Internationales

"Für eine gerechtere Gesellschaft"

In Indonesien schießen unabhängige Gewerkschaften wie Pilze aus dem Boden

Weiß und blau, weiß und blau. Fassaden, Zäune, Wände. Kilometerlang, links und rechts der Straße. Dazwischen tropisch-sattes Grün der Bäume und Sträucher. Wir fahren durch einen der Vororte Surabayas, Indonesiens zweitgrößte Stadt im Osten Javas. Breite Straßen voll dichtem Verkehr, doch kein Vergleich zu Manilas flächendeckenden Dauerstaus.

An den roten Ampeln die "Straßensänger". Junge Männer, die im Großstadt-Smog mit der Gitarre ihr Geld verdienen. Zu zweit ziehen sie durch die Reihen der wartenden Autos. Einer zupft ein paar Akkorde, der andere sammelt das Geld ein. Fast alle Fahrer geben. Ein bis zwei 100-Rupiah-Scheine ist der "Tarif". Das sind 50 Gramm Reis.

Ein Teil von ihnen ist in der Vereinigung der Straßensänger, einer Art Gewerkschaft. Seit Anfang der 90er bemüht sich die linke PRD (Demokratische Volkspartei), die städtischen Armen in verschiedenen Gruppen zu organisieren. Einer ihrer Leute, Leonardos Gilang aus Solo auf Sumatra, war eine der treibenden Kräfte der Straßensänger-Vereinigung. Im Frühjahr wurde er von Militärs ermordet. "Erst haben sie ihn entführt, wie so viele andere auch", berichtet Wilson von der PRD. "Nach einer Woche fand man ihn mit einem Loch in der Brust." Wilson selbst war erst Ende Juli amnestiert worden. Zwei Jahre hatte er für die Unterstützung der PRD im Gefängnis gesessen. Wir trafen ihn am Tag nach seiner Entlassung in Jakarta.

Etwa zwei Dutzend Oppositionelle wurden wie Leonardos im Frühjahr entführt, als der Widerstand gegen das Suharto-Regime seinem Höhepunkt zustrebte. Einige sind inzwischen wieder frei und berichten von Folterungen. Verhöre mit verbundenen Augen, Elektroschocks, Scheinhinrichtungen. Zwölf Personen werden noch immer vermißt. Z.B. Herman Hendrawan, der im März nach einer Pressekonferenz verschwand. "Herman und ich haben vor meiner Verhaftung längere Zeit zusammengearbeitet. Wir waren enge Freunde. Ich befürchte das Schlimmste", erzählt Wilson mit belegter Stimme.

PRD-Kämpfer Wilson (Foto: wop)

Das Oberkommando der Armee (ABRI) hat angeblich keine Ahnung, wo die Vermißten sind. Familienangehörige werden abgewimmelt. Aber die Generäle sind nach Suhartos Rücktritt um Imagepflege bemüht und haben einen Sündenbock zu bieten: Kopassus, eine Elite-Einheit der Armee, speziell ausgebildet für die Aufstandsbekämpfung. Der Chef der Truppe, Generalleutnant Prabowo, habe Befehle, die Aktivitäten der Opposition zu überwachen, falsch interpretiert, lautet die offizielle Version. Prabowo, der ein Schwiegersohn Suhartos ist, wurde zwischenzeitlich von seinem Posten entfernt und mit der Leitung einer militärischen Akademie betraut, wo er den Nachwuchs ausbilden darf.

Die Betroffenen und Menschenrechtsgruppen geben sich damit allerdings nicht zufrieden. Andi Arief, der Mitte Juli nach zweieinhalb Monaten freikam, berichtet, daß außer Kopassus noch zwei weitere Einheiten an seiner Verschleppung und Folterung beteiligt waren. Yani Afri und Sony, die beide bereits seit über einem Jahr vermißt werden, wurden z.B. jeweils zuletzt im Kommando Nord-Jakarta der Streitkräfte gesehen. Der Verdacht liegt mehr als nah, daß die beiden von regulären Truppen verhaftet wurden, von denen es allein in Jakarta 25.000 gibt.

Seit Suhartos Sturz hat das Verschwindenlassen aufgehört. Doch Militäreinsätze gegen streikende Arbeiterinnen und Arbeiter sind nach wie vor nichts ungewöhnliches; auch nicht, daß die bei solchen Gelegenheiten Verhafteteten mißhandelt werden. Die Angst ist daher noch allgegenwärtig. In Surabaya noch mehr als in der Hauptstadt, denn hier ist das Netz der oppositionellen Gruppen nicht so eng geknüpft.

Doch Habibies Eifer, Reformwillen zu demonstrieren, eröffnet neue Möglichkeiten. Parteien und lokale Gewerkschaften sprießen wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden. Eine davon sollen wir heute kennenlernen. Wir sind auf dem Weg zu einem Treffen mit Arbeiterinnen des SBR (Sidicats Büro Reformatsi, Gewerkschaftsbüro für Reformen).

