Internationales

Peru:

Immer noch 6.000 politische Häftlinge in "Gefangnisgräbern"

Während Perus Präsident Alberto Fujimori sich in den von der Klimakatastrophe "El Niño" gebeutelten Gebieten medienwirksam als Retter der Nation feiern läßt, T-Shirts verteilt und sich mit einem Gedenkstein wegen der Erstürmung der japanischen Botschaft vor einem Jahr selbst beehrt, bereitet er klammheimlich seine (verfassungswidrige) dritte Amtsperiode vor. Politische und juristische Einwände gegen seinen Machtanspruch schaltet er nach wie vor mit diktatorischen, menschenverachtenden Methoden aus.

So mußte z.B. im April diesen Jahres die ehemalige Verfassungsrichterin Delia Revoredo nach Costa Rica fliehen, weil sie und ihre Familie wiederholt anonyme Morddrohungen erhalten hatten. Die Drohungen hatten begonnen, nachdem Delia Revoredo sich öffentlich gegen die Kandidatur von Staatspräsident Fujimori für eine dritte Amtsperiode ausgesprochen hatte. 1996 gehörte sie zu den sieben Richtern, die vom Kongreß gewählt wurden, um dem Verfassungsgericht Perus vorzusitzen. Frau Revoredo und zwei weitere der sieben Richter entschieden 1997, daß die Kandidatur von Präsident Fujimori bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 gegen die Verfassung verstoße. Der peruanische Kongreß, in dem die Partei des Staatspräsidenten die Mehrheit innehat, verabschiedete daraufnin eine Resolution, die zur Entlassung der drei Richter aus dem Verfassungsgericht führte. Die in Lima lebenden Kinder von Frau Revoredo erhalten weiterhin Drohanrufe. Amnesty international appellierte daher Ende April in Briefen an die peruanische Staatsanwaltschaft und das Innenministerium, um die Besorgnis um das Leben der Familie Revoredo zum Ausdruck zu bringen.

"Kritiker der peruanischen Regierung, der Militärführung und des Geheimdienstes werden nach wie vor schikaniert, verschleppt und angegriffen", so die Menschenrechtsorganisation. "Zu den Opfern gehören Richter, Journalisten, Politiker, Menschenrechtler, Rechtsanwälte und Kritiker innerhalb der Sicherheitskräfte sowie alle, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen, Korruption und die Mißachtung demokratischer Prozesse durch die Regierung Fujimori aussprechen."

Neben Drohungen und Morden der Militärs und des Geheimdienstes, die sogar vor Folter und Morden in den eigenen Reihen nicht zurückschrecken, wurden seit etwa 1992 die umstrittenen "Sondergerichte gegen den Terrorismus" eingeführt. Rund 4.000 Menschen seien in Peru durch die "Sondergerichte" von maskierten Richtern verurteilt worden, meldete dpa im Oktober vergangenen Jahres. Das Peru-Solidaritätsplenum München bezifferte die Zahl der durch unfaire Militär- und Zivilgerichte verurteilten politischen Gefangenen Ende April diesen Jahres auf 6.000: "Von diesen Gefangenen können gerade einmal 1.500 bis 2.000 in irgendeiner Weise mit Guerillaorganisationen in Verbindung gebracht werden, unter ihnen 478 Gefangene aus der MRTA (Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru - bam). Bei den restlichen 4.000 Gefangenen handelt es sich um Personen, die sich gegen die Diktatur und gegen die neo-liberaistische Gesetzgebung engagiert haben."

Seit dem 22.4. befänden sich 200 Gefangene der MRTA in fünf Gefängnissen im Hungerstreik, so das Peru-Plenum. Ziel sei eine Verbesserung ihrer unmenschlichen Haftbedingungen: "Nach wie vor vegetieren die politischen Gefangenen in regelrechten 'Gefängnisgräbern', wo ihnen die physische und psychische Vernichtung droht. Immer wieder kommt es zu Folterungen. (...) Die Gefangenen sind täglich 23 Stunden in einer Zelle von sechs Quadratmetern eingesperrt, und es gibt nur eine Stunde Hofgang. Es fehlt ihnen eine ausreichende medizinische Versorgung sowie eine adäquate Ernährung."

