Koalitionsvertrag

Atomkraft? - Irgendwann nicht mehr

Antiatomkraftbewegung und Umweltverbände sind zu Recht von den rosa-grünen Koalitionsvereinbarungen über einen Ausstieg aus der Atomenergie enttäuscht. Doch was war anderes zu erwarten? Schon als Schröder 1990 in Niedersachsen an die Macht kam, hielt er seine Versprechen nicht ein: Einst noch bei Demonstrationen in Gorleben dabei, wollte er als Minister die vier niedersächsischen AKW abschalten. Doch mit dem Abschalten hat er es längst nicht mehr eilig; 30 Jahre schweben ihm als Zeitrahmen vor. Dabei verankerte die SPD nach dem Reaktorunfall bei Tschernobyl in ihrem Parteiprogramm einen Ausstieg binnen 10 Jahren. Da die Grünen einen vermeintlichen Sofortausstieg in 5 Jahren favorisieren, legte mensch sich ganz einfach auf gar keine Frist fest. Genau das ist es, was jenen Teil des Koalitionsvertrages schlichtweg als Farce entblößt.

Dabei enthält er durchaus interessante Ansätze. So soll schon in den ersten 100 Tagen in dem Atomgesetz nicht mehr die Förderung der Atomkraftnutzung sondern deren Ende festgeschrieben werden. Angesichts der Privilegien, die die Atomlobby bislang genießt, ist dieser Satz nicht zu verachten - wenn er denn durchgesetzt würde. Ein Jahr lang wird Schröder ersteinmal wieder einer seiner Lieblingsbeschäftigungen nachgehen und Konsensgespräche mit den Energieversorgungsunternehmen (EVU) führen. Die neue Regierung will es sich ja nicht mit den Unternehmen verscherzen, schließlich pflegen einige Länder-SPD auch gute Beziehungen. Vor allem aber rechtfertigt die Koalition ihre halbherzigen Vereinbarungen mit den drohenden Entschädigungsforderungen. Die wären allein schon durch die bisherige Förderung der Atomkraft unverschämt. Denn jahrelang brauchten die EVU ihre Rückstellungen für eine Endlagerung nicht zu versteuern und konnten diese sogar gewinnbringend anlegen. Nach jenem Jahr wird es aber ernst!? - Dann soll nämlich ein Gesetz eingebracht werden, das über die Befristung von Betriebsgenehmigungen für die AKW den entschädungsfreien Ausstieg regelt, wann auch immer er erfolgen wird.

Durchbrechende Änderungen fehlen auch hinsichtlich der Entsorgung. Obwohl klar ist, daß die Entscheidung für den Standort Gorleben 1977 rein politischer Art war und der Salzstock aus fachlicher Sicht völlig ungeeignet ist, wird die "Erkundung" (sprich der Ausbau) laut Koalitionsvertrag nicht aufgegeben, sondern nur unterbrochen, um einen Vergleich mit noch zu untersuchenden Alternativen herbeizuführen. Rosa-grüner Traum ist die Beseitung radioaktiver Abfälle "etwa im Jahr 2030". Da jedoch bereits viel Geld in den Salzstock gesteckt wurde und laut Jüttner Gorleben als Zwischenlager weiterhin eine zentrale Rolle spielen wird, liegt die Vermutung nahe, daß das Endlager letztendlich doch dort entsteht.

Auch die Wiederaufbereitung, die die atomare Verseuchung der Gegenden um Sellafield und La Hague unterstützt, wird nicht sofort unterbunden. Stattdessen sollen die bisherigen Verträge, die schon für mehrere Jahre geschlossen wurden, auslaufen. Die ersten Warnungen von der französischen Regierungen trafen dennoch bereits bei Schröder ein.

Laut Vereinbarungen sollen außerdem bei jedem AKW Zwischenlagerkapazitäten geschaffen werden. Doch der Transport von hochradioaktiven Abfällen wird weitergehen: Richtung WAA (da die alten Verträge erfüllt werden dürfen), von dort ins Endlager (da das nicht existiert, also in die Zwischenlager) und in weiteren Fällen (wenn der Kraftwerksbetreiber den Bau von Zwischenlagern auf dem Betriebsgelände nicht vertreten kann). Mit dieser Zusage kann auch das AKW in Stade nochmals einer Abschaltung entgehen. Vom Transportskandal und etwaigen Konsequenzen ist im Koalitionsvertrag keine Rede mehr. Ebensowenig geht er auf das erhöhte Krebsrisiko im Umfeld von Atomanlagen wie z.B. Krümmel ein und unterstreicht damit selbst seine totale Unzulänglichkeit.

Im Abschnitt "Bildung, Forschung und Wissenschaft stärken" klingt es dann auch schon ganz anders. Hier überlegt mensch nicht, gar auf den seit 1996 im Bau befindlichen Forschungsreaktor München II zu verzichten, nein, er soll umgerüstet werden, da der Betrieb mit 93%ig angereichertem Uran u.a. als problematisch angesehen sei.

Den Vereinbarungen zufolge ist es schlußendlich sehr fraglich, ob, wie Trittin versicherte, die ältesten skandalumwobenen AKW, die sowieso längst abgeschrieben sind, noch in der laufenden Legislaturperiode abgeschaltet werden. Angesichts der von den atomaren Anlagen ausgehenden akuten Gefahr ist jeder zusätzliche Betriebstag von Atomkraftwerken ein Wagnis, zumal damit auch die nicht entsorgbare Menge an nuklearem Abfall zunimmt.

Die VertreterInnen der Antiatom-Bewegung, die sich zur Bundeskonferenz am 17./18. Oktober in Berlin trafen, übten schärfste Kritik an den Koalitionsvereinbarungen. Sie wollen mit dezentralen Aktionen Druck auf die kommunalen Energieversorger ausüben. Ein Sprecher erklärte: "Wir sind auch unter einer rot-grünen Regierung weiterhin Opposition und halten an unserer Forderung nach Sofortausstieg fest!"

(us)