Internationales

Em hatin - Die Kurden kommen!

"10.000 kurdische Flüchtlinge auf dem Weg nach Deutschland - Transit-Gesinnung in der EG - wachsender Zustrom kurdischer Flüchtlinge - mit aller Kraft gegen illegale Zuwanderung" So und so ähnlich lauten die Schlagzeilen in der deutschen Presse zu den Flüchtlingen, die sich z.Z. in Italien aufhalten. Vorbei die Zeiten des Golfkrieges, in denen das kurdische Flüchtlingselend noch eine Welle deutscher Hilfsbereitschaft auslöste. Verrecken sollen die Leute doch bitteschön in ihrem Land. Wir schicken auch ein paar Spenden, Gott steh euch bei, aber dort, in eurem Land. Besetzt keine Autobahnen, demonstriert nicht für eure Rechte, bleibt, wo ihr seid, dort, in eurem Land.

Im Dezember 1997 stach der erste türkische Seelenverkäufer in See. An Bord waren etwa 300 KurdInnen. Am 25.12.1997 ging er vor der italienischen Küste in einer stillen Nacht unter. Fast alle Menschen an Bord ertranken. Am 26.12. wurden 418 KurdInnen mit einem Frachter an die italienische Küste gebracht. Dieses Schiff stach am 20.12. in der türkischen Stadt Canakkale in See. Ein weiterer türkischer Frachter schmuggelte 825 Menschen nach Italien. Mittlerweile wurden mehrere Hundert KurdInnen auf diese Weise nach Italien gebracht, und es warten noch etwa 5.000 Menschen an den türkischen Küsten auf eine Möglichkeit zur Überfahrt.

Der türkische Außenminister Ismael Cem wirft der EG vor, mit ihrer Asylpolitik der illegalen Einwanderung Vorschub zu leisten und behauptet, die PKK würde diese Menschen nach Europa schleusen. Doch tatsächlich muß sich die Türkei fragen lassen, wie es sein kann, daß 800 Menschen in einem Hafen wie Istanbul ein Schiff besteigen und ins Ausland abfahren können, ohne daß es der türkischen Polizei auch nur im mindesten auffällt. Ist die PKK tatsächlich so stark, daß sie türkische Häfen in der Hand hat, Sicherheitskontrollen durchbricht und Hunderte von Menschen aus der Türkei schmuggeln kann? Leider nein. Die PKK hat auch kein Interesse daran, ein Gebiet von den Menschen zu entleeren, die es befreien sollen. Ein Interesse an der Flucht von KurdInnen aus der Türkei hat nur der türkische Staat selbst. Nachdem im türkisch besetzten Teil Kurdistans tausende Dörfer zerstört wurden, mußten die Menschen in die türkischen Metropolen fliehen. Etwa 5 Mio. KurdInnen leben in türkischen Großstädten, davon alleine 2 Mio. in Istanbul. Zusammengepfercht in den Gecekondus, den türkischen Ghettos, fristen sie ein Leben am Rande des Existenzminimums, ohne Arbeit, ohne Wohnung und ohne ärztliche Versorgung. In den Gecekondus hat sich die Situation dramatisch zugespitzt, es grassieren Thyphus und Diphterie, und die Unruhe in der Bevölkerung wächst. Wenn also die Türkei den kurdischen Widerstand nicht in den eigenen Großstädten explodieren lassen will, muß die Regierung die KurdInnen loswerden. Wenn es dann auch noch möglich ist, die EG, die einen ja so schmählich abgewiesen hat, mit genau diesen KurdInnen zu ärgern, warum nicht auf die alte, erprobte Verbindung zwischen Staat und Mafia zurückgreifen? Das kann nicht nur Frau Ciller mit ihrer Regierung. Und wenn es dann richtig Ärger gibt, werden die Hände in Unschuld gewaschen und die Schuhe der PKK angezogen.

