KERNspalte

Jener Unfall auf der A 5 bei Heppenheim in der vergangenen Woche zeigte einmal mehr wie vermeintlich sicher Transporte von nuklearen Materialien machbar sind. Beim Aufprall eines Kleintransporters auf die Mittelleitplanke öffneten sich die Hecktüren, und die radioaktive Ladung verstreute sich auf die Fahrbahnen. Mehrere Behälter zerbrachen und wurden von nachfolgenden Fahrzeugen überfahren. Insgesamt wurden 277 Mikrosievert freigesetzt. Bei 5 spontan helfenden Autofahrern besteht nun der Verdacht auf Verstrahlung.

Weiter zurück liegend, jedoch jetzt erst in seinem Ausmaß bekannt geworden, ist ein Unfall bei der russischen Pazifikflotte in Chazma. Während Auswechselarbeiten in einem Atom-U-Boot stürzte ein Reaktor ab und explodierte. Dies geschah im August 1985, neun Monate vor dem GAU bei Tschernobyl, und wurde lange als "ganz gewöhnliche" Explosion vertuscht. Dabei wurde 1/10 (7 Mio. Curie) der Strahlung von Tschernobyl (50-80 Mio. Curie) frei. Die unmittelbaren Folgen: 10 Seeleute sofort tot, 290 verstrahlt ebenso wie die Umgebung.

Erhöhte Werte ergaben auch erneute Messungen von Greenpeace. Zum einen wies die Umweltgruppe nach, daß die Strahlungswerte in den Abgasen ser WAA in La Hague die zugelassenen Werte übersteigen. Die umfassenden Daten wurden in einer Computersimulation verarbeitet und zeigten eine deutliche Luftverschmutzung für West-Europa auf. Die Kunden der WAA bekämen so einen Teil ihres Abfalls über die Luft zurück, so Greenpeace. Außerdem fand sich in der Umgebung der Anlage eine 2-7 mal höhere C-14 Belastung als die natürliche. Auch in dieser Angelegenheit wußten offizielle Stellen bereits seit einigen Jahren Bescheid, ohne jedoch Schritte zur Unterbindung der Belastungen einzuleiten. In beiden Fällen gibt die Betreiberin Cogema selbst keine Auskunft zu den Emissionen aus ihrer Atomanlage.

Auch die Atomlobby in der BRD zeigt sich stur. So betont Viag-Vorstandschef Prof. Dr. Wilhelm Simson (!), einen entschädigungslosen Ausstieg innerhalb von fünf Jahren werde es nicht geben und droht mit dem Bau von AKW im Ausland. So will sich die Viag weiter an der Entwicklung des EPR beteiligen, der 2008 in Frankreich ans Netz gehen soll.

Der Vorstandsvorsitzende der Bayernwerke Otto Majewski pflichtet dem bei: je schneller der Ausstieg, desto teurer werde es. Aufgrund der bisherigen Investitionen fordert er eine Vollauslastung der Atomkraftwerke für 40 Jahre, sie sollten sicher (?) weiterbetrieben werden. Eines der "ekelhaftesten Themen" sei für ihn die Umkehr der Beweislast im Rahmen der Strahlengefahr, wie sie im Koalitionsvertrag angemeldet wurde. Der zuständige Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Rainer Baake (B 90/Grüne), wird hier hoffentlich seine Chance nutzen. Als hessischer Staatssekretär im Umweltministerium scheiterte er mehrere Male bei dem Versuch, das AKW Biblis stillzulegen, da er die Gefahren, die von der nuklearen Anlage ausgehen nicht nachweisen konnte.

Derweil sorgte die hessische Umweltministerin Priska Hinz für die Ablösung des Strahlenschutzbeauftragten in Biblis, da nach Zwischenergebnissen der im Mai verordneten Zuverlässigkeitsprüfung von RWE als Kraftwerksbetreiberin "erhebliche Bedenken gegen die Zuverlässigkeit" eben jenes Beauftragten bestünden; er habe seit rund zehn Jahren von Grenzwertüberschreitungen bei Brennelement-Transporten gewußt, jedoch diese weder unterbunden noch gemeldet.

Beruhigt durch Schröders Regierungserklärung befürchtet Majewski noch die härtere Linie der Grünen. Auf einer Veranstaltung in Münster, auf der die Gruppe Ökologie ihre Studie zu einem "ausstiegsorientierten Entsorgungskonzept" vorstellte, rief Rüdiger Sagel (B 90/Grüne) denn auch die AtomkraftgegnerInnen auf, weiterhin auf die Straße zu gehen, um Druck auf die SPD (und die Grünen - us) auszuüben.

(us)