Aufgeblättert

Hermannus Pfeiffer: Der Kapitalismus frißt seine Kinder

Eisernes Sparen bei den öffentlichen Aufgaben, "Zurückhaltung" bei den Löhnen, Senkung der viel zu hohen Lohnnebenkosten zur Entlastung der Unternehmen, Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung und Erhöhung der Mobilität und Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt - das sind die Standards, mit denen die wirtschafts- und sozialpolitische Diskussion in der BRD bestückt ist. Dabei ist es nicht nur so, daß diese Wirtschaftsphilosophie von den politischen Eliten oder von den "bürgerlichen Parteien" (SPDFDPCDUCSU) samt den ihnen zugetanen Medien und Fachmenschen in diesem Sinne propagiert wird. Schön wär's. Es gibt dagegen kaum noch grundlegendes Aufbegehren, die Spar- und Markt-Effizienz-Ideologie ist derart verinnerlicht, daß selbst offenkundig Leidtragende, Oppositionelle in Gewerkschaften und in Parteien vielfach verstummen, wenn Widerstand angesagt wäre. Dieses resignative Akzeptieren eines groben Unrechts wird offensichtlich gespeist von dem Mythos der "Globalisierung", die jene Vision einer Politik-Alternative oder überhaupt nur reformerischen Veränderung ausschließt.

Hermannus Pfeiffer, Wirtschaftswissenschaftler, ist freier Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und Sprecher der AG Banken und Versicherungen der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik Bremen ("Memo-Gruppe"). In seinem Buch "Der Kapitalismus frißt seine Kinder" hat er sich sehr ausführlich dem ideologischen Bombardement unter der Fahne der "Standort-Sicherung" angenommen. Sein Anspruch ist nicht, die theoretische "Kritik der politischen Ökonomie" im Jahre 1997 neu zu formulieren - er hat ein sehr lebendiges und realitätsnahes Buch geschrieben, das sich sehr detailliert mit den tatsächlichen Verhältnissen im neuen Deutschland auseinandersetzt.

Er nimmt sich der eingangs zitierten Stereotypen an und konfrontiert sie mit den tatsächlichen Gegebenheiten: Also: Ist beispielsweise die Arbeit in Deutschland wirklich "zu teuer", welche Vergleichsmaßstäbe werden herangezogen, was sagen die Unternehmerverbände und die ihnen nahestehenden Institute, wenn sie untereinander diskutieren? In diesem Sinne geht er alle Aspekte durch, die in den gängigen Slogans ihren Ausdruck gefunden haben. Was heißt "zu hohe Staatsverschuldung" - ist der Staat pleite? Er untersucht das Zustandekommen dieser Schulden und beleuchtet das Ausmaß.

Aber das Buch bleibt nicht bei der Enthüllung, beim kritischen "ökonomischen Einmaleins" stehen, sondern weist über die scheinbar zufälligen, sich selbst steuernden Marktkräfte hinaus auf die gezielte Politik der Herrschenden, die Konzepte des Neoliberalismus und den verschärften Konkurrenzkampf der reichen, führenden Wirtschaftsmächte.

Ausgehend von den tatsächlichen Zahlen internationaler Direktinvestitionen, des Außenhandels, von der Auslandsproduktion über die reale Bedeutung der "vierten technischen Revolution" (Transportwesen & Telekommunikation) kommt Pfeiffer zu eher entdramatisierenden Ergebnissen, was die angeblich neuen revolutionären Veränderungen im Gefolge der Globalisierung betrifft.

Wohl erkennt auch er erhebliche Gefahrenpotentiale in den sich verselbständigenden, instabilen internationalen Finanzmärkten ("Casino-Kapitalismus"), weist aber gleichfalls gegenüber den verschiedenen Zusammenbruchstheoretikern darauf hin, daß die Großbanken selbst dank erweiterter internationalen Integration vermehrt Sicherungsregularien entworfen haben, die möglichen Finanz-Crashs entgegenwirken sollen.

Im Fazit kommt das Mitglied der "Memo-Gruppe" auf mögliche alternative Konzepte zu sprechen: Natürlich propagiert Pfeiffer die Keynesianischen Rezepte eines verstärkten staatlichen Eingreifens zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit und zur "Zähmung des Kapitalismus". Sie mögen altbacken wirken, aber sie haben ein überzeugendes Argument auf ihrer Seite: Keynesianische Wirtschaftspolitik pur hat ihre praktische Feuertaufe immer noch vor sich, soll sie doch ersteinmal wirklich gewollt und angewendet werden!

Wer mehr über diese fundierte Kritik der "Standort-Deutschland"-Politik erfahren will, kann das Buch lesen oder aber: Er besucht das Tagesseminar der "werkstatt utopie und gedächtnis" am 21.3. in der Kieler Pumpe - Hermannus Pfeiffer ist einer der Hauptreferenten und stellt sich anschließend der Diskussion.

(Henning Nielsen, Flensburg)

Hermannus Pfeiffer: Der Kapitalismus frißt seine Kinder - Der Standort Deutschland, seine Gegner und seine glorreiche Zukunft, Köln (Payrossa-Vlg.) 1997, 218 S., DM 28.