Antifaschismus

Catel - eine unendliche Geschichte?

Ein Bild in der Kinderklinik dürfte symbolischen Wert für die Zustände an der CAU besitzen. Seit über zehn Jahren wird dort mit einem Bild der ehemalige Ordinarius für Kinderheilkunde, Prof. Dr. Werner Catel, geehrt.

1922 hatte dieser seine Laufbahn als Assistenzarzt an der Leipziger Universitätsklinik begonnen und war dabei - nach eigener Aussage - erstmals mit "idiotischen Monstren" in Berührung gekommen und hatte damit das Problem der Euthanasie als "Lebensaufgabe" entdeckt.

Konsequent war es daher nur, daß er als Leiter der Universitätskinderklinik in Leipzig bei der Kinder-Euthanasie im Nationalsozialismus "aus Überzeugung" mitmachte: Ende 1938 oder Anfang 1939 ging ein Gesuch im Amt IIb in der Berliner "Kanzlei des Führers der NSDAP" um Sterbehilfe ein, das ein Kind namens Knauer in der Leipziger Universitätsklinik bei Prof. Werner Catel betraf. Es ist das erste Kind, das getötet wurde.

Catel gehörte dem Gremium an, das die Kinder-Euthanasie bis Mai 1939 vorbereitet hatte. Danach war er einer der drei Gutachter, die entschieden, ohne die Kinder oder ein Krankenblatt gesehen zu haben. Ein Plus- oder Minuszeichen bedeuteten Tod oder Lebenlassen. "Die Gesamtzahl der durch mich erfolgten Begutachtungen schätze ich auf etwa 1.000 pro Jahr", bekannte er. Des weiteren nutzte er die extremen Forschungsmöglichkeiten in seinem Sinne, so z.B. zu "Sterilisierungsuntersuchungen an Zigeunerkindern" (eigene Aussage).

1954 wurde Catel als Ordinarius für Kinderheilkunde in Kiel angestellt, obgleich Landesregierung und Universität genaue Kenntnis darüber hatten, daß er an der Euthanasie beteiligt gewesen war. Erst 1960 emeritierte er - unter öffentlichem Druck - freiwillig. Dies war jedoch nicht als Abstandnahme von seinen alten Positionen und Handlungen zu verstehen: 1962 veröffentlichte Catel das Buch "Grenzsituationen des Lebens", 1966 "Leidminderung richtig verstanden". Er blieb Befürworter der Euthanasie, wie er sich zuvor schon verteidigt hatte, daß er "als Gutachter zu keiner Zeit eine Stellungnahme abgegeben, die er nicht schon vor 1933 für medizinisch gerechtfertigt gehalten habe". Ein Jahr später veröffentlichte er "Neue Gedichte" mit Versen wie "Sei nicht bang! / Es juble dein Blut! / Nicht Spiel eines Balles / Ordnung ist alles ...", 1974 seine Autobiographie "Leben im Widerstreit - Bekenntnisse eines Arztes", in der er sich als Gegner des Nationalsozialismus darstellte, der nach 1945 gehässig verfolgt wurde.

Als er 1981 starb, rühmte ihn die Universität in einer Todesanzeige, er habe "in vielfältiger Weise zum Wohle kranker Kinder beigetragen". Erst nach Protesten von Studierenden hatte sich die Uni-Leitung vom Wortlaut der Todesanzeige distanziert.

1984 schließlich bereitete die Universitätsspitze in einem Stiftungsrat, dem schon damals der Kanzler der CAU, Horst Neumann, angehörte, eine "Werner-Catel-Stiftung" und einen "Werner-Catel-Preis" vor, die nur durch öffentlichen Druck verhindert werden konnten (am 28.2.84 lehnte der Senat einstimmig ab).

Dafür wird Catel im Hörsaal der Kinderklinik bis heute durch ein Bild geehrt. Das Antifaschistische Uniplenum und die LiBuLi hatten dies an der Uni immer wieder thematisiert, so daß sich 1995 die damalige Rektorin Prof.Dr. Karin Peschel in einem Gespräch für die Entfernung des Bildes aussprach. Prof. Dr. Jürgen Schaub, damals wie heute Direktor der Kinderklinik, lehnte dies mit Verweis auf "die hohen fachlichen Verdienste" ab.

In den folgenden Jahren verwiesen auch die Fachschaftsliste (HSG) und der AStA auf diese Geschichte, so daß sie im Dezember 1997 von einem Vertreter der HSG Bündnis 90/Die Grünen auf einer Senatssitzung thematisiert wurde. Es wurde vorgeschlagen, dieses Bild zu entfernen oder durch Anbringung eines Informationsschildes auf die vorgenannten Tatsachen hinzuweisen. Als Ergebnis versprach der Rektor der Uni, Prof. Dr. Ruprecht Haensel, mit Prof. Schaub zu reden, da ja um die Jahreswende eh alle Bilder beschriftet werden sollten. Wie diese Beschriftung nach Schaubs Vorschlag aussehen sollte, erfuhren die Senatsmitglieder (12 ProfessorInnen, 6 Angestellte, 4 Studierende) dann im Februar 1998: Dort wurde ein Text vorgeschlagen, der Catel als engagierten klinischen Lehrer, als Verfasser verschiedener Publikationen, der 1939-45 Begutachter für Euthanasie gewesen war und nach 45 mehrere Anzeigen bekommen hatte, die 1969 rechtskräftig eingestellt werden mußten, bezeichnet. Mehr nicht!

Erst nach einer Diskussion wurde diese Frechheit zurückgewiesen und ein Antrag gestellt, der Prof. Schaub auffordert, eine Distanzierung deutlich zu machen (bei drei Enthaltungen angenommen). Ein solcher Text wird wohl auf der nächsten Senatssitzung vorgestellt werden. Es sind berechtigte Zweifel angebracht, ob Prof. Schaub überhaupt in der Lage ist, eine Distanzierung zu seinem Vorgänger zu schreiben. 1961 hatte der ehemalige Präsident des Landessozialgerichts, Dr. Buresch, in einer Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Affäre Heyde-Sawade (ein Arzt, der während des Faschismus Euthanasie-Aktionen gegen psychisch Kranke verantwortlich geleitet hatte und nach dem Krieg in Schleswig-Holstein unter dem falschen Namen "Sawade" jahrelang als psychiatrischer Gutachter für staatliche Stellen, u.a. das Landessozialgericht, tätig gewesen war) die allgemeine Stimmung in Kiel wiedergegeben: "Ich muß mich immer wieder darauf berufen, daß die allgemeine Stimmung (...) auch die gewesen sein muß, die Dinge nun einmal auf sich beruhen zu lassen." Wenig hat sich daran geändert: Catel ist nur der öffentlichste Fall von denen, die nach 1945 "oft dieselben Lehren wie während der Nazi-Zeit" verbreiteten und bis heute von der Universität geehrt werden.

Diesem endlich zu begegnen, würde bedeuten, bewußt auch die Re-Nazifizierung nach 1945 und die blockierte Aufarbeitung, die bis heute andauert, in einem breiten Diskurs an der Universität zu thematisieren. Ein erster Schritt wäre die Installation einer kleinen Dauerausstellung im Hörsaal der Kinderklinik, die die Euthanasie unter Einschluß der Rollen von Catel, Heyde und Creutzfeldt nach 1945 benennt. Dies wird jedoch beim augenblicklichen Stand der Dinge nur gegen den Widerstand der Uni-Leitung und des Direktors der Kinderklinik möglich sein.

(jhh)