Neue Angriffe auf die Arbeitslosen:

”Die Segmentierung nimmt zu”

Die Bundesregierung simuliert Arbeitsmarktpolitik, in dem sie auf die Arbeitslosen eindrischt. Eine der in den letzten vier Jahren so beliebt gewordenen Kommissionen, die im halblegalen Raum Funktionen der Legislative übernehmen, die sogenannte Hartz-Kommission, hat ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen, das die neue Regierung jetzt umsetzen will. Seit Anfang November liegt bereits ein entsprechender Gesetzentwurf vor. Wir sprachen darüber mit Wolfram Otto von der Arbeitsloseninitiative Kiel, der auch Mitglied im Vorstand der Bundes AG Sozialhilfe-Initiativen (BAGSHI) ist. (wop)

LinX: Die Bundesregierung will nun nach der Wahl die Vorschläge der Hartz-Kommission umsetzen. Was kommt da auf die Arbeitslosen zu?

Wolfram Otto (W.O.): Der Koalitionsvertrag spricht von Vollbeschäftigung, aber natürlich ist das pure Propaganda. Konkret wird vor allem dabei herauskommen, dass der Druck, jegliche Art von Arbeit anzunehmen, gewaltig vergrößert wird. Zukünftig wird es zehn verschiedene Arten von Sperrzeiten mit unterschiedlicher Laufzeit geben, mit denen die Erwerbslosen der Willkür der Sachbearbeiter ausgeliefert werden. Die Zumutbarkeit wird besonders für Jüngere ausgeweitet und Alleinstehende werden im gesamten Bundesgebiet Arbeit aufnehmen müssen. Über sogenannte Personalservice-Agenturen (PSA) will man künftig die Erwerbslosen zwingen, Leiharbeit aller Art aufzunehmen. Das wird so laufen, dass das Arbeitsamt entscheidet, für welche Arbeit man in Frage kommt. Dann wird man entsprechend zugewiesen und hat zunächst für ein halbes Jahr für ein Einkommen in Höhe des Arbeitslosengeldes oder der Arbeitslosenhilfe zu arbeiten. Eine Zwischenlagerung sozusagen, denn die Betroffenen verschwinden aus der Statistik, obwohl sie keinen regulären Job haben. Wie das alles im einzelnen umgesetzt werden wird, ist noch nicht so klar abzusehen, aber so sehen die Hartz-Vorschläge aus, die umzusetzen sich die Regierung vorgenommen hat.

LinX: Für die Betroffenen wird die Leiharbeit vermutlich nicht nur einen Einbruch des Einkommens bedeuten, sondern auch, dass sie nicht die vollen gewerkschaftlichen Rechte haben.

W.O.: Ja. Es heißt zwar im Koalitionsvertrag, dass in den PSAs Tariflöhne eingeführt werden sollen, gleichzeitig ist aber davon die Rede, dass der Tarifbereich geöffnet werden soll. Das heißt, es soll ein System sehr unterschiedlicher Tarife entstehen. Wahrscheinlich wird das auf Haustarife hinauslaufen, die mit den normalen Tarifen gar nichts mehr zu tun haben. Wir sehen also eine große Gefahr, dass über diesen Umweg PSA zusätzliche Billigjobs entstehen. Für diese PSAs sollen in der Anfangsphase eine Milliarde Mark aufgebracht werden. Der Haken an der ganzen Sache ist, dass die Summe aus Einsparungen bei Umschulung und Fortbildung bestritten werden soll.

LinX: Ein weiterer Ansatz ist die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Was wird das für die Betroffenen bedeuten?

W.O.: Sehr wahrscheinlich Einkommensverluste. Ziemlich unwahrscheinlich, Sozialhilfeempfänger deutlich mehr Geld bekommen werden. Wahrscheinlich wird eher das sogenannte Arbeitslosengeld 2 nach unten angeglichen. Einige Zeitungen hatten davon berichtet, das geplant würde, das Arbeitslosengeld für Leute mit Kindern nächstes Jahr von 67 auf 65 Prozent des letzten Nettolohns zu senken. Ab 2004 sollen gar nur noch 63 Prozent gezahlt werden. Das gleiche bei der Arbeitslosenhilfe. Diese soll nach Vorstellungen der SPD offensichtlich von 57 Prozent zunächst auf 55 und dann auf 54 Prozent gekürzt werden. Im vorliegenden Gesetzentwurf konnten wir davon allerdings nichts finden.

LinX: Das heißt, die Zeiten werden härter für Arbeitslose. Wird es nicht langsam Zeit, dass sich die Menschen gegen diese Zumutungen wehren?

W.O.: Das Problem ist, dass gerade mit den Hartz-Vorschlägen noch viel stärker segmentiert wird. Die einen werden mit PSA in Leiharbeit gedrängt, die anderen in ferne Städte vermittelt, die dritten werden, wenn sie über 54 sind, mit Abfindungen aus der Statistik gedrängt. Das heißt, es ist schwierig, den Erwerbslosen klar zu machen, dass sie ein gemeinsames Problem haben. Ich vermute, dass viele erst aufwachen, wenn sie mit PSA und Leiharbeit merken, dass es nun wirklich an die Substanz geht, dass ihnen kaum noch genügend zum Leben bleibt. Da haben wir noch ein klein bisschen Hoffnung und wollen auch ein bisschen nachhelfen.Unsere Antwort auf diese Situation ist, dass wir ein existenzsicherndes Einkommen fordern. Das muss europaweit die Forderung der Erwerbslosenbewegung sein. Und nur
darüber können wir wahrscheinlich mobilisieren.

LinX: Auch Teile der gewerkschaftlichen Basis wachen, was Hartz angeht, langsam auf, obwohl die DGB-Führung die Kommissionsvorschläge unterstützt. Wäre es nicht Zeit, dass die Arbeitsloseniniativen auf die Gewerkschaften zugehen, um zu gemeinsamen Aktionen zu kommen?

W.O.: Es bestehen ganz intensive Kontakte speziell zum Bundeserwerbslosenausschuss von ver.di. Von dort gibt es auch starke Kritik an den Hartz-Plänen. Der hat natürlich in der Gewerkschaft keinen allzu großen Einfluss. Im Moment sieht es eher so aus, dass auf regionaler Ebene konkret Möglichkeiten zur Zusammenarbeit bestehen.