Von der lärmenden Hauptstraße geht es in enge Gassen. Ein und zweigeschossige Wohnhäuser bestimmen das Bild, überall kleine Läden, eher Kioske. An jeder dritten Straßenecke eine kleine Moschee. Aus winzigen Vorgärtern wuchert üppiges Grün. Josefus, vor dessen Haus der Wagen hält, pflegt seine Stauden und Sträucher mit Hingabe. Später wird er uns seine Bonsai-Züchtungen zeigen.

Wir treffen Sunasri, Rutjas und Kerstin, die im Juni halfen, SBR zu gründen und jetzt im Vorstand sitzen. Aktiv sind sie allerdings schon seit längerem. Kerstin hat z.B. schon vor zwei Jahren in ihrem Betrieb einen Studienzirkel aufgebaut. Als im Frühjahr das Management die Lebensmittelzuteilungen kürzte, hat ihre Gruppe Unterschriften unter einen Protestbrief gesammelt. 23 Arbeiterinnen unterschrieben, doch das Unternehmen reagierte mit Entlassungen. Seitdem ist sie arbeitslos, und ein neuer Job ist nicht so leicht zu finden, da sie jetzt auf der schwarzen Liste steht. Außerdem werden sowieso jüngere Arbeiterinnen nicht älter als 20 bevorzugt, möglichst frisch vom Dorf. Die sind unerfahren und begehren nicht so leicht auf.

Trotz dieser schwierigen Bedingungen hat SBR bereits in 20 Fabriken Gruppen. Auch Kerstins Gruppe existiert weiter. Die Entlassenen sind wie eine ganze Reihe anderer Arbeitsloser in die Gewerkschaft eingetreten und arbeiten weiter mit ihren früheren Kolleginnen zusammen. Doch die Kontinuität herzustellen ist nicht immer einfach. Sunasri, die in einer Schmuckfabrik arbeitet und im Vorstand für Bildung zuständig ist, berichtet, daß in ihrem Betrieb 25% der Arbeiterinnen nur einen Zeitvertrag haben. In anderen Frauenbetrieben ist der Anteil sogar noch höher. Verträge werden über drei Monate abgeschlossen, berichtet Kerstin. Verlängerung hängt von der Willkür des Managements ab, und potentielle Gewerkschafts-Aktivisten werden herausgefiltert.

Daß v.a. junge Arbeiterinnen eingestellt werden, meinen die drei, liegt auch daran, daß die Arbeitsbedingungen nicht lange auszuhalten sind. Zwölf Stunden am Tag habe sie arbeiten müssen, berichtet Kerstin. Von Montag bis Samstag. Vor der Krise habe es sogar eine Sonntags-Schicht gegeben. Die vier bis 5.000 Rupiah Lohn, die es dafür am Tag gibt, reichen gerade für zwei Kilo Reis. Für einen Liter Speiseöl muß zwei Tage gearbeitet werden.

Angesichts solcher Hungerlöhne hat sich die Gewerkschaft zwei Schwerpunkte gesetzt: Auf dem Fabrikniveau sollen Lohnerhöhungen durchgesetzt werden. Daneben ist der Aufbau eines Coop-Ladens geplant, der eine möglichst günstige Versorgung mit Grundnahrungsmitteln sichern soll.

Bisher hat SBR vor allem Mitglieder in der Konsumgüterindustrie gewonnen, in der überwiegend Frauen arbeiten. Die örtliche Schwerindustrie wird von der alten regimetreuen Gewerkschaft FSPSI (Allindonesischer Gewerkschaftsbund) dominiert, in deren Vorständen auf allen Ebenen Vertreter des Mlitärs sitzen. "Dwi Fungsi" wird das in Indonesien genannt, duale Funktion. Das Militär regiert in alle Bereiche des zivilen Lebens hinein.

Von diesem "gelben" Verband halten die Arbeiterinnen nicht viel, denn Suhartos "Neue Ordnung" ist gründlich verhaßt. Aber auch die schon im April '93 gegründete Indonesian Prosperous Labor Union SBSI ist nicht sehr angesehen. Deren Vorsitzender Muchtar Pakpahan, hören wir nicht nur in Surabaya, könne sich nicht recht entscheiden, ob er für oder gegen den Suharto-Zögling Habibie ist. Ende Juli verlas ein hoher Bürokrat aus dem Arbeitsministerium auf einem SBSI-Kongreß eine Grußbotschaft. In der Vergangenheit waren allerdings der Gründungskongreß (1994) und mehrere SBSI-Veranstaltungen von Militärs gewaltsam aufgelöst worden. Pakpahan hatte im Mai zu den ersten amnestierten politischen Gefangenen gehört.

