Lokales

Almosen-Erfolgsstory

Kritische Anmerkungen zu Straßenzeitungen

"Trott-war" ist offensichtlich ein Wortspiel aus "trottoir" (Bürgersteig) und "war" (Krieg) und der Name einer Straßenzeitung in Stuttgart. Straßenzeitungen - diese eigenartige Mischung aus Selbsthilfeprojekt und neuer Spielart staatlicher Elendsverwaltung - gibt es seit Anfang der 90er in vielen bundesdeutschen Städten, etwa in Hamburg in Form der "Hinz und Kunz" oder in Kiel und Flensburg als "Hempels". "Trott-war" wird mangels öffentlicher Gelder nicht mehr lange erscheinen. Hingewiesen wird auf diesen Umstand mittels einer Plakatserie in Stuttgarter U-Bahnhöfen: Ernst blickende Straßenzeitungsverkäufer fragen den vorbeieilenden Passanten "Was soll aus mir bloß werden ohne Trott-war?" Keine Frage - für den einzelnen kann solch ein Projekt im Hinblick auf Selbstwertgefühl, Strukturierung des Alltags und Kontakt zu anderen Menschen sicher eine nicht zu unterschätzende Bedeutung haben. Nur - Almosen, und nichts anderes ist die Mark pro verkauftem Heft, ersetzen eben kein sicheres Einkommen.

Problematisch auch, daß der Erfolg eines solchen Zeitungsprojekts in erster Linie Produkt eines falschen, oft gegen Berber, Wohnungslose und SozialhilfeempfängerInnen gerichteten Denkens ist: Blick nach Kiel: Im Gegensatz zu Stuttgart scheint hier das Konzept "Aus der Gesellschaft Ausgekickte beweisen der Gesellschaft ihre Nützlichkeit" voll aufzugehen. Die Hempels boomt. Gestartet 1996 mit einer Auflage von 5.000, werden in diesem Monat 31.000 Exemplare an aufgeschlossene KielerInnen gebracht, es gibt Hempels-Redaktionen auch in Flensburg und auf Sylt, 20 befristete Stellen konnten geschaffen werden.

Zustande kommen konnte diese Erfolgsstory v.a., weil der Kieler die Einübung kapitalistischer Arbeitsethik - geschieht sie auch auf noch so niedrigem finanziellen Niveau - honoriert. BürgerInnen, die sonst gerne Steinbrüche oder ähnliches als Arbeitsmöglichkeit für Punks, Junkies oder wohnungslose Alkoholiker vorschlagen, sind begeistert, wenn auch am Rande der Gesellschaft Eigeninitiative gezeigt wird. Die durch Verkauf von 20 Hempels verdienten 10 DM gelten eben als ehrlich und redlich verdient, im Gegensatz zu den mit kaltem Hintern und viel psychologischem Geschick zusammengeschnorrten 10 DM.

Dabei ist es doch sowas von egal, ob man sein Gewissen durch das Hineinlegen eines Zehners in den Hut neben dem Hund - "2 Freunde auf Wanderschaft bitten um eine milde Gabe" - erleichtert oder durch den Kauf einer Zeitung, die schätzungsweise nur von 50% der Kunden gelesen wird (bei der jüngsten Ausgabe mit Gratis-PR für die "Böhsen Onkelz" durchaus nachvollziehbar).

Interessant auch der Aspekt, daß Sozial- und Arbeitsamt, sonst immer eifrig dabei, jeden dazuverdienten Kleinstbetrag, der das Leben etwas sonniger werden läßt, auf Sozial- und Arbeitslosenhilfe anzurechnen, sich im Fall von HempelsverkäuferInnen großzügiger als üblich verhalten. Gut möglich, daß Hempels' "Vision, den Menschen ein Forum zur Verständigung (sic!) zwischen Arm und Reich zu schaffen" sogar die Herzen ansonsten eher hartherziger SachbearbeiterInnen erweicht.

Bei aller Kritik an der Funktion dieser Stadtzeitungsprojekte - die Möglichkeit zur Artikulation, die Hempels und ähnliche Projekte Menschen geben, die sonst nicht viel zu melden haben, oder auch der fortschrittliche Gedanke, Menschen in die Lage zu versetzen, eine eigene Zeitung herzustellen, ist natürlich politisch zu unterstützen. Solche positiven Aspekte sind allerdings bei den "Tafel"-Projekten (Kieler Tafel, Götterspeise in Flensburg) schon schwerer auszumachen. Das Hohelied der Ehrenamtlichkeit, das die InitiatorInnen der diversen Tafeln singen, weist eher in die Richtung neoliberaler Armutspolitik à la USA, wo durch "socialsponsporing" finanzierte Suppenküchen Sozialhilfe ersetzen. Wenn eine "Tafel"-Mitarbeiterin (vor einigen Wochen in einem TV-Bericht auf N3) als Motiv für ihr Engagement angibt, "von dem Glück, das sie im Leben hatte, anderen etwas abgeben zu wollen", sitzt sie einem großen Irrtum auf. Was sie in ihrem Bestreben nach Sinnstiftung in einem mitunter tristen Besserverdienendendasein gibt, ist nichts anderes als Lebensmittel jenseits der Haltbarkeitsgrenze.

(C.S.)