Internationales

Italien:

Warum stürzen Kommunisten eine "Links"-Regierung?

Unverständnis herrscht weithin über das Verhalten der italienischen Kommunisten. Hatten diese doch der Mitte-Links- Regierungskoalition in Italien die Unterstützung versagt, und den Sturz der Regierung unter Ministerpräsident Prodi herbeigeführt. Viele Linke hierzulande waren irritiert. Eben noch hatten sie gefeiert, daß es jetzt auch in Deutschland eine rot-grüne Mehrheit gibt, da entziehen Italiens Kommunisten der eigenen "Links"regierung das Vertrauen.

Dem Sturz der Regierung folgte unmittelbar der Sturz der Börsenkurse in Italien. Schon diese Tatsache zeigt, daß eine Regierung, die sich selbst als links bezeichnet, v.a. das Vertrauen des Kapitals besaß. Ein treuer Sachverwalter des Kapitals war die Regierung Prodi tatsächlich, die seit April 1996 im Amt war. Ihr Vorgänger war die Regierungskoalition unter Führung der rechtspopulistischen "Forza Italia" des Großkapitalisten Silvio Berlusconi und den Neofaschisten. Auf die extrem unsoziale Politik dieser Regierung reagierten die italienischen Arbeiter mit Streiks und Massendemonstrationen. Als offensichtlich wurde, daß die Mehrheit der Italiener die offen volksfeindliche Politik der Rechtsregierung nicht mehr erduldet, wurden Neuwahlen angesetzt. Es war ein Sieg der Linken. Die sozialdemokratische "Partei der Demokratischen Linken" (PDS) koalierte mit kleineren links-bürgerlichen Parteien. Um eine Mehrheit im Parlament zu erhalten, war diese Regierung unter dem parteilosen Technokraten Prodi auf die Unterstützung der Kommunisten ("Partei der Kommunistischen Wiedergründung" - PRC) angewiesen.

Sozialer Kahlschlag für den Euro

Aufgabe dieser Regierung war es, Italien reif für die europäische Währungsunion und den Euro zu machen. Wie in allen Ländern der EU bedeutete dies die Durchsetzung unsozialer Maßnahmen auf Kosten der Masse der Bevölkerung. Die Renten wurden weiter gekürzt, Fabriken mußten dichtmachen und mit 3,5 Mio. Arbeitslosen stieg die Arbeitslosigkeit auf 11,9%. Dafür liegt Italien an der Spitze der Privatisierungen öffentlichen Eigentums. Das Lob des Kapitals war Prodi sicher. Auch nach seinem Sturz vergißt die bürgerliche Presse nie, die Durchsetzung der harten Euro-Kriterien als seine größte Leistung hervorzuheben. Kritikern der unsozialen Politik auf der Linken wurde gedroht, wenn die Mitte-Links-Koalition scheitert, kämen die Rechten und Faschisten wieder an die Macht. Auch die Führung der Kommunisten tolerierte die Regierungspolitik, um die erste italienische Linksregierung nicht zu gefährden, und in der Hoffnung, kleine soziale Verbesserungen zu erzwingen. Nur bei außenpolitischen Abenteuern wie der NATO-Intervention in Albanien nach den Unruhen im Frühjahr 1997 mußte Prodi sich um die Stimmen der Rechtsparteien bemühen. Als die italienische Marine ein albanisches Flüchtlingsschiff versenkte und über 100 Menschen den Tod fanden, war dies kein Grund für die PRC-Abgeordneten, Prodi generell das Vertrauen zu entziehen.

Nur einmal, im Oktober 1997, probte Parteichef Fausto Bertinotti den Aufstand. Während Zehntausende Arbeiter für die 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich demonstrierten, drohten die Kommunisten mit einem Ende der Tolerierung. Zaghafte Zugeständnisse der Regierung in der Arbeitszeitfrage, verbunden mit massivem Druck der sozialdemokratisch kontrollierten Gewerkschaftsbürokratie auf die Führung der PRC erzwangen die Kapitulation Bertinottis und eine Fortführung der Tolerierungspolitik.

Raus aus der Regierung!

Nur die Parteilinke, die sich um die Zeitschrift "Proposta" ("Vorschläge für die kommunistische Neugründung") formiert, wandte sich von Anfang an gegen die Unterstützung einer bürgerlichen Regierung. In den Augen der Massen würde so auch die PRC zur Partei des Kapitals, die die verhaßte Euro-Anpassung mitträgt. Proposta warnte, wenn die Kommunisten die unsoziale Regierungspolitik tolerieren, würden davon letztlich die radikalen Rechten profitieren, die sich dann als "einzig wahre Opposition" präsentieren. Aufgabe der Kommunisten sei es, im Parlament antikapitalistische Opposition zu betreiben und den Protest auf der Straße und in den Betrieben zu organisieren. Auf dem Parteitag 1995 stimmten 15% der Delegierten für den Antrag der Parteilinken, keine bürgerliche Regierung zu unterstützen. Im kommunistischen Jugendverband stand sogar ein Drittel hinter den Linken.