Doch die drei in Surabaya halten sich nicht lange mit Abgrenzung auf. Für den geplanten Coop-Laden wird ein Haus gesucht, in dem auch einige Arbeiterinnen wohnen sollen. Denn wer in einem betrieblichen Wohnheim wohnt, der landet bei Arbeitslosigkeit buchstäblich auf der Straße. Und die greift um sich: Rutjas berichtet, daß ihr Betrieb im Frühjahr dicht gemacht hat. Alle Arbeiterinn wurden entlassen. Der taiwanesische Besitzer läßt seine Verstärker und Rekorder jetzt in kleinerem Rahmen von einem Subunternehmen montieren.

Damit liegt er ganz im Trend. Das System der Vergabe von Auftragsarbeit erfreut sich zunehmender Beliebtheit, da es für den Auftraggeber das unternehmerische Risiko minimiert. In Jakarta erläutert uns Abdurachman die Finessen des "contract systems", das v.a. in der Textilindustrie die Heimarbeit wiederbelebt hat. Die Arbeiterinnen werden so zu Unternehmerinnen gemacht und der Willkür des Marktes und der Aufkäufer ausgeliefert. Die Zeiten, in denen die großen Textilmarken eigene Fabriken in Billiglohn-Ländern unterhielten, sind längst vorbei. Heute beziehen sie ihre Markenware von Subunternehmern, die wiederum als bloße Aufkäufer agieren.

Wir treffen Rachman in seinem Wohnbüro in Bekasi, einer Industriestadt am Rande Jakartas, von wo aus er schon seit mehreren Jahren Arbeiterinnen und Arbeiter mit Rechtsberatung und Kontakten unterstützt. Auch in Jakarta und den angrenzenden Industriestädten atmen Gewerkschafter nach Suhartos Rücktritt eine freiere Luft. Bei Rachman haben sich Vertreterinnen des Frauenforums versammelt, das bereits seit 1996 Arbeiterinnen im Großraum Jakarta organisiert. In einigen dutzend Fabriken gibt es Mitglieder.

Die Bedingungen gleichen denen in Surabaya: Die Mitgliederwerbung ist deutlich leichter geworden, doch schwarze Listen sind auch hier verbreitet, berichtet Mindari, die in der Textilindustrie arbeitet. Mancher Unternehmer nutzt die Krise, um aufmüpfige Arbeiterinnen und Arbeiter zu entlassen.

Aber nicht immer gelingt das. Mando berichtet, wie sie in ihrem Betrieb einen Streik für höheren Lohn erfolgreich organisiert hat. Durch die Solidarität der Arbeiterinnen konnte ihre Entlassung verhindert werden. Allerdings wird sie jetzt als Springerin eingesetzt. Jeden Tag an einem anderen Arbeitsplatz.

In Jakarta und Umgebung beträgt der amtliche Mindestlohn 5.700 Rupiah pro Tag (ca. 76 Pfennig), berichtet Rachman, doch die meisten Unternehmer betrachten das eher als Obergrenze. Arbeitslose stehen ohne jede Unterstützung da. Wer kann, geht zurück aufs Dorf, anderen bleibt nur die Prostitution: In Nord-Jakarta z.B., erzählt Mando, arbeiteten vor der Krise 300 Prostituierte. Jetzt sind es 1.000. Die Polizei kassiert von den Frauen Gebühren fürs Wegsehen, ansonsten sind sie Freiern und Zuhältern ziemlich schutzlos ausgeliefert. Das Frauenforum, so Mando, versucht, die Prostituierten zu organisieren, doch das sei sehr schwierig.

Anfang Mai haben sich die Frauen mit dem Arbeiterforum und anderen Gruppen in der United Indonesian Workers' Action Group, kurz KABI, zusammengeschlossen. Wichtigste Aufgabe der neuen Gruppe: Die Gründung einer Gewerkschaft für Jakarta und Umgebung soll vorbereitet werden. Als eine ihrer ersten Aktionen beteiligte sich das Bündnis im Mai an der Besetzung des Parlaments, die schließlich Suharto zum Rücktritt zwang. Die erste Forderung des vorläufigen Programms lautet denn auch, daß Suharto und seinen Mitarbeitern der Prozeß gemacht und jener Teil ihres Vermögens, der aus Korruption stammt, enteignet wird.

Das alte Regime und seine gegenwärtige Fortsetzung unter Habibie, da sind sich die Frauen, die sich bei Rachman versammelt haben, einig, muß weg. KABI soll, haben sie in ihrem Programm formuliert, für eine "gerechtere Gesellschaft kämpfen, in der die Arbeitenden sich frei versammeln und organisieren können und in der es keine ungerechte Ausbeutung mehr gibt". Ansonsten wird die Autonomie der beteiligten Gruppen und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen großgeschrieben. Bis zum Frühherbst sollen noch weitere Gruppen für die Mitarbeit gewonnen werden, dann wird die neue Gewerkschaft aus der Taufe gehoben werden. Mit dabei sein wird wahrscheinlich auch das Indonesian Center for Workers Struggle der PRD.

(wop)