Internationales

Kinder brauchen Macht!

Gewerkschaften, kirchliche Organisationen und Basisgruppen rund um den Globus haben ihr den Kampf angesagt: Kinderarbeit. Am 17.1. startete in Manila, auf den Phillipinen, ein internationaler Marsch, der auf das Problem aufmerksam machen soll. 250 Mio. Jungen und Mädchen haben weltweit Schulbank gegen Hacke, Pflug oder Webrahmen getauscht, so die Initiatoren. In den wenigsten Fällen geschah das freiwillig; im Gegenteil: Sklaverei ist weder in der Sexindustrie noch in anderen Gewerben eine Seltenheit. Doch was tun? Ist es mit einer Sozial-Charta als Ergänzung des Welthandelsabkommens (WTO) getan, wie es einigen Organisationen im Norden vorschwebt? LinX sprach darüber mit Agnes Khoo, die in Hongkong ein Netzwerk asiatischer Frauengewerkschaftsgruppen organisiert.

(wop)


LinX: Frau Khoo, Ihre Organisation lehnte es ab, in Hongkong eine Etappe für den globalen Marsch gegen Kinderarbeit zu organisieren. Warum?

Agnes Khoo (A.K.): Mit nur drei Mitarbeitern fehlt es uns an den Ressourcen dafür. Außerdem liegt unser Schwerpunkt woanders, nämlich in der Koordinierung von Arbeiterinnengruppen. Aber selbstverständlich sind wir nicht gegen die Kampagne, auch ich persönlich nicht. Allerdings habe ich einige Vorbehalte.

LinX: Wie sehen die aus?

A.K.: Zunächst muß ich sagen, daß ich natürlich jede Form der Ausbeutung von Kindern ablehne, wie ich überhaupt gegen Ausbeutung und Unterdrückung jeder Art bin, ob sie nun Arbeiter, Frauen oder Minderheiten betrifft.

Aber ich denke, man kann Kinderarbeit nicht abschaffen, ohne das zugrundeliegende Problem berührt zu haben. Und das ist die Armut. Vor allem in Ländern der Dritten Welt müssen viele Kinder zum Familieneinkommen beitragen, das sonst nicht ausreichen würde.

Was würde passieren, wenn man Kinderarbeit verbietet und die Kinder auf die Straße setzt? Oftmals sind die Bedingungen nicht so, daß sie einfach zur Schule gehen könnten. Letztendlich wären sie in einer schlechteren Situation.

LinX: Ein Teufelskreis, oder? Solange die Kinder arbeiten, können sie nicht zur Schule gehen. Und solange sie keinen Zugang zur Bildung haben, gibt es für sie keinen Ausgang aus der Armut.

A.K.: Natürlich. Unter normalen Umständen sollten Kinder zur Schule gehen können und danach eine Ausbildung finden. Aber in vielen Teilen Asiens sieht das heute anders aus. Bildung bedeutet nicht mehr automatisch Beschäftigung, und Kinder haben unter den gegebenen Dritte-Welt-Bedingungen nicht automatisch das Privileg, zur Schule gehen zu können. Das ist ein fundamentales strukturelles Problem. Um das zu lösen braucht man differenzierte Kurzzeit- und Langzeitstrategien.

LinX: Zum Beispiel?

A.K.: Z.B. sollten unsere Regierungen begreifen, daß ihre Entwicklungmodelle unausgewogen sind. Sie drängen einen Teil der Gesellschaft an den Rand. Diese Gruppen haben dann mehr als der Rest unter Armut und Ausbeutung zu leiden. Als allererstes müßten die asiatischen Regierungen also ihre Wirtschaftspolitik ändern und den Wohlstand gleichmäßig verteilen. Oder - wenn man nicht von Wohlstand reden kann - zumindest die Armut.

Außerdem muß man zwischen verschiedenen Formen der Kinderarbeit unterscheiden. Ich denke, es macht keinen Sinn, Mithilfe von Kindern in Familienbetrieben in einen Topf mit Kindersex zu werfen, um die extremste Form der Ausbeutung von Kindern zu nennen.

Letztere ist z.B. auf den Phillipinen oder in Thailand verbreitet, wo v.a. Touristen aus westlichen Ländern - besonders aus Deutschland - Kinderprostituierte kaufen. Die Regierungen fördern das noch mit ihrer Tourismuspolitik, und die Polizei drückt beide Augen zu und kassiert Schmiergelder. Mitunter ist sie auch direkt am Rot-Licht-Geschäft beteiligt.

LinX: Was kann man dagegen tun?

A.K.: Die Kinder brauchen mehr Macht. Das gilt für alle Bereiche: Für die Sexindustrie, wo die Ohnmacht besonders krass ist, wie für die Fabriken, wo die Kinder schlechter als Erwachsene bezahlt werden. Sie brauchen die Möglichkeit, sich zu organisieren, um gemeinsam ihre Interessen gegenüber den Unternehmern vertreten zu können. Natürlich heißt das nicht, daß sie arbeiten sollen, wenn sie nicht müßten.

Aber solange die Verhältnisse sind, wie sie sind, müssen ihnen die Mittel in die Hand gegeben werden, sich zu wehren und für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

Tatsächlich sind diese Kinder oftmals schon sehr erwachsen. Die können sehr gut für sich selbst denken und wissen am besten, was gut für sie ist. Aber natürlich brauchen sie Unterstützung. Von der Regierung, von der Arbeiterbewegung und von anderen Gruppen.

Das ist etwas, was ich bei den Gruppen aus dem Norden vermisse. Sie vertreten ein paternalistisches Konzept. Im Westen scheint man die Kinder vollständig beschützen, ihnen keine Verantwortung geben zu wollen. In Asien sieht man das etwas anders. Durch eine lange Geschichte von Armut ist es vollkommen normal, daß den Kindern schon sehr früh Verantwortung für Geschwister oder für die Familie übertragen wird.

Aber mit ihrem paternalistischen Anspruch fällt den etablierten Gewerkschaften, sagen wir in Holland oder in Deutschland, nichts anderes ein, als Kinderarbeit zu verbieten oder entsprechende Produkte zu boykottieren. Das ist eine Politik, die den Kindern nicht hilft, sondern sie auf die Straße setzt. Mit dieser Politik läuft man im Norden sogar Gefahr, einfach nur Protektionismus zu betreiben. Manchmal habe ich den Verdacht, die Gewerkschaften in den Industrieländern wollen einfach nur die Interessen ihrer Mitglieder gegen die angeblich so aggressiven asiatischen Exportindustrien schützen.

Was auch immer die Motive der beteiligten Gruppen im Norden sind, ich denke, daß Menschenrechte ganzheitlich betrachtet werden müssen: Politische, ökonomische und soziale Rechte gehören zusammen. Und Rechte werden nur dann wirklich wahrgenommen und verteidigt, wenn sie selbst errungen sind. Von unten, sozusagen. Rechte die uns nur gegeben werden, können genauso leicht wieder genommen werden. Ich erwarte von den Gewerkschaften in den reichen Ländern also, daß sie Organisierungsprogramme (inpowerment programmes) in Asien unterstützen, anstatt über Handelssanktionen oder andere Strafmaßnahmen nachzudenken. Die treffen letztendlich nur die Kinder.

LinX: Wir danken für das Gespräch.