In Teilen der Arbeiterschaft reifte inzwischen die Erkenntnis, daß auch die angebliche Linksregierung nur das Geschäft des Kapitals mit anderen Mitteln betrieb. Der aus der Gewerkschaftsbewegung kommende PRC-Sekretär Fausto Bertinotti forderte daher die kommunistische Parlamentsfraktion auf, den nächsten Haushalt Prodis nicht zu unterstützen. Die Frage, ob die Kommunisten diesen Haushaltsentwurf trotz nur geringer sozialer Zugeständnisse mittragen sollten, spaltete die Partei. Die revolutionären Marxisten um Proposta forderten den sofortigen Austritt der Kommunisten aus der Regierungskoalition ohne Wenn und Aber. Bertinotti meinte, die Kommunisten sollten nur eine Zeitlang austreten, um dann gestärkt zurückzukommen und die Regierung nach links zu verschieben. Demgegenüber stand der PRC-Präsident Armando Cossuta, ein alter kommunistischer Kader und bis zum Ende der Sowjetunion treuer Anhänger des Moskauer Kremels, der nun völlig zum Sozialdemokraten verkommen ist. Nicht raus aus der Regierung, sondern vielmehr völlige Integration mit kommunistischen Ministern war seine Forderung. Es gelte, nicht mehr gegen den Kapitalismus zu kämpfen, sondern im Rahmen dieses Systems Verbesserungen für die Werktätigen zu erringen. Hinter Cossuta stehen ein Teil der alten Parteifunktionäre und der kommunalen Mandatsträger sowie 21 von 34 Parlamentsabgeordneten. Zufrieden mit den errungenen Pöstchen wollen diese Bürokraten ihre Stellung nicht durch eine radikalere Politik aufs Spiel setzen.

Auf der Sitzung des Nationalen Politischen Komitees der PRC bekommt Bertinotti die Mehrheit von 188 Stimmen. Cossutas gegensätzlicher Antrag hat 112 Delegierte hinter sich. Die Parteilinke, die auch den Kompromißkurs Bertinottis - raus aus der Regierung, um später wieder reinzugehen - ablehnt, zählt 24 Unterstützer. Obwohl die Cossuta-Anhänger im Parlament gegen die Weisung ihrer Parteiführung für Prodi stimmten, fehlt diesem eine Stimme, und die Regierung wird am 9.10. gestürzt. Cossuta gründete mit seinen Anhängern eine eigenen Formation, die "Partei der italienischen Kommunisten" (PCI). Umfragen unter den Wählern haben ergeben, daß 5,3% weiterhin der PRC treu bleiben, während 3,5% für die angepaßte PCI entscheiden. Die PRC hat v.a. unter Intellektuellen und Kleinbürgern verloren, für die die soziale Frage nicht im Mittelpunkt steht. Dafür kann sie auf die Unterstützung vieler Arbeiter zählen, die schon länger eine radikalere Politik einklagten. Wegen ihrer Prinzipienfestigkeit machen die revolutionären Marxisten um "Proposta" die Partei für radikalisierte Jugendliche attraktiv, denen die PRC bisher zu systemkonform war.

Italienische Lehren

Linke Kommentatoren werfen Bertinotti vor, leichtfertig aus egoistischen Motiven eine Linksregierung verspielt zu haben. Sollte es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, würden die Rechten triumphieren. Demgegenüber steht die Befürchtung, gerade die radikale Rechte würde auch bei regulären Wahlen dazugewinnen, weil PRC bei weiterer Regierungsunterstützung als radikale Oppositionskraft ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt hätte. Wollen sich die italienischen Kommunisten in der PRC nicht weiter die Hände schmutzig machen an einer kapitalistischen Regierung, auf die sie keinen echten Einfluß haben, dann sollten sie den Vorschlägen der Parteilinken folgen. Es gilt, eine in den Betrieben und Gewerkschaften, an den Universitäten und in den Stadtvierteln verankerte kommunistische Arbeiterpartei aufzubauen. Die Aufgabe einer solchen Kraft ist die Organisation des Klassenkampfes und nicht das Taktieren im bürgerlichen Parlament.

Als PDS-Mitglieder hier in Deutschland sollten wir aus der italienischen Erfahrung lernen. Eine SPD-geführte Regierung wird keine grundsätzlich andere und sozialere Politik machen, wie ihr italienisches Gegenstück, da auch sie sich der Logik des realexistierenden Kapitalismus beugen muß. Eine PDS-Tolerierung oder sogar Koalition auf Länderebene in Ostdeutschland wird daran nichts ändern. So wird nur das Vertrauen in die PDS als antikapitalistische Oppositionskraft leichtfertig verspielt.

(Nick Brauns - aus: "WasTun" Nr. 11, Flugschrift der Kommunistischen Plattform der PDS München)

 

"Proposta" im Internet:

Die Zeitschrift der italienischen Marxisten ist im Internet (leider nur auf italienisch): http://www.geocities.com/CapitalHill/Lobby/3545/indice_proposta.html