Kommentar

Gerufene Ungeister

Im rhetorischen Erschrecken vor der Gefahr von Rechts sind auch die etablierten Rechten, die sich in der Mitte wähnen, geübt. Als am vergangenen Sonntag schon die ersten Hochrechnungen der Wahl in Sachsen-Anhalt zeigten, daß die DVU - entgegen allen Prognosen - nicht nur in den Landtag einziehen würde, sondern dies auch noch mit einem zweistelligen Ergebnis, da setzten die Hinzes, die Westerwelles und ihre politischen Klone pflichtschuldigst die Besorgnismiene auf. Der Schuldige war schnell gefunden. Die SPD sei's gewesen, weil sie mit den roten Schmuddelkindern gespielt hat und nun die braunen in der Sandkiste sitzen hat. Denn merke: Rot und Braun, das ist ja im Grunde alles dasselbe Gesocks. Und vor diesem Hintergrund waren dann auch gleich wieder die langgeübten Dummsprüche der Ursachen"klärung" zur Hand: Mangelnde demokratische Tradition der doofen Ossis, nach "zwei Diktaturen" kein Wunder.

Derartige Vernebelung dient aber nur dazu, von den eigenen Verdiensten, der bräunlichen DVU zu parlamentarischen Weihen verholfen zu haben, abzulenken. Zwei Aspekte machen zumindest die Mitschuld der Regierungskoalition am braunen Wahlcoup deutlich. Zum einen, und das kann man nicht genug betonen, machen die Bonner Schreibtischtäter seit geraumer Zeit eine MigrantInnenpolitik, die den Forderungen der Völkischen nur graduell nachsteht. Wer sich als "Demokrat" schuldig macht, Menschen in gute Deutsche und blutsverwandte Aussiedler auf der einen Seite und schlimme Asylbetrüger und Wirtschaftsflüchtlinge auf der anderen Seite zu dividieren, muß sich nicht wundern, wenn so eine Politik hoffähig geworden ist, wenn sich bürgerliche Protestwähler sagen können, daß es so schlimm mit der DVU ja nicht sein kann, und ihr Kreuz mit braunem Stift machen.

Zum anderen bekommen die Sachsen-Anhaltiner die Lüge von den "blühenden Landschaften" besonders deutlich zu spüren. Nach Berechnungen des DGB sind in Sachsen-Anhalt 35% erwerbslos, die höchste Quote in der Republik. Der Sozialklau der Bundesregierung, die verfehlte Arbeitsmarktpolitik, das konsequente Umverteilen von unten nach oben, all das trifft die Menschen in Sachsen-Anhalt besonders hart. Zwar wiederholt sich Geschichte nicht, aber schon einmal in diesem Jahrhundert erhofften sich Heere von sozial Gebeutelten ohne jede Perspektive die Rettung vom starken braunen Mann. Auch ist die Monokausalität, arbeitsloser Jugendlicher wählt Neonazis, zu kurz gedacht. Aber ein wenig ist doch dran. Gerade in der ostdeutschen Jugend hat sich, das zeigt das Wahldebakel und die Analyse der WählerInnenschaft der DVU, der braune Sumpf verfestigt.

Die Ungeister, die 16 Jahre neoliberaler Manchester-Kapitalismus riefen, werden nun krokodilstränend beweint. Doch wer sie gerufen hat, ist klar. Das Gefasel von der "Gemeinsamkeit der Demokraten", das jetzt auch noch als nettes Argument für eine große Koalition in Magdeburg dient, ist somit nichts als ein Lippenbekenntnis. Und wer jetzt auch noch abwiegelt, die DVU werde im Magdeburger Parlament ebenso untergehen wie in Bremen und Kiel, der erinnert fatal an jene Industriellen, die Hitler auf den Stuhl des Reichskanzlers hievten und meinten, der "böhmische Gefreite" sei nur eine vorübergehende Nachwehe der Wirtschaftskrise, die man "an die Wand drücken" könne, "bis sie quiekt".

(jm)