Internationales

Strukturelle Krise

Die Philippinen leiden unter einer quasi-kolonialen Wirtschaftsstruktur

Während man in Bangkok, Seoul und Jakarta unter den Auflagen des Internationalen Währungsfonds(IWF) stöhnt, scheint ein Land noch einmal davon gekommen zu sein: Die Philippinen. Sicher, auch der Peso hat seit Juli letzten Jahres erheblich Federn lassen müssen. Aber was sind schon 60% Abwertung gegen die fast 300% der indonesischen Rupiah?

Im Gegensatz zu anderen ost- und südostasiatischen Hauptstädten hat Manila bisher keine Schwierigkeiten mit kurzfristgen Krediten. Die Schuldenlast ist zwar hoch, aber "handhabbar", wie es der Korrespondent der Washington Post nennt. In größeren Zahlungsschwierigkeiten ist man nicht.

Am 31. März soll gar die Aufsicht des IWF enden. Fast 36 Jahre wird das Land sich dann von einem Umschuldungsprogramm zum nächsten gehangelt haben. Ursprünglich sollten die Philippinen bereits Mitte letzten Jahres entlassen werden, dann war die Frist sang- und klanglos auf Ende '97 verlängert und schließlich noch einmal verschoben worden.

Ob es aber tatsächlich was wird ist durchaus fraglich. Denn auch wenn sich nicht ­ wie z.B. in Südkorea ­ massenweise ungedeckte kurzfristige Verbindlichkeiten angesammelt haben, die Verschuldung gegenüber den Industriestaaten (vor allem Japan und EU) wächst beständig. 1996 beliefen sich die Auslandsschulden auf 41,8 Milliarden US $ ­ immerhin das Zweifache der Exportsumme. Zudem hat die Abwertung des Pesos den Schuldendienst erheblich verteuert. Rund 5 Mrd. US $ betrug er 1996 oder 24% der Ausfuhren.

Mit einer rasanten Steigerung der Exporte seit Anfang der 90er hat sich allerdings das Verhältnis Schuldendienst zu Exporterlös erheblich verbessert, Hauptgrund für den Optimismus der Regierung in Manila. Auch im letzten Jahr konnten die Exporte, trotz bereits einsetzender Krise, noch einmal um 23% gesteigert werden. Präsident Fidel Ramos und sein Kabinett meinen also, noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen zu sein.

Andere sind da weniger optimistisch. "Die Handelsbilanz der Philippinen ist chronisch negativ", stellt eine Studie von IBON fest, einem alternativen Forschungszentrum in Manila, daß die sozialen Bewegungen mit Hintergrundmaterial versorgt. "In unserer langen Geschichte des Freihandels hat es niemals eine Zeit gegeben, in der wir ohne Auslandsschulden gewesen wären. Eine liberalisierte Ökonomie wie die unsere kann nur durch die wiederholte "Hilfe" der neoliberalen Propheten aufrechterhalten werden."

Am chronischen Handelsbilanzdefizit hat auch die boomende Exportindustrie nichts geändert: Das Defizit steigt nahezu parallel zu den Exporten. 1994 führten die Philippinen Waren im Wert von 13,5 Mrd. US $ aus, und das Defizit betrug 7,9 Mrd. US $. 1996 wurde schon für 20,5 Mrd. US $ ausgeführt, aber das Defizit kletterte auf 11,9 Mrd. US $.

Das klingt paradox und ist für einen Industriestaat wie Deutschland mit seiner notorisch positiven Handelsbilanz unvorstellbar, hat aber seinen Grund in einer quasi-kolonialen Wirtschaftsstruktur: "Die philippinische Exportwirtschaft ist extrem importabhängig", meint Ros B. Guzman, die bei IBON die Forschungsabteilung leitet. "Selbst die Nadeln für die Textilindustrie müssen importiert werden, da wir keine Stahlindustrie haben."

Die Zusammensetzung der Ausfuhren ist zudem sehr einseitig. Über 50% gehen auf das Konto der Elektronik-Industrie, die die größten Wachstumsraten zu verzeichnen hat. Doch was in Europa und in den USA als Zukunftsindustrie gilt, stellt sich auf den Philippinen weniger vielversprechend dar: Dort besteht die Branche aus den Niederlassungen ausländischer Konzerne, die lediglich ihre Produkte zusammensetzen, bzw. Vorprodukte wie Halbleiter fertigen lassen. Alles was dazu benötigt wird, muß eingeführt werden und drückt auf die Handelsbilanz.

Selbst die Weltbank warnt in einer Studie vor den Gefahren dieser Einseitigkeit. Die starke Abhängigkeit von einem einzigen Produkt, den Halbleitern, das niedrige technologische Niveau und die geringe Wertsteigerung stellen eindeutig eine Schwäche dar, zitiert der Philippine Daily Inquirer das Papier. In den Nachbarländern sei die Halbleiterproduktion bereits 1996 zurückgegangen.

Die Elektronik-Multis werden von den märchenhaften Bedingungen in den Freihandelszonen auf die tropischen Inseln gelockt: Steuerfreiheit für fünf bis acht Jahre, keine nennenswerten Umweltauflagen, Sondergesetze, die Streiks fast unmöglich machen, und Behörden, die bei der Bekämpfung militanter Gewerkschaften helfen. Bei einem gesetzlichen Mindestlohn von nur 198 Pesos pro Tag (9 DM), um dessen Durchsetzung sich kein Gericht schert und der deshalb ungestraft unterboten werden kann, sind die Investitionen schnell abgeschrieben.

