Aus dem Kieler Rat

Schwentine-Schule wird geschleift

Am 5.2. fiel im Bauausschuß des Kieler Rates die Entscheidung: Die Schwentine-Schule in Neumühlen-Dietrichsdorf wird abgerissen, sie muß dem 4-spurigen Ausbau der Schönkirchener Straße weichen. Dagegen wehrten sich mit einer Demonstration vor und während der Ratssitzung am 12.2. etwa 50 betroffene Anwohner, Künstler und Kulturinteressierte. Die Schwentine-Schule hatte sich in den letzten Jahren zu einem kleinen aber feinen Künstlerhaus auf dem Ostufer entwickelt. Künstler wie der mehrfach ausgezeichnete Ioerg B. arbeiteten und stellten dort aus, zuletzt der Maler und Tanzkünstler Raimund Driesen.

Oben: Planung der Stadt, bei der alte Kastanien (A) der Straße geopfert werden, geschädigte Bäume (B) aber stehengelassen werden, bei der eine sinnlose Verbreiterung des Mittelstreifens (C) dazu führt, daß die historisch wertvolle Schwentine-Schule (D) minimal vom Rad- und Fußweg (E) berührt wird und deshalb abgerissen werden soll.

 

 

 

 

 

Zwei mögliche Alternativen, die zeigen, daß trotz eines 4-spurigen Ausbaus der Abriß der Schwentine-Schule unnötig ist. Einmal ohne Mittelstreifen (Mitte), zum anderen mit begradigtem Mittelstreifen (unten).

Schon im Dezember drohte entgegen vieler Stimmen vor allem auch von berufener Seite (etwa Prof. Bernhard Schwichtenberg, Sprecher des schleswig-holsteinischen Landesverbands Bildender Künstler, oder Heide Simonis, die mehr Kultur auf dem Ostufer forderte) die Abrißbirne. Doch das Liegenschaftsamt räumte noch eine Galgenfrist ein. Insofern kommt der Protest etwas verspätet, ist jedoch nicht minder berechtigt. Denn es geht eigentlich nur um drei schmale Meter, die eine Ecke der Schwentine-Schule bei der von der Stadt geplanten Trassenführung in den Rad- und Fußweg hineinragt. Die Bewahrer der Schwentine-Schule machten gleich zwei Vorschläge, wie bei etwas veränderter Trassenführung (siehe Abbildung) die Schwentine-Schule stehenbleiben könnte. Nach den Plänen der Stadt soll es zwischen den jeweils zwei Spuren einen Mittelstreifen mit Baumbestand geben. Diese "ökologische" Komponente ist jedoch nur eine Schimäre, denn auf dem Mittelstreifen werden bereits abgasgeschädigte Bäume stehengelassen, während etwa 50 Meter weiter gesunde Kastanien der Trasse zum Opfer fallen. Zudem ist es nicht die eigentliche Straße, die die Schwentine-Schule "ankratzt", sondern der Rad- und Fußweg, der auch hinter dem Haus entlang geführt werden könnte. Diesen Vorschlag wies Stadtbaurat Otto Flagge in der kurzen Diskussion über die Einwohneranfrage zur Schwentine-Schule am Beginn der Ratssitzung mit dem Argument zurück, zwischen der Rückfront der Schule und der Lärmschutzwand würde der Radweg dann durch eine unübersichtliche "Angstzone" führen.

Protest gegen drohenden Abriß (Foto: jm)

Die Vorschläge der Abrißgegner seien im Bauausschuß gar nicht geprüft worden, sagte Christina Haverkamp, Stellerin der Einwohneranfrage. Flagge wies in seiner Antwort diese Kritik mit dem Totschlägerargument zurück, über den Ausbau der B 502 (in dessen Rahmen auch die Schönkirchener Straße verbreitert werden soll) sei "seit 30 Jahren" diskutiert worden, welche Diskussion "die Stadt Kiel nun zu einem insgesamt verträglichen Ende führen" müsse. Überdies werde die Trasse etwa einen Meter unter dem bisherigen Niveau geführt, so daß auch eine Verlegung von Rad- und Fußweg hinter die Schule "nur unter erschwerten Bedingungen und finanziellen Aufwendungen möglich" sei.

Zweifelhaft bleibt überdies, so die Abrißgegner, ob der 4-spurige Ausbau überhaupt den Erfolg bringt, den die Straßenbauer erhoffen, nämlich einen Abbau der chronischen Staus an der Einmündung der Schönkirchener Straße auf den Ostring kurz nach der Schwentine-Brücke. Die geplante Trasse wird auf einer Strecke von 800 Meter vom Oppendorfer Weg bis zum Strohredder drei weitere Ampelanlagen erfordern, an denen Staus entstehen werden. Der 4-spurige Ausbau, sagen die Abrißgegner, wird also keinen besseren Verkehrsfluß ermöglichen als ein Belassen der zwei Spuren in Verbindung mit einer intelligenten Ampelschaltung. Dagegen wandte Flagge ein, "selbst ohne Kreuzungen und Einmündungen" könne eine zweispurige Straße die zu erwartende Belastung von "mehr als 40.000 Fahrzeugen" pro Tag nicht bewältigen. "Ampelschaltungen, wie intelligent auch immer, könnten dieses grundsätzliche Kapazitätsproblem nicht lösen."

Der Abriß von selbstorganisierten Künstlerhäusern, ohne daß die Stadt andere Liegenschaften bereitstellt, hat in Kiel Tradition. Für den Bau des Konsumtempels Sophienhof mußten 1981 die Häuser am Sophienblatt weichen, in denen eine rege Künstlerszene ein "Museum Sophienblatt" eingerichtet hatte. "Der Kündigungstermin für das 'Museum Sophienblatt' ist ihnen mitgeteilt worden, wo sie künftig wohnen, agieren, arbeiten, schauspielern und ausstellen können, müssen sie selbst herausfinden", zitierten die "Kieler Nachrichten" am 28.5.1981 eine Mitteilung des Kulturamts an Künstler wie z.B. Raffael Rheinsberg. Auf die Frage der "Schwentine-Schüler" nach einem Ausweichquartier antwortet Flagge, eine kurze Zeit Kulturdezernent, nunmehr nur wieder Stadtbaurat, nicht minder lapidar: "Um Ausweichräume hat die Stadt sich bemüht. Die Bereitstellung kann sie aber nicht garantieren."

War es am Sophienblatt der ungezügelte Konsum, dem die Kunst weichen mußte, ist es bei der Schwentine-Schule die "Freie Fahrt für freie Bürger". Die Kunst und auch die Stadtteilkultur bleiben wiedermal auf der 4-spurigen Strecke. Und Kiel bleibt kulturell gesehen so provinziell, wie es seine Stadtväter und -mütter in ihrer kleingeistigen Beschränktheit verdienen.

(jm)