Herr, send' Hirn!

"Auf dem rechten Auge blind" zu sein, ist ein Vorwurf, den man gerade in Deutschland und gerade heutzutage so einigen seiner Mitmenschen machen kann. Daß nun ausgerechnet ich mich - seit jeher ein Kämpfer gegen alles Böse und Schlechte auf der Welt - mit diesem Vorwurf auseinandersetzen muß, stimmt mich traurig, ist allerdings nicht ganz ungerechtfertigt: Immer, wenn ich in den letzten zwölf Jahren mit dem Rad oder dem Bus aus der Kieler Innenstadt kommend die Bergstraße Richtung Dreiecksplatz hochfuhr, drehte sich mein Kopf automatisch nach links, um sich dann verständnislos zu schütteln. Anlaß meiner wohl nie endenden Fassungslosigkeit immer wieder: ein Schild, weiß auf schwarzem Grund - "Musikwerkstatt H. Böll". In den ersten Jahren beschäftigten mich eher die Basisfragen: Was hat dieser dunkelste aller Schuppen des Diskothekenkomplexes mit einer Werkstatt zu tun und was, bitte, verbindet Dark-Wave-Freunde, Böhse Onkelz-Liebhaber und ganz normale Nazis mit dem Links-Katholiken, Gruppe 47-Mitglied und in den 70ern als Terroristensympathisant geschmähten Schriftsteller Heinrich Böll?

Später kamen dann die Detailaspekte: Was ist eigentlich mit Bölls Sohn René, ein elender Prozeß-Hansel, der dauernd gegen Eckard Henscheid, die Zeitschrift Titanic und andere, die seiner Meinung nach das Andenken seines Vaters beflecken, Verfahren anstrengt? Oder: Wäre die berühmte Kieler Heinrich-Böll-Kontroverse - nachzuverfolgen in der Zeitschrift Gegenwind, etwa zwei Jahre nach der noch berühmteren Kurdistan-Debatte - anders verlaufen, wenn Heinrich kurz vor seinem Tod persönlich im "Böll" vorbeigeschaut hätte?

All dies - im nachhinein betrachtet - völlig unwichtige Überlegungen - vertane Zeit. Nach rechts hätte ich schauen sollen. Nein, nicht der unglaublichen Mega-Hamburger vom Imbiss Aurette (auszusprechen, wie man's liest) wegen und auch nicht, um mich näher mit Salman, "dem Mann, der den Döner nach Kiel brachte", zu beschäftigen. Eine Wäscherei ist es, die mein Gehirn - sonst nur allzu gern bereit, sich mit Absonderlichkeiten zu befassen - jahrelang ignorierte: "Weiße Rose"! Warum, um Himmels Willen, dieser Name für eine Wäscherei in Kiel? Hatte Norbert Gansel womöglich mal wieder etwas zur Chefsache erklärt, das Gedenken an den Antifaschistischen Widerstand nämlich? Vielleicht nach einer dieser Gedenkveranstaltungen im Rathaus am 8. Mai oder 9. November, hinterher beim Bier mit Ex-OB "Lucki" Luckhard, Silke Reyer und Professor Salewski? Oder war die Namensgebung nur eine Fingerübung für Lea Rosh, bevor sie sich an so etwas Gigantisches wie ein nationales Holocaust-Denkmal wagte? Am sympathischsten wäre mir die Version, daß ein kommunistischer Buchhändler Ende der 60er als Parteiauftrag eine linke Buchhandlung in Kiel eröffnen sollte, sich dabei aber schlicht etwas verhört hat.

Zu befürchten ist jedoch, daß in Wahrheit dahinter die Fraktion der Kieler PDS steckt, die jetzt mächtig in sozialistischer Tradition machen möchte, wozu nach ihrem Verständnis in erster Linie Kränze, Fahnen, Liedgut, Club-Cola und anderer Symbol-Klimbim gehören.

(C.S.)