Friedenskundgebung in Kadiköy. Auf dem Transparent in kurdisch/türkisch: "Es lebe der Frieden!" (Foto: kaw)

Doch die Türkei produziert nicht nur im eigenen Staat kurdische Flüchtlinge. Seit dem Einmarsch der türkischen Armee in Irakisch-Kurdistan im Mai werden auch dort kurdische Dörfer bombardiert und zerstört. Zusammen mit der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) unter Mesut Barzani sollten zunächst Stellungen der PKK in Irakisch-Kurdistan angegriffen werden. Dieser Zusammenarbeit gingen lange Verhandlungen und der Kampf zwischen der KDP und der PUK (Patriotischen Union Kurdistan) im Sommer 1996 voraus. Nach dem Golfkrieg wurde der kurdische Teil des Irak unter UNO-Aufsicht gestellt und ein kurdisches Parlament gewählt. Sowohl die PUK wie auch die KDP stellten die AbgeordnetInnen des Parlamentes. Doch die Hilfsgüter der UNO wurden nicht über das Parlament, sondern von der KDP verteilt.

Die KDP bezahlte davon v.a. ihre Peshmerga, Einheiten kurdischer KämpferInnen im Irak. Einzige Einnahmequelle der PUK blieb der Grenzübergang zum Iran, während die KDP "Zolleinnahmen" an der türkischen Grenze einsackte. Da die KDP auch ehemalige irakische "Dorfschützer" in ihre militärischen Einheiten aufnahm, kam es zum Streit mit der PUK.

Außerdem wurde es durch das Doppelembargo Kurdistans (UNO und Irak) immer schwieriger, diese Einheiten zu finanzieren. So griff die KDP Städte und Dörfer unter PUK-Verwaltung an. Ziel war die totale Kontrolle aller Grenzübergänge und "Zolleinnahmen". Als der Erfolg ausblieb, holte die KDP auch irakische Einheiten von Saddam Hussein zum Kampf gegen die PUK. Erst nach scharfen internationalen Protesten mußten sich die irakischen Einheiten aus Kurdistan zurückziehen.

Die PKK hatte sich in der Region immer besser etablieren können, fast alle Guerilleros der PKK, die in diesem Gebiet kämpften, kamen aus irakisch-kurdischen Dörfern. Auch der Fernsehsender MED-TV fand großen Zuspruch. Die PKK konnte ihre militärischen Einheiten in Irakisch-Kurdistan stationieren und fand dort die Unterstützung der Bevölkerung. Das gefiel weder der Türkei noch der KDP. Und so wurde der Pakt gegen die PKK geschlossen.

Die PKK nahm daraufhin Verhandlungen mit anderen irakisch-kurdischen Organisationen auf und konnte so eine breite Front gegen die Türkei und die KDP aufbauen. Mittlerweile sind außer der KDP alle irakisch-kurdischen Organisationen daran beteiligt.

Es steht aber nicht nur politisch schlecht um die KDP (noch in diesem Jahr soll ein kurdischer Nationalkongreß gewählt werden, woran sich außer der KDP alle anderen kurdischen Organisationen beteiligen), auch militärisch sind sie nicht in der Lage, den Kampf gegen die PKK und die irakisch-kurdischen Peshmerga durchzuhalten. Zur Zeit werden die KDP-Peshmerga in fast allen Regionen Irakisch-Kurdistans bekämpft und zurückgeschlagen, da die KDP auf Friedensangebote der PKK nicht einging. Die KDP wird also mittelfristig als militärischer und politischer Partner der Türkei ausfallen.

Polizeiaufgebot in Kadiköy (Foto: kaw)

So bekämpft die Türkei die Zivilbevölkerungen, bombardiert die Dörfer und vertreibt die Menschen, um eine weitere Zuwanderung zur PKK zu verhindern. Genau so wie in Türkisch-Kurdistan. "Wenn du den Fisch fangen willst, trockne den See aus", sagt ein altes türkisches Sprichwort. Wer nicht zur Guerilla gehen kann oder will, muß aus dem Land fliehen - wobei die türkische Regierung auch kräftig behilflich ist.

