Internationales

Manila: Internatinaler Frauentag im Zeichen der Wirtschaftskrise

Klassenkampf hat Priorität

Welcome Rotunda. Einer von Manilas brodelnden Verkehrsknotenpunkten. 12 Uhr. Der Platz am Rande der Kreuzung füllt sich langsam. Der Bühnen-LKW trifft ein und nimmt Aufstellung. 8. März, internationaler Frauentag. Lilane und rote Fahnen werden entrollt, bunte Transparente und Pappschilder ausgepackt.

Die Fahnen der KMU, der militanten Gewerkschaftsföderation, sind zu sehen, und natürlich die von Gabriela, einem nationalen Zusammenschluß diverser Frauengruppen. Organisationen der Indigenas gehören dazu, KMK, ein Verband von Arbeiterinnen-Organisationen, Samakana, ein Verein von Slumbewohnerinnen, Lesbengruppen, Studentinnen.

Eine Künstlergruppe hat ein naives Gemälde gemalt, das im Hintergrund der Bühne zeigt, worum es in diesem Jahr geht: Zornige Filipinos und Filipinas recken ihre Fäuste gegen Massenentlassungen und Peso-Krise, gegen Zerstörung von Slumsiedlungen und Militärabkommen mit den USA.

Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel. Zum Glück weht ein kräftiger Wind vom Meer herüber. Strohhüte finden reißenden Absatz. Der Verkehr braust an der Kundgebung vorbei.Taxi- und Jeepneyfahrer hupen, manche zum Gruß, manche, weil sie der Stau verärgert, manche aus Gewohnheit.

Doch die Reden können sie nicht übertönen, die Lautsprecher sind stark. Von der Wirtschaftsmisere ist die Rede. Immer wieder wird Präsident Fidel Ramos angegriffen, der ­ treuer Jünger des Freihandels und der Deregelierung ­ alle Schranken für transnationale Konzerne niedergerissen hat.

Die Folgen für die Filipinas sind katastrophal: Billige Konsumgüter aus den Industriestaaten konkurrieren die heimische Industrie nieder. Was bleibt sind Arbeitsplätze in den Freihandelszonen, die seit Ende der 80er wie Pilze aus dem Boden schießen. Dort bevorzugt man Frauen ­ junge Frauen, nicht älter als 23. Die sind unerfahren, weniger selbstbewußt und schwer von den Gewerkschaften zu organisieren.

Um so leichter kann man sie zwingen, länger zu arbeiten. Ein Arbeitstag von 12 oder 14 Stunden ist in Ramos' Unternehmerparadiesen, wie der Cavite-Freihandelszone im Süden Manilas, eher die Regel denn die Ausnahme. Und nicht immer werden Überstunden bezahlt. Wer sich weigert, fliegt.

Die meisten haben sowieso nur Zeitverträge, das macht die Sache einfacher. Erst vor einigen Jahren hat die Ramos-Administration sie im Rahmen des Modernisierungsprogramms "Philippinen 2000" legalisiert. Nach dem Gesetz dürfen Zeitverträge nicht länger als sechs Monate laufen. Danach muß verlängert werden. Nicht selten sind in den Sonderzonen Frauen gezwungen, sich dafür beim Vorarbeiter oder Abteilungsleiter zu prostituieren, wie Carla Mortel von KMK im Gespräch mit LinX berichtet.

Der Druck ist stark, Arbeitsplätze sind rar. Schon seit 1996 wird bei den Multis in den Freihandelszonen verstärkt entlassen, die gegenwärtige Krise verstärkt diesen Trend . Auch die exportorientierte Agrarindustrie setzt Arbeiter vor die Tür. Grund, so Gabriela in einem Papier zum 8. März: Fallende Weltmarktpreise für Zucker und Gummi. Die Vertreibung von Bauern für den Anbau von Cash Crops wie Schnittblumen sowie für die Anlage von Touristenzentren und Golfplätzen trägt das ihre dazu bei, das Arbeitslosenheer zu vergrößern.

