Aus dem Kieler Rat

Kabale und Kunstliebe

Podiumsdiskussion über die Zukunft des Kulturviertels

Norbert Gansels Pläne, das Kulturviertel im Sophienhof aufzugeben und in das Neue Rathaus umziehen zu lassen, stoßen in der Kieler Kulturszene auf scharfen Widerstand. Davon gab eine Podiumsdiskussion am 15.9. im Kulturviertel mit VertreterInnen aus Politik und Kultur beredtes Zeugnis.

"Warum soll man eine Kathedrale der Kunst verlassen, wenn man eine hat", fragte der an der Muthesius-Hochschule lehrende Bernhard Schwichtenberg. Das Argument, die Stadtgalerie habe am jetzigen Ort zu wenige Besucher, sei nicht Ursache, sondern bereits Folge einer verfehlten Kulturpolitik der Stadt. So habe die Stadt das Geschenk des Sophienhof-Managements, die Eingangssituation durch eine Rolltreppe von der Konsummeile direkt ins Kulturviertel zu verbessern, mit dem Hinweis auf die zu hohen Betriebskosten der Rolltreppe zurückgewiesen. Wer so kaputtspare, dürfe später nicht über die unmittelbaren Folgen solcher Politik lamentieren.

 

Auch architektonisch ein Kunstwerk - Der Aufgang zum Kulturviertel (Foto: jm)

Hubertus v. Amelunxen, Intendant der Muthesius-Hochschule, bezeichnete die Debatte um die Verlegung als "jämmerliche kulturpolitische Diskussion". Ein Umzug sei "indiskutabel". Seitens der Verwaltung werde bewußt mit falschen Zahlen diskutiert. So habe der für seinen Entwurf des Kulturviertels preisgekrönte Architekt Prof. Hoffmann in einer Expertise errechnet, daß man bei geeigneter Klimatisierung von Räumen im Neuen Rathaus im Vergleich zu den jetzigen Mietkosten ca. 4 DM mehr pro Quadratmeter für die Stadtgalerie zahlen müßte.

Auch aus kulturpolitischer Sicht sei der Umzug "schlicht unsinnig". Kunst sei ein "gesellschaftliches Korrektiv zum Kommerz" und müsse gerade deshalb "im Zentrum des Kommerz'" als dessen Kontrapunkt einen Ort finden. Ohne sich zum "Büttel des Kommerz'" zu machen, müsse daher auch die Kunst sich dem "ökonomischen Raum" öffnen und kommerzielle Einnahmemöglichkeiten, z.B. durch Museumsshops nutzen, um den Zwängen der rigiden Sparpolitik im Kulturhaushalt ein Stück Unabhängigkeit entgegenzusetzen. Ein Umzug der Stadtgalerie ins Neue Rathaus sei als "Schritt vom Wirtschaftsraum in einen Verwaltungsraum" auch in dieser Hinsicht kontraproduktiv. Eine weitere Schwächung des kulturellen Lebens in Kiel durch eine "selbstherrliche und inkompetente Kulturpolitk" würde dazu führen, daß Lübeck die Kulturhauptstadt Schleswig-Holsteins werde und Kiel zur bloßen Verwaltungshauptstadt herabsinke.

Daß Investitionen in Kultur sich langfristig auch für das Stadtsäckel lohnen, rechnete Lothar Bock, Geschäftsführer der Pumpe, vor. Studien zeigten, daß jede investierte Kulturmark z.B. über Tourismus zu qualitativ hochwertigen Kulturstätten mit einem Faktor von 1,4 wieder in die Stadtkasse zurückfließe. Ferner dürfe man gewinnträchtige Kultursektoren wie z.B. Großveranstaltungen nicht den Privaten überlassen. Zumindest müßten deren Gewinne z.B. durch einen Kulturpfennig "sozialisiert" werden.

Andreas v. Randow, Referent für bildende Kunst im Kulturministerium, rechnete mit der Kulturpolitik der Stadt als ganzer ab. Den Abriß des Künstlerhauses Schwentineschule sah er in einer Reihe mit dem jetzt drohenden "Abriß der Stadtgalerie" und nicht zuletzt des U-Boot-Bunkers Kilian. Erst werde die Kultur zerstört, dann kündige die SPD eine "Kulturoffensive" an. Das sei wenig glaubwürdig. Bei einer Ausstellungseröffnung im Künstlerhaus hatte von Randow zwei Tage vorher noch härtere Worte gefunden. Das "Abrißgebaren der Stadt" trage Züge "des Terrors". Die verfehlte Kulturpolitik der Stadt hinterlasse "Hohlräume als Vorboten der Herrschaft von Hohlköpfen".

Die anwesenden RatsvertreterInnen zeigten mit Ausnahme der grünen Ratsfrau Ingrid Jöhnk wenig Einsicht gegenüber solcher Kritik und zogen sich auf technokratische Spar"argumente" zurück. Wenn er einen Wunsch frei hätte, so SPD-Fraktionsvorsitzender Jürgen Fenske, würde er die Stadtgalerie auch gerne dort belassen, wo sie sei. Aber: "Ich kann nicht darüber hinwegsehen, daß ich den Auftrag habe, mit dem Steuergroschen sparsam umzugehen." Der OB habe Einsparungen von 7,8 Mio. DM errechnet, wenn das Kulturviertel umzöge. Mit welcher Inkompetenz Fenske dabei diskutierte, zeigte sich wenig später. Kiel habe doch sehr viel Kultur, meinte er, die Kunsthalle, die Stiftung Pommern ... Daß letztere aufgrund der Sparpolitik der Stadt bereits im letzten Jahr Kiel verlassen hatte, mußte sich Fenske aus dem Publikum zurufen lassen.

