Kultur

"Ich hab' 'ne eigene Behauptung!"

Der Kieler Autor Feridun Zaimoglu las in der Uni Hamburg

Soundcheck im stark hallenden Vorraum der Hamburger Uni-Bibliothek: Die Kieler Rap-Bands "Cinai Sebeke" (türkisch für "Da Crime Posse") und "MMF - Mit Methode Flow" braten ihre Verstärker warm. Angetreten sind die deutsch-türkischen Rapper zur Unterstützung ihres Freundes und Mitstreiters Feridun Zaimoglu. Der hat mit seinen Büchern "Kanak Sprak - 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft" und "Abschaum - Die wahre Geschichte von Ertan Ongun" in Kiel und weit darüber hinaus Furore gemacht. Nun liegt sein drittes Buch vor: "Koppstoff" - die Wiederholung der "Kanak Sprak" mit anderen Mitteln.

Nachdem Zaimoglu bei den Lesungen aus "Kanak Sprak" immer wieder gefragt wurde, warum in seinem Reigen aus stilisierten Interviews mit Türken der dritten Migranten-Generation nur Männer zu Wort kämen, hat er sich in "Koppstoff" der weiblichen Sicht auf das Problem Integrationsterror gewidmet. In "Koppstoff" kommen Türkinnen von der Rapperin über die Prostituierte bis hin zur gestylten Boutiquen-Insiderin und Putzfrau zu Wort. Als Enfant terrible der Migrantenliteratur häufig mißverstanden und von Talkshow zu Szene-Interview und Migranten-Podiumsdiskussionstisch gereicht, ist Zaimoglu in "Koppstoff" deutlich differenzierter geworden. Der harte Rap der "Kanak Sprak" ist in "Koppstoff" einer authentischeren, weniger stilisierten Sprache gewichen. Dennoch ist auch hier klar - was das Feuilleton über Feri gerne außer acht ließ: Zaimoglu hat nicht nur dokumentiert, sondern auch einen literarischen Text geschaffen. Daß dies ein Gegensatz sei, ist der häufigste Grund für die Verschubladung des Autors in die Ecke des aufrührerischen Türken.

Freilich: "Ich bin 'n taffer Liberalkiller", das Credo der Rapperin, die in "Koppstoff" als erste zu Wort kommt, gilt auch für Zaimoglu selbst. Fast predigend und mit der immer wieder zum Rap-Fingerzeig erhobenen Hand leiht Feridun ihr seine literarische Stimme und schickt "ne saftige Mahnung an die Scheißadresse" von harmoniesäuselnden Multikulti-Integratoren, in deren Kopf doch nur herumspukt, daß Integration dann am besten klappt, wenn sie das deutsch-grüne Gütesiegel trägt. "Mein Tarif heißt Fight", läßt Zaimoglu seine Figur - und das ist sie trotz authentischen Hintergrunds eines real geführten Interviews - sagen. Und eine Gemüseverkäuferin, die in "Koppstoff" dem Jammer ihrer Landsleute über das ach so kaltherzige Deutschland eine Absage erteilt, weiß selbstbewußt: "Kämpfen oder Klappe halten, eine andere Möglichkeit gibt es nicht."

Zaimoglu ist dabei der Vorkämpfer, wenn auch nicht nur in der Pose des aufwieglerischen "Malcolm X der Türken", wie ihn das Feuilleton reißerisch zu nennen beliebt. Nein, Feridun Zaimoglu ist ein Kämpfer im Fach Öffentlichkeitsarbeit. Dieses soziologisch-sozialpädagogisch anmutende Blaßwort wählt er als bewußtes Understatement für seine Arbeit. Denn jenseits der von Deutschen aufgedrückten Tarife Integration, Identität, Heimat bringt er zur Sprache, was Migrantinnen der dritten Generation in Deutschland denken. Und das läßt sich eben nicht in die von sozialer Schwermut befallenen Kategorien sogenannter Migrantenliteratur pressen, sondern fällt aus dem Rahmen - hinein in einen Existenzrahmen, den sich die von Zaimoglu porträtierten Frauen selbst stecken - selbstbestimmt, eigensinnig, kraftvoll.

 

"Öffentlichkeitsarbeiter" Feridun Zaimoglu

Nach der Rapperin läßt Zaimoglu eine Schülerin sprechen: Intelligente Einsicht in das von Deutschen erst zum Problem gemachte Thema Integration, die auch mal ohne den harten Beat, sondern leise aber weise daherkommt. Agil und selbstbewußt weiß sie zwischen den "Welten" traditionell türkisches Elternhaus und deutschen Verhältnissen zu wandeln, mal angepaßt, mal widerständig. Das "Schicksal", "Ausländerin" zu sein, tritt dabei in den Hintergrund. Zwischen den Spießigkeiten der deutschen und der türkischen Durchschnittsfamilie vermag sie kaum einen Unterschied auszumachen.

Woher auch? Zaimoglu und seine Figuren haben längst erkannt, daß die Grenzen weniger zwischen Nicht-Deutschen und Deutschen verlaufen, höchstens von deutschen Fremdenfeinden wie selbsternannten -freunden als solche konstruiert, sondern zwischen Oben und Unten, zwischen Anpassung und Assimilation versus widerständige Subkultur und ganz eigenem Lebensentwurf, wenn auch die "strikte Trennung zwischen Puderquaste und Grips was mit Deutschland zu tun hat", wie in "Koppstoff" eine modebewußte junge Türkin lakonisch zu Protokoll gibt. War diese neue Grenzziehung in "Kanak Sprak" nur zwischen den schimpfenden Zeilen herauszuhören, in "Abschaum" allzu sehr vom auch Spektakulären des Junkie-Daseins eines Türken übertönt, in "Koppstoff" wird sie als roter Faden deutlich. Und der ist wirklich rot, immer wieder antikapitalistisch, immer wieder anarchistisch im guten Sinne von Ablehnung jeglicher Herrschaft, sei sie auch "nur" die oktroyierter Begrifflichkeiten aus den muffigen Stuben von Migrantenvereinen und Ausländerbeauftragten.

Zaimoglu hält inne und zündet sich eine Zigarette an. Die Rapper sind wieder an der Reihe: "Rap ist nicht mein Leben, mein Leben ist Rap - Hiphop ist die Krankheit, wir das Symptom." Feridun lehnt sich zufrieden zurück. Das ist auch Öffentlichkeitsarbeit, scheint er zu denken. Ungefilterter Freestyle-Ausdruck, der eine neue Community ("Wir sind nicht Teil der deutschen Gesellschaft und nicht Teil der türkischen. Wir sind Teil unserer eigenen Gesellschaft.") längst konstituiert hat. Junge Männer und Frauen, die sich frei von Ideologie-Ballast über Konventionen hinwegsetzen und Gesellschaft neu formieren. Nicht mehr im Ghetto, sondern vielleicht sogar als Avantgarde einer neuen Entwicklung, die hier aufscheint und sich in den alten Kategorien Herrschaft versus Revolution nicht mehr messen läßt, vielmehr in einem einzelnen gerappten Wort trefflichen Ausdruck findet: "Represent!".

(jm)