Kommentar

Wiederkehr der Vergangenheit

Verbrechen der Wehrmacht, Gold von ermordeten Juden in Schweizer Banktresoren, Zwangsarbeiter bei Siemens und Volkswagen, braune Flecken auf den bisher weiß geglaubten Westen von Großunternehmen wie z.B. Bertelsmann - wir erleben derzeit geradezu ein Wiedergängertum der Nazi-Vergangenheit. Was lange unter den "Mantel der Geschichte", den der Ex-Bundeskanzler so oft durch seine mächtigen Pranken streifen fühlte, gekehrt wurde, gerät nunmehr wieder ins Licht der Öffentlichkeit - 8 Jahre nach der "Wiedervereinigung", mit der die "deutsche Frage" mitsamt ihrer Vergangenheit doch endgültig vorüber sein sollte. Eine "ganz normale Nation" soll Deutschland wieder sein. Mit "ganz normalem" Militär, das in aller Welt deutsche Interessen mit der Waffe in der Hand durchsetzen darf. Und mit einer wieder rein gewaschenen Geschichte, indem mit dem Fall des "SED-Unrechtsregimes" auch gleich die Nazi-Vergangenheit getilgt wird, getreu einer Totalitarismusthese, für die Braun und Rot gleiche Farben sind und die als Abrechnung mit der "zweiten Diktatur auf deutschem Boden" die endgültige Verdrängung der "ersten" nachholt.

Doch die Vergangenheit kehrt wieder. Sie ist einfach nicht totzukriegen. Zum Leidwesen von zartbesaiteten, ex-linken Literaten à la Martin Walser. Die können "die ständige Wiederholung" von Bildern der Vernichtung aus Auschwitz nicht mehr sehen und wollen sich und das "deutsche Volk" von "Auschwitz als Moralkeule" befreien. Als deutsche Gutmenschen bemänteln sie ihre Verdrängungssucht zwar mit der Warnung vor drohender Abstumpfung gegenüber den Nachtmaren der Geschichte, doch ist allein der Wunsch, die Endlösung der Schuldfrage zu betreiben, der Vater ihrer Gedanken. Beifall ist solchen gewiß von den Schäubles, Herzogs und Schmidts - und der Vorwurf "geistigen Brandstiftertums" von einem Ignaz Bubis.

Der hat sich mit der Benennung der Wahrheit gehörig in die Nesseln gesetzt. Ganze Armadas von Leitartiklern und Polit-VIPs schlugen sich auf Walsers Seite. Und flugs war Bubis der böse Bube, der - unverständlich - nicht aufhören will, sich und uns an eine untilgbare Schuld zu erinnern, die im ausgehenden Jahrtausend ihresgleichen nicht findet.

Zugegeben, das klingt pathetisch. Herr Walser würde dem Schreiber dieser Zeilen vorwerfen, der wolle sich durch die Beschwörung der Schuld nur selber reinwaschen - so auch geschehen in seiner Brandstifterrede in der Frankfurter Paulskirche. Mag sein, daß das psychologisch nicht ganz falsch ist. Doch auch eine abgeduschte Schuld bleibt eine Schuld, selbst für die Nachgeborenen, für die es keine "Gnade der späten Geburt" gibt. "Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut", bat Bertolt Brecht als Verfolgter der Nazis, aber auch als Deutscher aus dem dänischen Exil, "gedenket unserer mit Nachsicht". Wir tauchen gerade erst auf aus der braunen Flut. Und Nachsicht sollte mit uns Deutschen niemand haben, der auch nur eine Tafel der Wehrmachtsausstellung betrachtet.

(jm)