Aus dem Kieler Rat

Glücksfall Gewerbesteuer

Rat beriet über Nachtragshaushalt

Zur Ratsversammlung am 17.9. legte der Oberbürgermeister und Kämmerer Norbert Gansel den Nachtragshaushalt 1998 vor. Gansel konnte mit einem Rückgang des Defizits glänzen. Der war im wesentlichen einer saftigen Gewerbesteuernachzahlung in Höhe von 85 Mio. DM geschuldet.

Für die CDU wies Ratsherr Peter Weyher darauf hin, daß dieser "Glücksfall" nicht aus einer wirklichen Haushaltskonsolidierung entstanden sei und die Haushaltsprobleme nicht wirklich löse, sondern "allein der Leistungskraft der Wirtschaft zu verdanken" sei. Immer noch betrage das strukturelle Haushaltsdefizit 40 Mio. Insbesondere bei den Geschäftsausgaben seien auch im Nachtragshaushalt kaum Einsparungen auszumachen, das "Ausgabeverhalten entspricht immer noch nicht den Einnahmen". Zwar anerkenne die CDU-Fraktion, daß der Gewerbesteuergeldsegen nicht gleich wieder für neue Ausgaben, sondern zur Schuldentilgung verwendet werde, dennoch werde sie aber dem Nachtragshaushalt ebensowenig wie dem Kernhaushalt zustimmen, zumal ersterer weiterhin zu viele Verpflichtungsermächtigungen enthalte.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Jürgen Fenske sah das Einnahmeplus ebenfalls als "einmaligen Glücksfall", der nicht dazu verleiten dürfe, den Spargürtel wieder zu lockern. Die von allen Fraktionen getragene Haushaltskonsolidierungskommission sei also "noch nicht arbeitslos". Als mögliche Negativentwicklung für den künftigen Haushalt nannte Fenske ferner "unabsehbare Risiken bei der Einkommenssteuerentwicklung". Überdies werde der "Speckgürtel" der Umlandgemeinden immer dicker, während die Stadt weiter darbe. Durch preiswertere Grundstücke müsse ein verstärkter Anreiz für Gewerbeansiedlungen in Kiel geschaffen werden. Als Schwerpunkte des Nachtragshaushalts hob Fenske größere Aufwendungen für die Gebäude- und Straßensanierung hervor. Das schaffe Arbeitsplätze in Kiel. Ferner habe der OB "als Chefsache" ein 1 Millionen-Förderprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in den Nachtragshaushalt eingestellt.

Der OB und Kämmerer lobte insbesondere seinen Verwaltungshaushalt. Die Neuverschuldungslöcher der letzten beiden Verwaltungshaushalte konnten geschlossen werden, 1999 werde er sogar ausgeglichen sein. "Darum beneiden uns nicht nur Städte in Schleswig-Holstein, sondern in der gesamten Bundesrepublik". Gegen Weyhers Dank an die Wirtschaft wandte Gansel ein, die zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen seien v.a. dadurch entstanden, daß vermehrt Steuerausstände der Unternehmen eingetrieben worden seien. Vom CDU-Wahlkampfslogan "Der Aufschwung ist da" könne daher keine Rede sein. Ferner würden von den 85 Mio. zusätzlicher Einnahmen noch einmal brutto 5 Mio. DM abgezogen, da Wertpapiere, die von Kieler Banken ausgegeben wurden, laut Beschluß des Bundesfinanzhofes geringer als erwartet besteuert würden.

Die dennoch positivere Bilanz kann Gansel aber nur als Folge seines rigiden Sparkurses verbuchen. Auf dem will er weiter steuern, "mit den damit verbundenen Bremsspuren in allen Bereichen, besonders Kultur und Sozialem", so Gansel in bildreicher Sprache. Wie dick die "Bremsspuren" sind, zeigt das Beispiel Betreuungs- und Pflegedienste. Im Vorjahr hatten diese ein Minus von 3 Mio. DM erwirtschaftet. Nunmehr ist ein Plus von 27.109 DM zu verzeichnen. Erreicht wurde dies u.a. durch Schließungen der Häuser Elsterkoppel und Tannenberg. Dieses Beispiel zeigt wie viele andere, daß Kämmerer Gansels Sparerfolge mit kompletter Demontage sozialer und kultureller Einrichtungen bezahlt werden. Selbst "Investitionen" dienen weiterhin nur zu weiteren Einsparungen, wovon Gansels Wortwahl gelegentlich beredtes Zeugnis gibt. Den Sonderfond zur Förderung arbeitsloser Jugendlicher habe Gansel erwirkt, um damit "Schulabgängern ohne Ausbildungsplatz den Weg in die Sozialhilfe zu versperren" (!) Das Geld soll dafür verwendet werden, für die Jugendlichen "unter Beteiligung etwa der KIBA Arbeitsplätze im gemeinnützigen Bereich zu schaffen". Der Fond ist also nichts als eine schöne Fassade für Gansels Zwangsarbeitskonzepte. Zudem wird der Fond lediglich für Maßnahmen in einem einzigen "Problemstadtteil" ausreichen. Den soll die Verwaltung nach Datenerhebungen bestimmen. Mittel für einen weiteren zu fördernden Stadtteil erhofft Gansel aus einer konzertierten Aktion von IHK und Handwerkerschaft.

Entsprechend kritisierte für die Grünen Lutz Oschmann Gansels vollmundige Versprechungen. Der Sonderfond sei so besonders nicht. Schon im normalen Haushalt seien dafür 2 Mio. bereitgestellt worden, nun komme lediglich eine weitere Million hinzu. Auch der Gewerbesteuersegen sei nichts besonderes. In den letzten Jahren habe es immer derartige Nachzahlungen gegeben, nur nicht in solcher Höhe. Hier sehe man nur, wie lohnend es sei, Betriebsprüfer einzustellen, die notorisch nicht gezahlte Gewerbesteuern eintrieben. Die Grünen waren es auch, die als einzige einen Änderungsantrag zum Nachtragshaushalt einbrachten. Darin forderten sie, neue Mittel für den Gebäudeunterhalt "ausschließlich für Schulen, Jugendtreffs und Kindertagesstätten" einzusetzen. Auf Betreiben von SPD und SUK wurde das "ausschließlich" zu "insbesondere" verwässert. Im Nachtragshaushalt zusätzlich eingestellte 1,5 Mio. DM für den Unterhalt von Straßen, Wegen und Plätzen wollten die Grünen "zu mindestens 25% für die Unterhaltung von Radverkehrsanlagen" eingesetzt wissen. Hier "korrigierten" SUK und SPD die Prozentangabe in ein unverbindliches "auch".

Der Nachtragshaushalt wurde schließlich gegen die Stimmen der CDU und bei Enthaltung der Grünen von SPD und SUK beschlossen.

(jm)

 

Kleines Nachtragshaushaltsbrevier

Verwaltungshaushalt: Haushalt der laufenden Einnahmen und Ausgaben der Stadt. Volumen: 1.177.798.900 DM bei um 6.333.200 DM verringerten Einnahmen und um 6.957.800 DM veringerten Ausgaben.

Vermögenshaushalt: Einnahmen aus und Ausgaben für Eigentum der Stadt. Volumen: Einnahmen: 226.072.800 DM, Ausgaben: 226.166.600 DM. Kreditbedarf (inkl. Schuldendienste): 71.682.300 DM.

Verpflichtungsermächtigungen: Teil des Vermögenshaushalts, mit dem sich die Stadt zu Zahlungen verpflichtet, falls diese erforderlich sind. Volumen: 89.207.000 DM. Kreditbedarf: 89.207.000 DM.