Soziales

"Personalabbau und Leistungsverdichtung und als Lohn noch weniger Lohn"

Ein Jahr Sparkommissar Gansel

Seit fast einem Jahr bestimmt OB Norbert Gansel als oberster Chef der Verwaltung die Geschicke der Stadt Kiel. Seit fast einem Jahr können die Kielerinnen und Kieler hautnah erleben, was gemeint ist, wenn die SPD von einer Politik der "neuen Mitte" nicht nur träumt, sondern sie auch umsetzt. Norbert Gansel, der "erste Interessenvertreter Kiels" (Silke Reyer), der "Oberbürgermeister für alle Kielerinnen und Kieler" (Gansel) kündigte schon in seiner Antrittsrede am 12.6.97 an, "in einer Zeit wirtschaftlicher Umstrukturierung und finanzieller Engpässe unbequeme und auch umstrittene Entscheidungen treffen" zu müssen. Schon damals erhielt Gansel die Hand von CDU-Fraktionsvorsitzenden Arne Wulff "zur Durchsetzung von Entscheidungen". Im Wahlkampf, so Wulff, habe er eine "große Gemeinsamkeit zwischen Gansel und sich festgestellt. Tatsächlich sollte der Vertreter Kohls in Kiel Recht behalten ...

"Sklaventreiber" Gansel: "Arbeit schändet nicht!"

(Montage: jm)

Schon im "Sommerloch" "entdeckte" der Kämmerer Gansel ein Haushaltsloch von 27 Mio. DM. Seine Reaktion: Es gelte, die "Anspruchsvoraussetzungen" für die Sozialhilfe "sorgfältig zu prüfen". Auch der neue Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz sei problematisch: Man müsse sich einstweilen mit "provisorischen Lösungen" begnügen. Dabei müsse es gelingen, "sparsam zu sein, ohne ärmlich zu wirken".

In der August-Ratsversammlung forderte der Oberbürgermeister folgerichtig eine Verringerung der sog. "freiwilligen Leistungen" der Landeshauptstadt Kiel. Zwar müsse "dem Stammtisch widersprochen werden", doch so der OB: "Die Akzeptanzkrise zwingt uns, alles zu durchforsten, wo Mißbrauch betrieben wird."

Auf dem Kreisparteitag der Kieler SPD am 14. September wichen die hiesigen Sozialdemokraten von wichtigen Fundamenten ihrer bisherigen Sozialpolitik ab. SozialhilfeempfängerInnen soll - wie es in einem verabschiedeten Positionspapier heißt - eine sog. "planvolle Beschäftigung gegen Mehraufwandsentschädigung" zugemutet werden. Der im Ursprungstext erhaltene Zusatz "freiwillig" wurde gestrichen. OB Gansel führte auf der Versammlung aus, daß "jede Arbeit, die der Gemeinschaft dient, verlangt werden kann. Arbeit schändet nicht". Der unterlegene Flügel der SPD kritisierte: "Nicht jede Arbeit ist gut, es kommt darauf an, qualifizierte Arbeit anzubieten." Der damalige Fraktionsvorsitzende Raupach kam mit seinem Kompromißvorschlag, "freiwillige" Beschäftigung im Positionspapier durch die Formulierung "insbesondere freiwillige" abzuschwächen, nicht durch. Ohne Diskussion wurde auf Gansels Wunsch auch die Rahmendienstvereinbarung für die Beschäftigten der städtischen Pflegedienste zur Disposition gestellt. Ein entsprechender Passus, der den Bestand der Rahmendienstvereinbarung garantieren sollte, wurde gestrichen.

Am 24.9.97 hielt Norbert Gansel anläßlich des 100-tägigen Jubiläums im Dienste des Sozialklaus eine Pressekonferenz ab. Dort kündigte der "Oberbürgermeister aller Kielerinnen und Kieler" "empflindliche und bittere Kürzungen" an, von denen "kein Bereich" verschont bleibe. Als Beispiel nannte der OB zwei Kindergartenprojekte, die schon im Vorfeld der Haushaltsberatungen für 1998 "verhindert werden konnten".

In einer "geschäftlichen Mitteilung", die den Ratsfraktionen erst kurz vor der Sitzung am 23.10. aufgetischt worden war, "erläuterte" Norbert Gansel sein Sparkonzept für den kommenden Haushalt. Pauschal kündigte Gansel u.a. Kürzungen von 20% bei der Öffentlichkeitsarbeit an (ohne Kieler Woche). Mit einem dreimonatigen Einstellungsstop bei der Stadt "und daran anschließend einer zeitlich unbegrenzten Einstellungssperre" müsse im Personalbereich gespart werden (Gansels Beitrag zur "Bekämpfung" der Arbeitslosigkeit). In der geschäftlichen Mitteilung wurden Kürzungen "bei einzelnen Frauenprojekten", bei den "Zuwendungen für Behindertenfahrten" und die "Kürzung der Zuschüsse für verschiedene soziale Vereine, Verbände und Beratungsdienste" angekündigt. Ganz auf der Streichliste des OBs standen der SeniorInnenpaß für ältere Kieler MitbürgerInnen, das Arbeitslosenticket und der städtische Zuschuß zum Projekt Frauennachtfahrten. Selbst Arne Wulff (Fraktionsvorsitzender der CDU) hinterfragte die geplanten Kürzungen: Die geplanten Streichungen seien "ein kleiner Schritt, aber mehr auch nicht". Die möglichen Einsparungen betrügen nur ca. 1,5 Mio. DM, das strukturelle Haushaltsdefizit von ca. 50 Mio. könne so nicht behoben werden. Gleichwohl begrüßte der Fraktionsvorsitzende der CDU die geplanten Streichungen als "langjährige Anträge der CDU".

