Aus dem Kieler Rat

Alle Jahre wieder: Kaputtsparhaushalt

OB und Kämmerer Gansel legt Haushaltsentwurf '99 vor

Zwei "Sünden" macht OB Norbert Gansel aus, die "wir der Nachwelt überlassen": "Nach der Sünde der Atomkraftnutzung ist die Verschuldung der öffentlichen Haushalte die zweite." Deshalb sei es "eine moralische Aufgabe", den Haushalt der Stadt Kiel zu konsolidieren. Mit dem Haushaltsentwurf 1999 der Verwaltung, den er in der Ratsversammlung vom 29.10. vorlegte, glaubt Gansel sich der Absolution nun einen Schritt näher: Zum ersten Mal seit 1982 sei der Kernhaushalt der Landeshauptstadt ausgeglichen. Dennoch erinnerte sich Enkel Gansel an seinen OB-Großvater Andreas Gayk. Der hatte gesagt: "Ein Haushalt ist auch bei ausgeglichenem Saldo defizitär, wenn wirtschaftliche und soziale Aufgaben nicht erfüllt sind." Zumindest was letztere betrifft ist Gansels Haushalt hoch defizitär.

Aber: "Es gibt Defizite in der Gesellschaft, die wir nicht ausgleichen können", so Gansels lakonisches Fazit gleich zu Beginn seiner Haushaltsrede. Sein Argument für rigoroses Kaputtsparen: Die Stadt hat 940 Mio. DM Schulden. "Wenn wir so weitermachen sind es 2009, 1,3 Milliarden." Das Verhältnis von Schuldendienst (augenblicklich 32:56) werde sich dann auf 46:44 verschlechtern, d.h. 2009, so Gansels Horrorszenario, würden die Zinsen erstmals die Tilgung übersteigen.

Gansels Resümmee: "Sozialhilfeticket, Frauennachttaxi und dergleichen sind nicht finanzierbar. Wenn man derlei denn will, muß man sehen, wo man es woanders einspart." Sparen ist für Gansel zum Selbstzweck geworden. Daß die Daseinsvorsorge dabei vielfach nicht mehr gewährleistet ist, ist ihm schnuppe. Lediglich bei der Kultur hatte Gansel noch kurz vor Veröffentlichung seines Entwurfs ein leichtes Einsehen. Das geplante Sparvolumen von 240.000 DM wurde auf ein Zehntel reduziert. Aber auch das bringt die Bühnen der Landeshauptstadt und andere Kultureinrichtungen an den Rand des Exitus. Offenbar hat Gansel sich flüstern lassen, daß Kultur ein "weicher Standortfaktor" ist. Allerdings gab er gleich zu bedenken: "Kultur ist in diesem Haushalt im Vergleich zur direkten Wirtschaftsförderung ein extrem hoher Posten."

Trotz der rigiden Sparpolitik, für die Gansel mit dem scheinheiligen Appell warb, "wir müssen die Einschränkungen alle gemeinsam tragen", birgt der nunmehr ausgeglichene Haushalt weiterhin strukturelle Defizite. So mußte für die Konsolidierung die Rücklage in Höhe von 12,3 Mio. DM aufgelöst werden. "Nicht rentierliche Investitionen" werden nicht aus Überschüssen im Verwaltungshaushalt finanziert, sondern durch Kredite (44 Mio. DM). Das Vermögen der Stadt werde durch mangelnde Pflege um ca. 1 Mio. DM pro Jahr sinken. Für Abschreibungen könne keine Reserve "auf die hohe Kante" gelegt werden. Sprich die Stadt lebt von der Substanz. Ferner gebe es Risiken, die den ausgeglichenen Saldo gefährden könnten, etwa die negative Einwohnerentwicklung. Pro wegziehendem Bewohner der Stadt gingen dem Haushalt 1.500 DM bei den Schlüsselzuweisungen im kommunalen Finanzausgleich verloren.

Operation erfolgreich - Patient (fast) tot

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Jürgen Fenske stand Gansel an Pathos nicht nach. Wie 1989 sei auch 1998 ein "Wendejahr", in dem der Haushalt erstmals seit Jahren ausgeglichen sei. Dazu bedürfe es, so das gebetsmühlenartig-bigotte Lamento der SPD, "schmerzhafter Einschnitte". Doch "der Patient braucht diese Operation, um wieder auf eigenen Füßen zu stehen". Dennoch könne "von Kaputtsparen nicht die Rede sein", die Hauhaltskonsolidierung sei "kein Selbstzweck". Der Grundsatz für die Haushaltsberatungen im Rat (Dezember-Sitzung) müsse sein: "alternativ statt additiv". Lediglich bei der Kultur, so räumte Fenske ein, sei "die kritische Masse erreicht", deshalb dürfe hier nicht weiter eingespart werden, obwohl es "keine Tabus geben" dürfe. Wie wenig Konzeptuelles hinter Gansels Sparvorschlag steht, zeigte auch Fenske mit seiner Äußerung, Hauptaufgabe (!) sei es, "die Lasten gerecht zu verteilen". Viel mehr als diese Art von "Gerechtigkeit" wird also von der SPD bei den Haushaltsberatungen nicht zu erwarten sein.

Lutz Oschmann von den grünen Fraktion warnte vor den Folgekosten der Sparpolitik. Bei der Streichung des Sozialhilfetickets müsse man z.B. auch bedenken, daß dadurch die z.T. stadteigene KVAG weniger Einnahmen habe. Im übrigen sei nicht der Haushaltsansatz entscheidend, sondern erst im Haushaltsvollzug werde sich zeigen, ob Gansels ausgeglichener Haushalt auch dann noch ausgeglichen bleibe. In Sachen der "nur" um 10% gekürzten Zuwendungen für die soziokulturellen Zentren forderte Oschmann 100%. Schon durch die Inflation sei bei Beibehaltung des bisherigen Zuschusses eine Kürzung zu verzeichnen.

Wolfgang Kottek (SUK) lobte, der OB habe "es nach vier Jahren geschafft, SUK-Anträge zum Haushalt endlich umzusetzen". Die CDU hingegen trat gar nicht erst ans Redepult, um den OB und Kämmerer für die Umsetzung ihrer Kaputtsparziele zu loben. Am breiten Grinsen von Arne Wulff (Fraktionsvorsitzender) war schon während Gansels Rede vollste Zufriedenheit abzulesen gewesen.

(jm)

Die wichtigsten Daten des Kaputtsparhaushalts:

  • Volumen des Verwaltungshaushaltes: 1.132.555.100 DM (-46 Mio. = -3,9% gegenüber 1998)
  • Volumen des Vermögenshaushaltes: 205.429.300 DM (-21 Mio. = -9,5%)
  • Gesamthaushalt: 1.337.984.400 DM (-67 Mio. = -4,8%)
  • Kreditbedarf: 82,5 Mio. DM (davon - laut Gansel - 38,4 Mio. als rentierlich anzusehen)
  • Netto-Kreditzuwachs pro Jahr: 35 Mio. DM - doppelt so viele Neuschulden, wie zurückgezahlt werden