Glosse

Stuhlgang der S-Klasse

Zwei Wege führen zum Platz im Theater. Zum gewöhnlichen über den Kauf einer Eintrittskarte kommt jetzt der über den Erwerb eines Stuhles. Wer 777 DM spendet, erhält dafür "seinen" Stuhl im neuen Schauspielhaus, kenntlich gemacht durch ein Messingschild "Gestiftet von ..." auf der Unterseite des Klappsessels. Schluß mit der langweilig gesponsorten Parkbank im Schrevenpark. Wer hier spendet und damit für sich wirbt, spricht statt entenfütternder RentnerInnen mit geringer Kaufkraft zahlungskräftige KulturliebhaberInnen an. So verwundert es nicht, daß schon kurz nach dem Aufruf der Gesellschaft der Freunde des Theaters, Stühle zu sponsoren, einige Kieler Firmen ganze Reihen haben wollten.

Kultursponsoring ist in, weil gut fürs Image der Sponsoren und steuerlich absetzbar. Als Nebeneffekt solcher Spendenwut kommt zwar auch Geld in die chronisch leeren Kassen der Kulturschaffenden. Doch hat die Sache einen Haken. Eine Million muß das Theater laut Haushaltsbeschluß vom Dezember einsparen. Da wirkt es doch reichlich bigott, wenn Sparkommissar und Oberbürgermeister Gansel in einem Faltblatt für das Stuhlsponsoring wirbt und mit den Worten schließt: "Ich tue es auch!"

In der Tat, er tut es auch: Ganz in neoliberaler Tradition wird erst munter dereguliert und kaputtgespart, und dann soll das fehlende Geld über eine Art Privatisierung wieder hereinkommen. Nichts anderes nämlich ist Sponsoring durch die ständig steigende Profite machende Wirtschaft und einzelne Reiche, die 777 DM von ihren Steuergeschenken abzweigen, um sie als Spende für gemeinnützige Zwecke ein weiteres Mal abzuschreiben.

Schon beim Vorhang für das neue Schauspielhaus mußten die Theaterfreunde den Gang zum Canossa der edlen Spender antreten, jetzt folgt nämlicher Stuhlgang. Nun könnte man argumentieren: Fein, so müssen die Reichen für ihre Theaterstühle selber blechen. Doch letztlich ist die Aktion ein weiteres Beispiel für eine verfehlte Kulturpolitik. Wie beim Sozialen gibt es auch bei der Kultur das Recht der BürgerInnen auf eine Grundversorgung, das ihnen zunehmend weggespart wird. Ursache: Verarmung des Staates und der Städte durch eine Steuerpolitik, die nicht mehr steuert, indem sie z.B. Kultur abseits von kommerziellen Begehrlichkeiten aus Steuermitteln fördert. Das Geld fließt vielmehr aus dem großzügigen Füllhorn der Steuervorteile in die Kassen der großen Unternehmer und Reichen. Und Spenden, mit denen sich die solchermaßen Privilegierten den schicken Anstrich der Mäzene geben können, werden aus der Portokasse gelöhnt.

Bleibt zu hoffen, daß die Freunde des Theaters demnächst nicht auch noch für die ein oder andere Inszenierung mit der Winterhilfswerksbüchse durch die Flure des Kieler Geldadels tingeln müssen und sich die Sitte der frühen Nachkriegszeit, für einen Theaterbesuch ein Brikettstück zum Heizen mitzubringen, so auf abstruse Weise wiederbelebt. Dann ist nämlich der Weg zum Stück auf Bestellung nicht mehr weit, und Theater verkommt gänzlich zum Hofnarren, der sich zwar mal einen bissigen Scherz erlauben darf, aber nur, wenn's den Herrschaften nicht zu sehr unter die mit der "Spender-S-Nadel" - die wird für die Stuhlspende ausgegeben - verzierte Haut geht.

(jm)