Betrieb & Gewerkschaft

Das Ende der Bescheidenheit?

"Wenn die Arbeitgeber bei ihrer provokanten Linie bleiben und weiterhin in die Taschen der Arbeiter greifen wollen, ist ein Streik im öffentlichen Dienst nicht zu verhindern", sagte der Sekretär der ÖTV, Uli Hoffmann, noch im Dezember 1997 nach einer Sitzung des ÖTV-Bundesarbeiterausschusses in Kassel. Nach wochenlangen Verhandlungen und einem Schlichtungsverfahren werden nun die Löhne und Gehälter rückwirkend zum 1. Januar um 1,5% erhöht. Ab Januar 1999 müssen sich die KollegInnen an ihrer Altersversorgung beteiligen. Im Tarifgebiet Ost steigt der Bemessungssatz ab September 1998 auf 86,5%. Außerdem wurde die Einführung einer Altersteilzeitregelung vereinbart. Die Entgeltfortzahlung bei Krankheit bleibt erhalten.

ÖTV-Chef Mai zum Abschluß der Tarifrunde: "Versprechen gehalten." Und weiter: "Ob wir unser Ziel, vollständigen Preisausgleich durchzusetzen, erreichen werden, wird sich erst im weiteren Verlauf diesen Jahres zeigen. Im Moment beträgt die Preissteigerungsrate 1,1%. Neuesten Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute zufolge könnte es noch zu einem Preisanstieg von 1,5 % kommen. Damit würden wir die Einkommen sichern." Hier irrt Herr Mai, denn seit April wurde die Mehrwertsteuer um einen Punkt erhöht, und die ArbeitnehmerInnen werden seit Monaten mit erheblichen Mehrkosten im Krankheitsfalle (Zahnersatz und bei Medikamenten) sowie gestiegenen Sozialabgaben belastet. Außerdem sieht die Vereinbarung eine schrittweise Eigenbeteiligung bei der Altersvorsorge ab Januar 1999 vor, es wird mit ca. 1% gerechnet.

Unterm Strich ist für die ArbeitnehmerInnen und ihren Familien mal wieder eine Minusrunde herausgekommen, und dieses wird dann von der Gewerkschaftsführung auch noch als Erfolg verkauft.

Ähnlich sieht es auch für die KollegInnen im Baugewerbe aus, da die rund 830.000 Beschäftigten im westdeutschen Baugewerbe rückwirkend zum 1. April 1,5% mehr Lohn und Gehalt erhalten. Außerdem wurde eine Reform der Bau-Sozialkassen von Januar 1999 an vereinbart. Für Berlin, wo der Tarifvertrag ebenfalls gilt, wurde eine Sonderregelung vereinbart. Dort können die Gehälter um bis zu 6% gesenkt werden! Künftig soll das 13. Monatsgehalt nicht mehr in der Bemessungsgrundlage zur Errechnung der Urlaubsvergütung enthalten sein. Dadurch sollen die Betriebe ihre Lohnzusatzkosten senken. Genaue Zahlen über die Auswirkungen für die Beschäftigten nannten beide Seiten bisher jedoch nicht.

Auch das Ergebnis der Tarifverhandlungen für das westdeutsche Baugewerbe ist eine triste Angelegenheit: geringfügige Lohnerhöhungen, die von Inflation, Steuern und Sozialabgaben aufgefressen werden, außerdem Abschläge beim Urlaubsgeld und im "Notfall" auch noch untertarifliche Regelungen. Auch das gibt einen bitteren Vorgeschmack auf kommende Zeiten in einem zusammenwachsenden (??) Euro- Markt.

Vielleicht hatte IG Bau-Chef Wiesehügel ja auch nicht so viel Lust, sich für die Belange der KollegInnen einzusetzen, bewirbt er sich doch bei den anstehenden Wahlen um ein Bundestagsmandat für die SPD und hat dafür auf kraft- und zeitraubende Tarifauseinandersetzungen verzichtet. Lohnt sich ja auch mehr, für ihn, schließlich wurden die Diäten für die Bundestagsabgeordenten am 1. April (kein Aprilscherz) um weitere 4,1% erhöht.

Den flotten Sprüchen der Gewerkschaftsbürokratie über das "Ende der Bescheidenheit" sind wieder keine Taten gefolgt, Lohnraubabschlüsse stehen weiter auf der Tagesordnung.

(hg)