Helga Helmig, kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, mahnte, man müsse mit dem "weichen Standortfaktor Kultur" pfleglich umgehen. Dennoch sei es "in Zeiten leerer Kassen legitim, Kulturstandorte zu hinterfragen". Wolfgang Kottek (SUK) sagte zwar, ein Umzug der Stadtgalerie sei für seine Fraktion "unter allen Umständen nicht möglich", jedoch sei die Stadtgalerie "zu teuer". Wohl auch nicht ganz sattelfest in technischen Galeriefragen und seinem ersten Statement widersprechend schlug er dann vor, wenn das Bürgeramt wie geplant ins Neue Rathaus umzöge, könne man ja dessen alte Räume im alten Rathaus für die Stadtgalerie "herrichten".

Allein Ingrid Jöhnk (B 90/Grüne) nahm eindeutig gegen einen Umzug Stellung. Besonders unverständlich sei das Bestreben des OB, jetzt eine Grundsatzentscheidung für den Umzug fällen zu lassen und erst danach über die Kosten der Realisierung zu diskutieren. Umgekehrt müsse es sein. Wenn überhaupt, denn: "Wir haben schon wenig genug Kultur in Kiel. Deswegen dürfen wir diesen Standort nicht auch noch aufgeben."

Zu einem Eklat kam es, als Kulturamtsleiter Knut Pfeiffer-Paehr das Wort ergriff. Voraus schickte er seinem Statement die Bemerkung, er sei "gehalten, hier die Position der Verwaltung zu vertreten". Mit Blick auf die geringen Besucherzahlen der Stadtgalerie kartete er dann nach, all die Vorschläge zur Verbesserung der Akzeptanz der Galerie seien schon "tausendmal diskutiert" worden und "allesamt nicht umsetzbar". Man durfte dies als Plädoyer für die Schließung der Stadtgalerie lesen, obwohl Pfeiffer-Paehr eine Behauptung Hubertus v. Amelunxens als "unverfroren" zurückwies, das Kulturamt habe in einem verwaltungsinternen Papier für die Schließung der Stadtgalerie votiert. Der Leiter der Stadtgalerie, Knut Nievers, hatte Pfeiffer-Paehrs Äußerung jedoch so verstanden wie alle im Saal. Es sei "unerträglich, daß der Kulturamtsleiter gegen die Stadtgalerie polemisiert". Man dürfe das Kulturviertel nicht gegen die Stadtgalerie ausspielen.

Genau das wird aber, wie LinX aus vertraulichen Quellen im Umkreis des Kulturamtes erfuhr, betrieben. Und wie diese Quellen vermuteten, ist der OB bei dieser Kabale nicht unbeteiligt - ganz getreu der Devise "Teile und herrsche". Kein Wunder also, daß Norbert Gansel trotz Einladung und Zusage der Diskussionsveranstaltung fernblieb und sich auf seinen "sich in sozialdemokratischem Kadavergehorsam selber mundtot machenden" (O-Ton Hubertus v. Amelunxen) Kulturamtsleiter verließ.

(jm)

 

Kieler Klagelied

(frei nach Martin Niemöller)

Als sie das Thaulow-Museum verkauften, sagten wir nichts; wir hatten damit wenig zu tun.

Als sie den alten Sophienhof abrissen, sahen wir weg; er gehörte uns ja nicht.

Als sie die Stiftung "Leben in alten Häusern" (für Künstler) sterben ließen, schwiegen wir; wir hatten ja ein Dach üher dem Kopf.

Als sie den Verein zur kulturellen Nutzung der Seibelschen Fabrik auflösten, hielten wir still; wir glaubten ja ihren Versprechungen.

Als sie die Pläne fürs Museum für Industrie- und Alltagskultur kippten, protestierten wir nicht; sollten sich doch andere darum kümmern.

Als sie die Erweiterungsvorhaben für den Warleberger Hof beerdigten, hielten wir den Mund; die Städtische Galerie lag uns mehr am Herzen.

Als sie das Völkerkunde-Museum nach Schleswig verschoben, unternahmen wir nichts; gegen "Die-da-oben" hatten wir doch keine Chance.

Als sie den Kulturpreis jedes zweite Jahr einsparten, reagierten wir nicht; das betraf uns ja nicht.

Als sie den Abriß des denkmalgeschützten Mahnmals "Kilian" beantragten, meldeten wir uns nicht lautstark genug zu Wört; Argumenten waren die ja doch nicht zugänglich.

Als sie das Künstlerhaus Schwentineschule einer Straße opfern wollten, gingen wir nicht auf die Barrikaden; gegen Juristen richten wir eh nichts aus.

Als sie die Stadtgalerie aus dem Sophienhof entsorgen wollten, wachten wir endlich auf und merkten, daß es nun fast (!) zu spät war.

Bernhard Schwichtenberg