Kultur

Volksentscheid zur Rechtschreibreform

Hat der Vorgang für fortschrittliche Politik eine Bedeutung?

Wie kommt es, dass ein solch lächerlicher Gegenstand wie die Rechtschreibreform zu einer großen politischen Auseinandersetzung führt, die jetzt auch noch am 27.9. in einem Volksentscheid mündet?

Bei sachlicher Untersuchung des Gegenstandes der Rechtschreibung wird man nicht fündig. Die Rechtschreibung ist das Ergebnis von langer Setzungsarbeit von Schrift und Sprache. Viele Zusammenhänge liegen lange zurück oder sind in fremden Sprachen begründet. So erscheint vieles unverständlich unlogisch und nicht nachvollziehbar. Trotzdem hat es sich in ein staatlich gestütztes Regelwerk eingefunden, das jetzt manchem wie natürlich erscheint.

Die gültige Rechtschreibung hat jede Reform (Reform steht für Verbesserung und Vereinfachung) verdient, und sei sie auch mit neuen Fehlern und Widersprüchen behaftet. Dass es seit 1904 keine Reform gegeben hat ist der eigentliche Skandal. Wer das neue Regelwerk liest wird viel logisches und auch den Mut zur Vereinfachung finden. Die Menge der Regeln zur Zeichensetzung wurden erheblich reduziert. Manches hätte noch viel radikalere Einschnitte bedurft, aber dazu fehlte den Kultusministern der Mut.

Die schleswig-holsteinische Landeszeitung hat als Beitrag zur Versachlichung im August eine Hälfte der Zeitung nach den neuen Regeln, die zweite Hälfte nach den alten Regeln gedruckt. Der Unterschied war geringfügig, und hätte es nicht auf der ersten Seite gestanden, viele Leser hätten es nicht gemerkt.

Wenn es gar nicht um die Rechtschreibreform geht, worum geht es dann? Und was sind die Gründe der Menschen zur Unterstützung der Kampagne gegen die Rechtschreibreform. Am 27.9. soll demokratisch darüber entschieden werden, aber Demokratie gibt es nur zwischen Freien und Gleichen. Doch wer ist in der Frage der Rechtschreibreform schon gleich?

Das bestehende Regelwerk der Rechtschreibung wird wahrscheinlich nur von weniger als 10% der Bevölkerung beherrscht. Vielleicht sind es 50%, die sich einen gewissen Standard der Rechtschreibung erarbeitet haben, mit dem sie im privaten Leben und in der Arbeitswelt schriftlich kommunizieren können. Darunter viele aus dem Bereich der technischen Intelligenz. Für den überwiegend Teil der Bevölkerung gilt, dass die Regeln nur ungenügend oder nur teilweise bekannt sind. Es gilt also zu unterscheiden zwischen denen, die Wissen über die Rechtschreibung und die Rechtschreibreform besitzen, und denen, die sich bei der Entscheidung auf die Beratung anderer verlassen.

Wer als Wissender die Rechtschreibreform bekämpft, dem geht es um intellektuelle Macht. Diese kleine Schicht von Intellektuellen, Germanisten und nicht zuletzt den Schriftstellern möchte selber darüber bestimmen, wie die deutsche Schrift zu schreiben ist. Dass dies vom Parlament, von einem Politiker, der für seinen Beruf nicht einmal Abitur benötigt, entschieden wird, erscheint ihnen, den Gebildeten, unerträglich. Was sie treibt ist elitäres Denken. Dass auch Schriftsteller, denen fortschrittliche Gesinnung und Verhalten nachgesagt wird, sich daran beteiligen, zeigt nur, dass sie hier im intellektuellen Feld ihre eigenen Interessen verfolgen.

Für diejenigen, die sich mühsam einen gewissen Standard in der Rechtschreibung erarbeitet haben, erscheint eine Reform wie eine Entwertung ihres Wissens. Sie sollen neu lernen, wo es doch so viele andere wichtige Dinge gibt. Spontan führt dies zur Ablehnung der Reform. Zeit, um das wirkliche Ausmaß der Reform zu erkunden, wird nicht vorhanden sein. Hilfe von ausgebildeter Seite steht wenig zur Verfügung. Das sind gute Ausgangsbedingungen für eine demagogische Politik, um Menschen als politische Masse gegen ihr eigenen Interessen zu mobilisieren.