Doch solcher Art "Industrialisierung" trägt nicht einmal zur Entwicklung des Landes bei: Weder gibt es eine heimische Kapitalakkumulation, noch entsteht eine vielseitig ausgebildete Arbeiterklasse. Produktionswissen und Profit bleiben in der Hand der Multis. Nicht selten werden Produktionsanlagen eingesetzt, die im Mutterland des Konzerns ausgedient haben und längst abgeschrieben sind. Entsprechend mobil ist das Kapital. Im Falle eines Konjunkturwandels kann man genauso schnell weiterziehen, wie man gekommen ist.

Die Exportorientierung kann also der philippinischen Wirtschaft nicht aus dem Handelsbilanzdefizit helfen. Deshalb verfielen bereits in den 80ern die Marcos-Diktatur und später die Aquino-Regierung darauf, Arbeitskräfte zu exportieren. 1,6 Mio. Filipinos und Filipinas arbeiten nach offiziellen Angaben inzwischen im Ausland, hauptsächlich in Ost- und Südostasien und im Nahen Osten.

Ihre Überweisungen trugen in den letzten Jahren wesentlich zur Verbesserung der Leistungsbilanz bei. Ein anderer wichtiger Faktor war der Zufluß spekulativen Kapitals. Seit 1992 haben die Anleihen philippinischer Handelsbanken in fremden Währungen um 400% zugenommen. Mit Einsetzen der Währungsturbulenzen floß dieses flüchtige Kapital in Windeseile wieder ab, beschreibt eine IBON-Studie vom Januar die Entwicklung.

Tatsächlich habe der Abzug bereits in der ersten Hälfte '97 begonnen, die insgesamt durch eine erhebliche Steigerung der Kapitalflüsse gekennzeichnet gewesen sei. Erstmalig für dieses Jahrzehnt waren die Nettokapitalinvestitonen negativ, zeigen die Zahlen, die die kritischen Ökonomen zusammengetragen haben. Bei IBON hält man es daher für unzutreffend, den Beginn der Krise mit dem Absturz des thailändischen Baht anzusetzen. Das verdecke nur den Blick für die Ursachen.

Die sieht Daniel Borjal, einer der Vertreter der kommunistischen Guerilla, in den Friedensverhandlungen mit der Regierung, in der Rückständigkeit. "Das sogenannte Wachstum", schreibt er im November in Liberation International, herausgegeben von der KP-geführten National Democratic Front, "wird nicht vom verarbeitenden Gewerbe oder der Landwirtschaft angeführt, sondern von Banken, Telekommunikation, Bau- und Elektrizitätswirtschaft, von Sektoren also, die überwiegend spekulativ, unproduktiv und nicht nachhaltig sind".

Das Wachstum des verarbeitenden Gewerbes habe sich bereits im ersten Halbjahr mit nur noch 2,3% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs halbiert, schreibt Borjal weiter. "Tatsächlich hat sich damit die Entwicklung im verarbeitenden Gewerbe bereits in drei aufeinanderfolgenden Jahren verlangsamt."

Die aktuelle Peso-Krise ­ so viel ist sicher ­ wird diesen Prozeß fortsetzen: Um einen weiteren Absturz des Peso zu verhindern und die Banken davon abzuhalten, ungedeckte Kredite zu vergeben, hat Manilas Zentralbank das Geld in den letzten Monaten teuer gemacht. Hohe Zinsen machen der unterentwickelten einheimischen Industrie zu schaffen, die ohnehin kaum mit den billigen Importen konkurrieren kann, die für Liberalisierung und Weltmarktorientierung alle Schleusen geöffnet haben. Bankrotte aus Kapitalmangel häufen sich daher.

Ein weiteres Problem werden die Arbeitsimmigranten darstellen. Auch wenn Manila noch einmal drum herum gekommen ist, die rund 70.000 am persischen Golf beschäftigten Filipinos für viel Geld zurückholen zu müssen, damit Clinton der Welt zeigen kann, was eine Harke ist ­ künftig wird diese Devisenquelle kärglicher sprudeln.

800.000 philippinische Migranten arbeiten in den krisengebeutelten Nachbarländern, und die Frage ist, wie lange noch. In Hongkong, wo zehntausende Filipinas als Haushaltshilfen arbeiten, wurde im Februar der Mindestlohn für Hausangestellte auf ca. 920 DM eingefroren. Manche Mittelstandsfamilie muß sich dort inzwischen angesichts gestiegener Hypothekenzinsen und wackeliger Arbeitsplätze überlegen, ob sie sich weiter eine Minna leisten kann. Andernorts erschallen bereits aus den Kabinettsstuben bekannte Rufe, wie "Malayische Arbeitsplätze zuerst für Malayen!"

Der neue Präsident, der im Mai gewählt wird, wird also ein schweres Erbe anzutreten haben. Allerdings lassen die aussichtsreichsten Kandidaten wenig Zweifel daran, daß auch sie, wie schon die Vorgänger Marcos, Aquino und Ramos, an der Öffnung des Landes für Importe und ausländisches Kapital festhalten und die Liberalisierung weiter vorantreiben werden.

(wop)