Für immer mehr Frauen bleibt nur die Prostitution: Derzeit gibt es 400.000 registrierte Prostituierte auf den Philippinen. In vielen Regionen hat sich ihre Zahl in den letzten Jahren verdoppelt. Praktisch keines der neuen Touristen-Domizile ist ohne Bordell.

Zu den offiziellen Zahlen kommen Zehntausende von "Freiberuflerinnen" und etwa 100.000 Kinder-Prostituierte. Die Prostitution von Studentinnen zur Finanzierung der Studiengebühren ist ein offenes Geheimnis. Die geplante Anhebung der Gebühren zum neuen Semester, so eine Sprecherin der Gabriela-Jugend, wird daher mehr Prosti-Tuition bedeuten. ("Tuition" ist Englisch für Studiengebühr.)

Die lokalen Behörden, so Gabriela, profitieren unterdessen von der florierenden Sex-Industrie. Bordell-Lizenzen füllen ihre Kassen, und die Regierung ist froh über jeden Dollar und jede Mark, die die Touristen ins Land bringen. Weitere Zentren sollen entwickelt werden. Parlamentssprecher Jose de Venecia: "Laßt uns die Tourismusindustrie ankurbeln, um die negativen Effekte der Währungskrise zu minimieren."

Verständlich also, daß bei dieser Pest-oder-Cholera-Alternative für die Frauengruppen in diesem Jahr Wirtschaftskrise und Prostitution im Vordergrund stehen. "Klassenkampf hat für uns Priorität", so Mortel. "Das heißt nicht, daß wir die Frauenfrage als Nebenwiderspruch ansehen, aber nationale und soziale Befreiung sind mit der Frauenbefreiung eng verknüpft."

Die Kundgebung ist lang. Nach zwei Stunden setzt sich der Zug endlich in Bewegung. Die Mendiola-Brücke ist das Ziel. Schon seit den Zeiten des ehemaligen Diktators Marcos demonstriert man an diesem Ort in der Nachbarschaft des Präsidentenpalastes traditionell gegen die Regierung. Vor 11 Jahren, am 22.1.87, Corazon Aquino war bereits im Amt, richteten hier Soldaten ein Massaker unter Bauern an, die für eine Bodenreform demonstrierten. 19 Menschen starben, mindestens 100 wurden verletzt.

Doch Soldaten sind am Frauentag nicht zu sehen. Nicht einmal Polizei, die den Verkehr regeln würde. Bei Demonstrationen geht es heutzutage in Manila friedlicher zu, als in Gorleben oder Kreuzberg. Wie Berichte aus einer anderen Welt kommen einem da Meldungen von der Militarisierung des Landes vor. Doch die Ergebnisse dutzender Untersuchungskommissionen belegen: Verschwindenlassen und Folter sind auch 12 Jahre nach Marcos noch immer die Antwort der alten Eliten auf die Forderung nach Verteilung des Landes.

Auf halbem Wege trifft der Demonstrationszug auf eine Gewerkschaftskundgebung. Fahnen und Transparente der KMU tauchen die schmutzigen Fassden der engen Geschäftsstraße in leuchtendes Rot. Gemeinsam zieht man weiter, vorbei an den Elite-Universitäten des Landes. An einigen kostet ein Semester das Monatsgehalt eines Arbeiters.

Auf der Mendiola-Brücke gibt es ein Abschlußprogramm. 3.500 Teilnehmer zählen die Veranstalterinnen, wahrscheinlich sind es eher 3.000. Für den Großraum Manila mit seinen 11 Mio. Einwohnern nicht gerade viel. Kritiker meinen, daß hat damit zu tun, daß die illegale Kommunistische Partei, der Gabriela und KMU nahestehen, den sozialen Konflikten zu wenig Bedeutung beimißt. Zu schnell würde in letzter Zeit der Vorwurf des Reformismus erhoben, wenn es um elementare Forderungen der Arbeiter und Slumbewohner geht.

Wie dem auch sei, die Stimmung ist kämpferisch auf der Mendiola Brücke. Zum Abschluß wird die Internationale gesungen, doch mancher ist schon vorher vor Sonne und langen Reden geflüchtet.

(wop)