Antiimperialismus

Über Straßen, die nach Mördern heißen

Die meisten Menschen werden an der Namensgebung der Straßen und Orte, in denen sie leben, nicht beteiligt. Viele Menschen identifizieren sich aber mit dem Namen ihres Wohnortes oder dem Straßennamen, ohne die Herkunft oder die Bedeutung des Namens genau zu kennen. In Kiel-Dietrichsdorf, im sog. "Afrika-Viertel", gibt es die Straßennamen Carl-Peters-Straße, Nachtigalstraße, Lüderitzstraße, Wißmannstraße und Woermannstraße - Namen aus der Kolonialzeit des deutschen Kaiserreichs.

Die Straßen waren zur Zeit der Namensgebung im Besitz der Werft Kieler Howaldts-Werke. In den Häusern dieser Straßen lebten Werftarbeiter. Sie bauten Schiffe, mit denen Deutschland als Großmacht an der kolonialen Aufteilung der Kontinente Afrika und Asien teilhaben wollte. Durch das Rüstungsgeschäft verfügten die großen Unternehmen über so große Kapitalmengen, daß sie ganze Stadtviertel mit Häusern für ihre Beschäftigten bauen konnten. Sie haben damit nicht nur wieder Geld verdient, sondern auch die Abhängigkeit ihrer Beschäftigten von ihren Arbeitsplätzen erhöht. Mit der Erklärung auf den Straßenschildern zur Namensgebung wurde zusätzlich Einfluß auf die bewußte oder unbewußte Identifizierung der Bewohner mit ihrer Straße ausgeübt.

Carl Peters - auch "Hänge-Peters" oder "Der Mann mit den blutigen Händen" genannt

Carl Peters unternahm 1884 eine Expedition an die Ostküste Afrikas, in die Provinzen Usagara, Nguru, Usegula und Ukami. Mit Geschenken, Tand und falschen Versprechungen wurden von den einheimischen Häuptlingen sogenannte Freundschaftsverträge erschlichen. Peters berichtete über sein Vorgehen: "Wir tranken dann einen Trunk guten Grogs und brachten Seine Hoheit in die vergnügliche Stimmung." Wenn alles nichts nützte, verlieh er auch mit Gewalt seinem Wunsch Nachdruck. Dann setzten die meisten des Lesens und Schreibens unkundigen Häuptlinge ihr Kreuz unter einen Freundschaftsvertrag, der feierlich in deutscher Sprache verlesen wurde. Mit diesen sog. Freundschaftsverträgen wurden alle Hoheitsrechte an die Gesellschaft für deutsche Kolonisation übertragen. Am 27.2.1885 bekam die Gesellschaft vom deutschen Kaiser einen Schutzbrief, in dem die Gebiete der Gesellschaft unter den Schutz des deutschen Kaiserreiches gestellt wurden. Mit der finanziellen Unterstützung des Großindustriellen Krupp und des Bankiers von der Heydt werden Expeditionen zur Erweiterung der deutschen Kolonie von Peters unternommen.

Vom Verhalten Carl Peters' in Afrika, der offiziell als Gründer von Deutsch-Ostafrika bezeichnet wird, ist bekannt, daß sein besonders brutales Vorgehen gegen die einheimische Bevölkerung dreimal zu Untersuchungen führte. Bei dem geringsten Widerstand wurden die Einheimischen getötet. Besonderes Aufsehen erregte er, als er 1891 zunächst seinen Diener Mabruck wegen Diebstahls, wenig später seine Konkubine Jagodja wegen zweier Fluchtversuche hängen ließ. Diese Brutalität brachte ihm bei den Einheimischen den Namen "Hänge-Peters" ein. Im Reichstag wurde er von den Sozialdemokraten als "der Mann mit den blutigen Händen" bezeichnet.

Nachdem er zweimal freigesprochen wurde, kam es dann beim dritten Mal zur Verurteilung und Entlassung. In der NS-Zeit wurden die Urteile gegen Peters aufgehoben, weil seine Gedanken und Taten den Idealen des "Dritten Reiches" schon sehr nahe gestanden haben.

