Kommentar

Der Säbel des Weltpolizisten wird stumpfer

Die US-Regierung trommelt wieder zum Streite gegen den bösen Irak. Doch im Unterschied zum Golfkrieg von 1991 wollen die Legionen diesmal nicht zur Musterung antreten. Bis zu den ehemals engsten Verbündeten werden in ungewohnter Offenheit Zweifel am Sinn der amerikanischen Drohungen geäußert.

Jede der beteiligten Regierungen hat gute Gründe, den bevorstehenden Waffengang um beinahe jeden Preis zu vermeiden. Alle arabischen Staaten, und mit ihnen die Türkei, wissen sich diesmal darin einig, daß jedes militärische Eingreifen zur gänzlichen Explosion des Nahen Ostens führen könnte. Rußland muß weniger um seine Rolle als Rest-Weltmacht denn vielmehr um die wertvollen wirtschaftlichen Beziehungen nach Süden fürchten. Dies gilt mit Einschränkungen auch für die europäischen NATO-Staaten. Frankreich und diesmal sogar Bonn/Berlin setzen sich vorsichtig im Einvernehmen mit Jelzin nach rückwärts ab.

Amerikas Regierung will es einfach nicht gelingen, einen Kriegsgrund zu konstruieren, der zugkräftig genug wäre, daß alle anderen sich dahinter verstecken können. Diese Beobachtung lenkt den Blick hin zum amerikanischen Selbstverständnis als einzige Weltmacht und Weltpolizist im Auftrage der UNO. Die USA haben in ihrer weltpolitischen Mixtur aus Wirtschaftsinteressen und moralischen Ansprüchen schon immer mit vielerlei Maß gemessen. Das ließ sich einfacher verkaufen, solange man in den beiden antagonistischen Machtblöcken auseinanderlaufende Interessen zusammenzwingen konnte. Doch erst seit der andere Kanal mit dem realsozialistischen Kontrastprogramm abgeschaltet ist, haben alle anderen Regierungen die Möglichkeit, sich im Verhältnis zu Amerika neu zu positionieren, ohne der alten Blocklogik - für uns oder gegen uns, tertium non datur - ausgeliefert zu sein. Die amerikanische Weltpolitik läßt sich nun endlich als das durchschauen, was sie ist und immer war: ganz gewöhnliche Interessendurchsetzung: einerseits natürlich wirtschaftlich, andererseits zur Ablenkung von Sexaffären und innenpolitischen Unzuträglichkeiten.

Nur hat es Amerika nach dem scheinbaren Sieg über die "Mächte des Bösen" nicht begriffen, daß es keine automatischen Gefolgschaften mehr gibt. Die Planstelle des UNO-Weltpolizisten wird unglaubwürdig, wenn dieser Polizist den Sicherheitsrat blockiert, die UN-Organisationen durch finanzielle Erpressung auf Linie zu trimmen versucht und seine Exportquoten mit Wirtschaftsblockaden durchboxt. Es besteht die Gefahr, besser die Hoffnung, daß die Welt zunehmend von den USA einfach nur genervt ist und sich vom zeternden Schutzmann abwendet, um sich mit den wirklich wichtigen Dingen zu beschäftigen.

(indie)