Herr Kanther sagt, die Flucht der KurdInnen sei "ein Problem, das in deren Heimat gelöst werden muß." Recht hat der Mann! Auch die KurdInnen selbst fordern schon lange eine politische Lösung für Kurdistan. Aber warum bezeichnet Herr Kanther Menschen, die sich für solch eine friedliche politische Lösung einsetzen und dafür sogar mit dem Friedeszug nach Diyarbakir fahren wollen, als "PKK-Terroristen"? Auch Herr Kinkel fordert eine politische Lösung. Ist der etwa auch PKK-Terrorist geworden?

Herr Hoppe, Leiter der bayerischen Polizei, hat noch klare Positionen: Deutschland sei bevorzugtes Ziel der Kurden, weil hier Sozialhilfe gezahlt wird und in Italien nicht. Stimmt auch, die Italiener haben nicht einmal genug Knete, um ihre Grenzen dicht zu halten. Doch die KurdInnen kommen nicht wegen des Geldes nach Europa - die sind so doof zu glauben, daß es hier Demokratie und Menschenrechte gibt. Stellen Sie sich das mal vor, Herr Kanther. Zum Totlachen, nicht?

Aber Geld gibt es hier in diesem unserem Land tatsächlich viel mehr als in Italien, es reicht sogar für stattliche Militärhilfen an die Türkei, für kleine Freundschaftsgeschenke in Form von Panzern, Waffen, Munition und ähnlichem. Deutschland hat ja nicht nur den Krieg gegen die KurdInnen durch Waffenlieferungen aller Art unterstützt und türkische Spezialeinheiten ausgebildet, deutsche Konzerne haben auch Saddam Hussein den Bau der Giftgasbomben ermöglicht, die er dann gegen KurdInnen eingesetzt hat. Doch für die Folgen dieser kleinen Geschäfte könne es "keine Zwischenlösung durch Zuwanderung nach Westeuropa und v.a. nach Deutschland geben", sagt Herr Kanther. Klar, erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Der italienische Staatspräsident kündigte in seiner Neujahrsansprache an, daß Italien die Kurdistan-Frage vor internationale Institutionen bringen und eine Initiative zur Lösung entwickeln werde. Schade, Herr Kinkel, hätte die Idee nicht von Ihnen sein können?

Doch bis dahin müssen die Menschen irgendwo bleiben. Warum kann es für die KurdInnen nicht eine ähnliche Lösung wie für die Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien geben? Weil es nicht so wunderschön in die deutsche Außenpolitik paßt? Die Samthandschuhe der EG haben die Türkei noch nie dazu veranlaßt, auch nur einen Deut mehr auf die Menschenrechte zu geben als jedes andere faschistische Regime. Es ist nicht nur ein Problem der KurdInnen: MenschenrechtlerInnen, SchriftstellerInnen, JournalistInnen, die ganze Opposition wird in der Türkei verhaftet, gefoltert, ermordet. Gerade jetzt befinden sich wieder alle politischen Gefangenen im Hungerstreik. Am 11.1. protestierten in Taksim/Istanbul Angehörige politischer Gefangener gegen die Haftbedingungen. Diese Kundgebung wurde durch brutalsten Polizeieinsatz aufgelöst. Daraufhin kam es in Taksim zu schweren Krawallen und Auseinandersetzungen mit der Polizei und dem Militär.

Leyla Zana sitzt immer noch im Gefängnis. StudentInnen und SchülerInnen werden von türkischen Polizeieinheiten bei ihren Demonstrationen zusammengeknüppelt. Die Mörder des Journalisten Metin Göktepe sind noch auf freiem Fuß. Die Brandstifter und Mörder von 36 AlevitInnen in Sivas wurden nie verurteilt. Und, und, und ...

Es wird Zeit, daß alle EU-Mitgliedsstaaten eine gemeinsame, entschiedene Haltung gegenüber der Türkei einnehmen und die Menschenrechtsfrage vor geschäftliche Interessen stellen! Es darf keine deutschen Waffenlieferungen für den Krieg gegen KurdInnen geben! Es ist höchste Zeit für eine politische Lösung in Kurdistan!

(kaw)