Herrmann von Wißmann - Reichskommissar und Gouverneur von Deutsch-Ostafrika

Bei der Etablierung der kolonialen Macht in den Küstenstädten Deutsch-Ostafrikas kam es zum offenen Widerstand. Im August 1888 bildete sich eine Widerstandsbewegung gegen die deutsche Machtübernahme. Die Deutschen konnten sich nur noch in Salaam und Bagamoyo halten. Bismarck beantragte im Reichstag eine Militärexpedition, angeblich um den Sklavenhandel zu unterdrücken. Anfang 1889 wurde der Offizier Herrmann von Wißmann mit der Niederschlagung des Aufstandes beauftragt. Er rekrutierte arbeitslose sudanesische Söldner und Zulukrieger aus Mozambique und nannte sie "Askari". Bei der Niederwerfung des Widerstandes durch die deutsche Schutztruppe wurde keine Gelegenheit der brutalen Machtdemonstration ausgelassen. Die Bewohner in den Dörfern und Städten wurden aus den geringfügigsten Anlässen niedergemetzelt, die Hütten angezündet und das Vieh weggetrieben. Herrmann von Wißmann hat die gewaltsame Inbesitznahme der afrikanischen Gebiete mit dem Massenmord an 150.000 Menschen und die Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung zu verantworten.

Adolf Lüderitz - Bremer Übersee-Kaufmann

Adolf Lüderitz hat auf der Suche nach Gold und Diamanten in Südwest-Afrika (dem heutigen Namibia) mit dem Häuptling der Nama, Joseph Frederiks, einen Vertrag abgeschlossen, in dem er für hundert Pfund Sterling und 200 Gewehre ein Gebiet von ungefähr vierzehnhundert Quadratkilometern erwarb. Es umfaßte die Bucht von Angra Pequena, die heutige Lüderitzbucht, mit dem umliegenden Gebiet und der Stadt, dem heutigen Lüderitz. Mit weiteren Verträgen wurde das Gebiet noch ausgeweitet.

Diese Verträge waren die raffiniertesten Betrugspapiere, mit denen je Kolonialisten unter bewußter Täuschung ihrer Vertragspartner außergewöhnliche Vorteile erzielt haben. Der Namahäuptling Frederiks ging selbstverständlich von dem Afrikanern bekannten englischen Meilenmaß mit rund anderthalb Kilometern aus. Das erklärt auch, warum er Lüderitz überhaupt Land verkaufte. Es war nämlich Wüstenland an der Küste, das für Bethanier und ihre Viehwirtschaft keinen Nutzen hatte. Die deutsche Meile, die ohne Kommentar in den Vertrag hineingemogelt wurde, mißt fast siebeneinhalb Kilometer. Damit hatte der Namahäuptling, ohne es zu wissen, das gesamte Land seines Stammes an den deutschen Händler verkauft.

Für seine Erwerbungen in Südwest-Afrika suchte Lüderitz um Schutz bei der deutschen Reichsregierung nach. Der gewährte Schutz war der Beginn der ersten deutschen Kolonie. Die Folgen von Betrug und Unterdrückung in dieser rohstoffreichsten deutschen Kolonie führten zum längsten und teuersten Kolonialkrieg des Deutschen Kaisereichs, in dem das Volk der Herero fast völlig ausgelöscht wurde.

Gustav Nachtigal - Militärarzt und Reichskommissar im Reichskolonialamt

Gustav Nachtigal stellte 1884 Togo, Kamerun, die Lüderitzbucht und das Innere von Deutsch-Südwestafrika unter deutschen Schutz. Der "Schutz" des Deutschen Reiches ist in Wirklichkeit die offizielle Bestätigung des von Lüderitz eingefädelten Betruges. Als Reichskommissar unterzeichnete Nachtigal den Schutzvertrag. Der Ort des Geschehens, die Bucht von Pequena, wurde gleichzeitig in Lüderitzbucht umbenannt. Gustav Nachtigal war verantwortlich für den Diebstahl der Weidegründe der afrikanischen Völker der Nama, Ovambo und Herero. Die von Nachtigal betriebene Kolonialpolitik führte zum Massenmord an afrikanischen Völkern wie dem der Hereros.

Adolph Woermann - Hamburger Überseekaufmann und Reeder

Der Reichstagsabgordnete der Nationalliberalen Partei versorgte die Kolonialtruppen mit Waffen. Er war im Reichstag der Fürsprecher der deutschen Kolonialpolitik. Die brutale Durchsetzung der machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen der deutschen Wirtschaftsführer und machtbesessenen Politiker war begleitet von Verarmung der einheimischen Bevölkerung. Betrug, Landraub und Massenmord waren nur durch Personen wie Adolph Woermann möglich.

Und jetzt?

Einer Stadt wie Kiel, der jetzigen Besitzerin der Straßen, stände es gut zu Gesicht, wenn sie diese Straßen umbenennen würde. Wir schlagen vor, die Straßen in Lumumba-Straße, Steve-Biko-Straße, Nelson-Mandela-Straße, Hererostraße und Namibiastraße umzubenennen. Das sog. Afrika-Viertel würde moralisch aufgewertet werden.

(Nachdruck aus dem Gegenwind Nr. 113)