Am 7.11. führte OB Gansel per Erlaß Zwangsarbeit in Kiel ein: "Die Stadt beginnt in verschiedenen Ämtern mit dem Einsatz von Sozialhilfeempfängern für gemeinnützige und zusätzliche Arbeit." Als Einstieg in diese Form von Zwangsarbeit - die auch im SPD-Wahlprogramm für die kommende Bundestagswahl befürwortet wird - sollen 30 sog. "Neuantragsteller" gegen eine Mehraufwandsentschädigung von zwei Mark pro Stunde vor allem im Bereich öffentlicher Anlagen wie Parks und Gebäuden arbeiten. Arbeitsverweigerung wird mit einer Kürzung des Sozialhilferegelsatzes bestraft. Jeder Sozialhilfeantrag, so Gansel laut KN, "soll schon gut überlegt sein und in seiner ganzen Konsequenz erfaßt werden". Noch in der August-Ratsversammlung hatte die rosa-grüne Ratsmehrheit einen entsprechenden Antrag der CDU in den Sozialausschuß überwiesen. Dort wurde er einhellig abgelehnt. Sozialdezernentin Bommelmann widerlegte damals die Behauptung, daß die Stadt durch die Einführung von Zwangsarbeit gegen eine Mehraufwandsentschädigung Geld sparen könne. Nur sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, so Bommelmann, führe auf Dauer zu einer finanziellen Entlastung der Stadt Kiel. Dies sah Gansel anders: "Diese Rechnung stimmt nur, wenn die gemeinnützige Arbeit überhaupt keine Wirkung zeigt und die Beschäftigung bei der KIBA nach einem Jahr beendet wird." Beifall für diese Politik, die nicht die Ursachen von Arbeitslosigkeit sondern die Arbeitslosen bekämpft, erhielt Gansel prompt vom rechten Lager. CDU-Frontmann Arne Wulff analysierte treffend, daß der OB Anträge umsetze, die die CDU in der Ratsversammlung gestellt habe. Auch Kreisvorsitzender Rolf Fischer - bisher eher dem progressiven Flügel der "Sozial"demokratie zugeordnet - konnte in diesem Kontext nicht die "abfälligen Einschätzungen" gegenüber gemeinnütziger Arbeit teilen. Vergleichbare Arbeit werde schließlich von vielen ehrenamtlichen Helfern verrichtet. Den Zwangscharakter der Ganselschen Vorstellungen übersah der SPD-Kreisvorsitzende geflissentlich.

"Sparen beim Sozialen", auf diese kurze Formel ließ sich Gansels Wunschhaushalt für 1998 bringen: Das Frauennachttaxi (325.000 DM), das SeniorInnenticket (106.700 DM), das Arbeitslosenticket (1.080.000 DM) und die Zuschüsse für Behindertenfahrten (30.000 DM) standen ganz auf der Abschußliste. Der Sachkostenzuschuß für das Frauenhaus (97.000 DM) sollte auf 3.600 DM (!) gestrichen werden. Das Jugendhilfeprojekt Lotta e.V. sollte mit 990.500 DM statt mit 1.284.800 DM auskommen, Die Frauen/Lesben-Kultur sollte keinen Pfennig mehr erhalten - die Wunschliste des Sparkommissars ließe sich fortsetzen.

Die SPD-Fraktion beschloß in Klausur, alle zur Streichung vorgeschlagenen Projekte - wenn auch z.T. mit verringertem Ansatz - wieder in den Haushalt einzustellen: "Es ist nicht angemessen, bei den Frauen und bei den Behinderten überduchschnittlich zu sparen", so der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Raupach. Auch der Bau der Sporthalle an der Hans-Christian-Andersen-Schule in Gaarden wurde wieder in den Haushaltsplan aufgenommen. OB Gansel war gar nicht glücklich: "Bei der neuen SPD-Fraktion nach der Kommunalwahl" hoffe er, "mehr Unterstützung zu finden".

