei jedem Streik eingreift. Zahlreiche Augenzeugen und Opfer berichten, daß Soldaten nichts gegen Plünderungen unternommen haben, außer in Fällen, wo reiche Chinesen für ihren Schutz zahlen konnten (ein Panzer kostetet 1.000 Dollar pro Tag). Erst als Geschäfte schon brannten, sollen sie in mehreren Fällen Plünderer mit Schüssen in die Flammen zurückgetrieben haben. Unter den 1.200 Opfern in Jakarta, so Didieck Trisasongko von der Menschenrechtsgruppe LBH, sind also auch viele Mitläufer.

Pogromstimmung in Jakarta

Vergewaltigungen, meint Fay, sind erst nach ca. einer Woche langsam bekannt geworden. Die hätten sich eher abseits des Geschehens ereignet. Es gebe Berichte, wonach Anführer die Gruppen auf chinesiche Wohnhäuser hingewiesen und Aufforderungen gerufen haben, indonesische Frauen zu verschonen. 168 Fälle von Gruppen-Vergewaltigungen seien bisher bekannt, 20 Opfer seien ermordet worden oder an ihren Verletzungen gestorben. Aber das sei wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges. Viele Opfer würden sich aus Scham und Angst nicht melden. Manche der wohlhabenderen Familien haben ihre Töchter zudem ins Ausland geschickt, und vor allem der arabischen Minderheit, die im geringeren Umfang ebenfalls betroffen war, fällt es schwer, über das Vorgefallene zu sprechen.

Gewalt gegen Frauen, meint Gema Sukma, die in Surabaya Psychologie lehrt, ist in Indonesien weit verbreitet. Und seit den Mai-Pogromen nimmt sie besonders oft rassistische Formen an. Häufig höre sie in den letzten Monaten von ihren chinesischen Studentinnen, daß sie von fremden Männern auf der Straße oder im Bus beleidigt und bedroht würden, oft mit direkter Anspielung auf die Mai-Unruhen.

Die Provokateure konnten also auch dort, wo es vergleichsweise ruhig blieb, auf Wohlwollen von zumindest einem Teil der Bevölkerung zählen. Das ist nicht unbedingt erstaunlich, denn der antichinesische Rassismus ist in der indonesischen Bevölkerung tief verwurzelt. Selbst mancher Oppositioneller versucht, das mit dem Hinweis auf die reichen chinesischen Geschäftsleute zu verharmlosen, und übersieht dabei, daß diese nur eine Minderheit in der Minderheit darstellen, daß viele arme Chinesen in den Slums und auf den Dörfern genauso hungern, wie ihre Nachbarn. "Erst gestern", erzählt Ali Sugondo von der chinesischen Gemeinde in Surabaya, "habe ich in der Zeitungen einen Bericht von einem chinesischen Farmer in Kalimantan gelesen, der sich aus Verzweiflung umgebracht hat."

Der Rassismus erklärt sich also weniger aus sozialen Differenzen als aus einem aggressiven, Homogenität fordernden Nationalismus, der im übrigen auch andere Gruppen zu assimilieren versucht, etwa die Osttimoresen oder die Papuer in Irian Jaya. Bereits der blutige Militärputsch Suhartos 1965 war von antichinesischen Pogromen begleitet. Die indonesischen Chinesen, berichtet Sogundo, galten als potentielle Kommunisten. Seit 1966 sind chinesische Schulen, Vereine und Zeitungen verboten. Die buddhistische Religion wurde zeitweise unterdrückt, chinesische Schriftzeichen dürfen nicht in der Öffentlichkeit gezeigt werden. Sogar die chinesischen Namen mußten abgelegt werden.

Doch im Ausweis werden die Angehörigen der Minderheit als "china" bezeichnet, um sie von öffentlichen Ämtern ausschließen zu können. Der wohlhabenden Mittelschicht unter ihnen blieb also nur der Handel als Betätigungsfeld. Ganz so, meinen verschiedene Beobachter, als wollte Suharto sie zu Sündenböcken für die Armen aufbauen. Mit einigem Erfolg, wie sich in Mai zeigte, als sich in Jakarta und Medan viele bereitwillig zu Plünderungen chinesischer Geschäfte anstiften ließen.

Fragt man allerdings nach den Hintermännern der Anstifter, werden die meisten Gesprächspartner, sei es aus Furcht, sei es aus Mangel an Beweisen, vage und einsilbig. "Wir hoffen", erklärt Didieck Trisasongko die Beteiligung des LBHs an der offiziellen Untersuchungskommission, "durch unsere Mitarbeit auch an sonst nicht zugängliche Dokumente heranzukommen." Allerdings bleibt er, wie auch Romo Sanfyawan, der für das Volunteer Team berufen wurde, skeptisch, ob die Kommission bei der gegebenen Zusammensetzung tasächlich die Wahrheit ans Licht bringen wird.

Wenn auch die Drahtzieher bisher nicht bekannt sind, so scheinen zumindest ihre Motive einigermaßen klar: Die Pogrome wurden provoziert, als die Studenten das Parlament besetzt hielten, um Suhartos Rücktritt zu fordern. Am 12.5., einen Tag, bevor die Ausschreitungen in Jakarta ausbrachen, waren vier Studenten von Soldaten erschossen worden, was erhebliche Empörung in der Bevölkerung hervorgerufen hatte. Der Verdacht liegt daher nahe, daß verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufgehetzt werden sollten, um das Regime aus der Schußlinie zu nehmen. Den Armen und Hungrigen sollte ein wohlfeiles Haßobjekt geboten werden, damit sie sich nicht politisieren.

Bisher ist diese Rechnung aufgegangen. Das alte Regime sitzt mit neuen Gesichtern fest im Sattel, und die Opposition hat mit Suharto den einenden Gegner verloren.

(wop)