Aber es geht noch um vieles mehr in dieser Auseinandersetzung. Es gibt kaum Politiker, die offensiv für die Nützlichkeit und die Vereinfachung der Rechtschreibung durch die Rechtschreibreform eintreten. Sie haben es den Kultusministern überlassen, die diesen Beschluss übrigens einstimmig gefasst haben. Politiker haben ein Gespür dafür, wenn sie in einer Frage eine ungerechte Behandlung zu erwarten haben. Die Frage der Rechtschreibung ist eine solche.

Im Widerstand gegen die Rechtschreibreform verbirgt sich auch jeder Widerstand gegen die Verwerfungen in der Gesellschaft, gegen die Politik, die Parteien, das Parlament oder auch die Parteien der jetzigen Landesregierung, wie in Schleswig-Holstein usw. Da findet man den Juppi wieder, für den im Angesicht der Globalisierung Schluss gemacht werden muss mit der Solidargesellschaft, die ihn am eigenen Reichtum hindert. Immer diese Gelder für Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Kranke und Alte. Wer um seinen Sozialstatus fürchtet, im Mittelstand, unter den etwas besser gestellten Arbeitern, unter den Beamten oder auch den Rentnern aus Arbeiterkreisen, und meint, dass die Politiker zu wenig gegen Kriminalität und zur Sicherheit des Eigentums machen, kann sich einreihen.

Da findet man aber auch den Sozialhilfeempfänger und den Arbeitslosen, für den die Politik der letzten Jahre nur materielle Verluste gebracht hat. Mit der Rechtschreibreform kann man deutlich machen, dass Politiker immer über die Köpfe der Menschen entscheiden und dabei doch nur Geld kosten. Welch eine Chance, mit der Rechtschreibreform ein klassen- und schichtenübergreifendes Bündnis herzustellen. Der Intellektuelle mit dem Analphabeten, der Juppi mit dem Punk, der Unternehmer mit dem Arbeiter.

Manche Politiker haben das bereits erkannt wie der CDU Landesvorsitzende Peter Kurt Würzbach. Er hat den Rechtschreibreformgegnern die vollste Unterstützung zugesagt. FDP-Generalsekretär Wersterwelle will die Einführung der Rechtschreibreform in die Amtssprache verhindern. Geht es bei Würzbach um die absolute Gegnerschaft zu dieser Landesregierung, muss der Westerwelle alles nutzen, um bei der Bundestagswahl die 5% zu überspringen. Es ist die Zeit der Demagogen und Opportunisten.

Was ich beklage ist, dass in der Linken diese Auseinandersetzung als unwichtig angesehen wird und auch keiner, der in Fragen der Rechtschreibung ausgebildet ist, öffentlich für die Rechtschreibreform und gegen die damit betriebene Demagogie auftritt. Gerade in Kämpfen an Nebenfronten, an den Hauptfronten passiert ja so selten entscheidendes, werden Siege und Niederlagen ausgefochten, die über lange Zeit Auswirkungen haben.

Wenn es den Gegnern der Rechtschreibreform gelingt, einen großen Teil der Bevölkerung gegen ihre objektiven Interessen zu mobilisieren und ein "Volksbündnis" herzustellen, ist es der erste gelungene Versuch das Mittel des Volksentscheides in Schleswig-Holstein für eine demagogische Politik zu nutzen. Weitere werden folgen. Zur Kriminalitätsbekämpfung, zur Ausländerpolitik oder zur Bekämpfung von Sexualstraftaten. Der Volksentscheid über die Todesstrafe ist dann unvermeidlich. Plebeszitäre Mittel wie der Volksentscheid alleine garantieren keine demokratische Politik.

Es lohnt sich also, in der Frage der Rechtschreibreform die Stimme zu erheben und dieser demagogischen Kampagne entgegenzutreten. Mit sachlichen Argumenten für eine (jede) Rechtschreibreform. Und Menschen darüber aufzuklären, für welche Interessen sie von Rechtschreibgegnern dabei mobilisiert werden sollen.

Aus einem Sieg der Rechtschreibreformgegner wird keine Demokratie und keine Emanzipation erwachsen, nur das Gegenteil ist der Fall. Eine Niederlage des Volksentscheides gegen die Rechtschreibreform könnte Demagogen in der Politik Einhalt gebieten.

(kaq)