"Kreatives" Kaputtsparen auch in der Kultur

(Comic: Volker Sponholz)

Am 11. und 12. Dezember beschloß der Rat der Stadt Kiel mit den Stimmen der rosa-grünen Koalition einen "Einstellungsstop/Einstellungssperre", um jährlich ca. 2 Mio. DM zu sparen. Bei frei werdenden Planstellen wird nun - von wenigen Ausnahmen abgesehen - automatisch ein dreimonatiger Einstellungsstop in Kraft treten. Nach Ablauf der drei Monate kann die Besetzung nur dann erfolgen, wenn andernfalls "unverhältnismäßig schwere Schäden bzw. Nachteile für die Stadt oder die Allgemeinheit entstehen würden". Ausgenommen sind nur die Planstellen des Städtischen Krankenhauses und der Kindertagesstätten, "soweit die unmittelbare Versorgung betreuter Personen gefährdet ist". OB Gansel begründete den Einstellungsstop als "unvermeidliche Maßnahme". Die Philosophie seines Haushaltsprinzips sei, durch Streichungen in einigen Gebieten den Druck auf andere Bereich zu erhöhen: "Ich will, daß alles damit unter Legitimationsdruck kommt." Der notwendige Einstellungsstop sei eben der Beitrag der Selbstverwaltung "zu den anderen schmerzhaften Sparoperationen". Nur Volker Rudnik (Vorsitzender des Gesamtpersonalrates) warnte vor den negativen Folgen der Einstellungssperre. Er prangerte nicht nur die Arbeitsverdichtung an, es müsse auch "mit einem Rückschlag bei den Erfolgen" in den Bereichen gerechnet werden, in denen "zielstrebig an sinnvollen und zweckmäßigen Strukturveränderungen gearbeitet" werde. Zudem kritisierte Rudnik die unterschiedlichen Auswirkungen der Einstellungssperre für die Beschäftigten: Vor allem der "Bereich der Lohnempfänger" werde durch den Beschluß betroffen sein, da dort die Fluktuation wesentlich größer als bei Beamten und Angestellten sei. Die "künstliche Personalverknappung" dürfe auch nicht zu einer Qualitätsminderung der Arbeit im Verhältnis zu privaten Anbietern führen. Vor allem eine Vergabe von Aufgaben an Private wegen der Dezimierung des eigenen Betriebes müsse verhindert werden. Rudnik wies auch auf die Gefahr hin, daß Sozialhilfeempfänger oder ABM-Kräfte zur Besetzung von Stellen herangezogen werden könnten, die infolge des Einstellungsstops frei werden.

Am 12.2. beschloß die Ratsversammlung mit den Stimmen von SPD, Bündnisgrünen und SUK, die städtischen Betreungs- und Pflegedienste in eine "gemeinnützige GmbH" zu überführen. Schon zum 1.1.96 wurden diese aus dem Sozialamt ausgegliedert und als sog. "eigenbetriebsähnlicher Regiebetrieb" geführt. Damit war auf die neuen Rahmenbedingungen durch die Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes reagiert worden. Ziel dieses Gesetzes, welches auch die Zustimmung der SPD und des damaligen Bundestagsabgeordneten Gansel fand: Herstellung einer Marktsituation mit echten Wettbewerb und damit verbunden ein Zwang zur Wirtschaftlichkeit in diesem sozialem Bereich. In der Begründung für den Ratsbeschluß heißt es kurz und bündig: "In letzter Konsequenz ist Grundvoraussetzung die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes". Damit sich der bis heute defizitäre Bereich zukünftig auch rechnet, solle es v.a. Einsparungen beim Personal geben: "Erreicht wird dieses Ergebnis durch die Ausschöpfung aller beeinflußbaren Einsparpotentiale insbesondere in der Personalbewirtschaftung." So soll die "Anpassung des Personalbedarfs an die tatsächliche Finanzierbarkeit der Personalaufwendungen" erfolgen und nicht "an den pflegerischen Bedarf". Leistungsbereiche wie "Hausreinigung" sollen an "private Diensleistungsunternehmen" (die natürlich ihre ArbeiterInnen schlechter bezahlen) vergeben werden, unwirtschaftliche Betriebsteile wie Altenheime sollen aufgegeben werden.

Norbert Gansel drohte den Beschäftigten: "Wir dürfen uns nichts vormachen. Sicherheit gibt es in diesem Bereich (nach der Privatisierung) nicht mehr, auch nicht für die Beschäftigten." Deshalb würden auch entsprechende Verträge, die der Personalrat gefordert hatte, "ins Leere führen." "Für mich", so der oberste Kieler Sozialdieb, "bleibt es eines der hohen politischen Ziele der Stadt, daß es keine betriebsbedingten Kündigungen gibt. Ich sage: es bleibt unser Ziel. Nur man muß fairer Weise darauf hinweisen: Wir wissen nicht, wie hoch die Pflegesätze zukünftig sein werden". Deshalb könne es auch zu "schmerzhafter Konsequenz in einzelnen Fällen" kommen.

Für den Personalrat stellte sich die Sachlage deutlich dar, das Konzept sei eindeutig: "Personalabbau und Leistungsverdichtung und als Lohn für Leistungsverdichtung noch weniger Lohn."

(usch)