Ausführlich schildert der peruanische Soziologe und Journalist Antero Grimaldo Gargurevich Oliva am 4.4. in einem Brief aus dem Gefängnis "Castro Castro" die Bedingungen seiner Verhaftung und Haft:

"Im Moment meiner Verhaftung wurde ich gefoltert und mit dem Tode bedroht. Ich dachte, meine letzte Stunde habe geschlagen. Ich wurde an den Strand "Ventanilla" (bei Lima - bam) gebracht. Sie haben mich in Säcke und Tücher gewickelt und ins Meer geführt. Sie wollten mich ertränken. Sie verlangten von mir, ich solle mich selbst anschuldigen und andere beschuldigen, die ich nicht einmal kannte. (...) Von dort haben sie mich nach Callao gebracht und die Folter ging weiter. Ich war Zeuge, wie sie das Gleiche mit Carlos V. machten, der wie ein Kind weinte, (...) Als die Polizei mich verhaftet hatte, wußte sie nicht, was sie mir zur Last legen sollte. Mein Archiv, das aus journalistischen Recherchen und meinen Forschungsergebnissen von der Universität besteht, gab nicht genug Anlaß für eine Anklage. Deshalb steckte die Polizei andere Dokumente und Plakate, die mir nicht gehörten und die nicht in meinem Haus gewesen waren, zwischen meine Unterlagen. (...) Von dort wurden wir zum Justizpalast gebracht. (...) In der "carceleta" (Zelle im Keller des Justizpalastes - bam) wurden wir wie Tiere behandelt, und wie Du verstehen wirst, habe ich dagegen protestiert. Wir wurden mit 160 Gefangenen nach Cachiche (Gefängnis in der Wüste, etwa 300 km südlich von Lima - bam) in Ica gebracht. (...). Sie haben uns während der Fahrt dorthin geschlagen (...). Sie haben uns wie Vieh transportiert, sie haben den 'Pio Pio' (populärer peruanischer Tanz - bam) auf uns getanzt, und sie haben uns brutal mit ihren Gewehren geschlagen. Wir sind im Gefängnis angekommen, und dort gab es das Willkommen durch die DINOES (Eliteeinheit der Polizei - bam), einer Elite aus Folterern und Mördern. Wir wurden wiederum brutal geschlagen. Von den vielen Stockschlägen wurde ich zweimal bewußtlos, und als ich wieder aufwachte, wurde ich wieder geschlagen. Während der drei Monate dort wurden wir ständig gefoltert und mißhandelt."

Antero Gargurevich, der von "gesichtslosen" (maskierten) Richtern trotz der mangelnden Beweislage zu 12 Jahren Haft verurteilt wurde, ist z.Z. im Gefängnis "Castro Castro" (Lima) inhaftiert, Er bittet um internationale Unterstützung durch Menschenrechtsorganisationen und andere, um seinen Fall publik zu machen und seine Befreiung durchzusetzen.

Eine besondere Bedrohung für das Leben der politischen Gefangenen Perus stellt das neue Hochsicherheitsgefängnis Challapalca, das im Hochland bei Puno etwa 5.200 m über dem Meeresspiegel liegt, dar. Aufgrund der Höhe befürchtet amnesty international schwere gesundheitliche Probleme für die Gefangenen. "Die Einrichtung einer Justizvollzugsanstalt auf dieser Höhe" bedeute "die bewußte Inkaufnahme eines möglichen Todesurteils", so Dr. Carlos Monge Casinelli, peruanischer und internationaler Experte für Höhenmedizin, der dem peruanischen Höhenforschungsinstitut "Instituto de Investigaciones de la Altura" (IIA) angehört. Als Gefahren nennt das Institut in einem Bericht die "akute Höhenkrankheit" ("Soroche") und die chronische Höhenkrankheit ("Monges-Syndrom"). Die Soroche könne laut diesem Bericht zu Lungen- und Gehirnödemen führen, Folgen der chronischen Höhenkrankheit seien u.a. Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Ohrensausen, Persönlichkeitsveränderungen, Gedächtnisverlust und Störungen des Gleichgewichts, des Bewegungsapparates, des Verdauungs- und Hormonsystems.

Abgesehen davon, daß die meisten Menschen einen längeren Aufenthalt in dieser Höhe aus gesundheitlichen Gründen nicht ertragen können, liegt das Gebiet in einer so schwer zugänglichen Region, daß Besuche und Kontrollen kaum möglich sein werden. Die Temperaturen liegen selten über 5 Grad Celsius und können bis zu minus 20 Grad abfallen. Den 200 hungerstreikenden MRTA-Gefangenen wurde jetzt damit gedroht, sie in das Challapalca-Gefängnis zu verlegen.

Ungeachtet dieser Menschenrechtsverletzungen scheinen die bundesdeutschen Behörden es auf einen Schulterschluß mit der peruanischen Diktatur anzulegen. Am 5.5. wurde die Wohnung des Europa-Vertreters der MRTA, Isaac Velasco, von der Bundesanwaltschaft durchsucht, mit der Begründung, der schwerbehinderte und blinde Mann sei für die Besetzung der japanischen Botschaft durch die MRTA im vergangenen Jahr mitverantwortlich. Velasco, der z.Z. der Botschaftsbesetzung in Veranstaltungen auf die unmenschlichen Haftbedingungen für politische Gefangene in Peru aufmerksam gemacht hatte, hatte daraufhin von der Hamburger Innenbehörde im Herbst vergangenen Jahres ein politisches Betätigungsverbot in Bezug auf das Thema "Geiselnahme" erhalten.

(bam)