Trödel, Schnäppchen, Volksverhetzung

Nazi-Devotionalien auf einem Kieler Flohmarkt

 

Rechtsradikale Hetzschriften und Nazipropaganda finden sich nicht nur in dunklen Hinterzimmern oder auf polnischen Grenzmärkten. Ein Test in der Kieler Innenstadt zeigt: Auf dem sonntäglichen Flohmarkt braucht man nach verbotenem Propagandamaterial nicht lange zu suchen.

Nach kurzem Zögern beugt sich der Verkäufer unter den Ladentisch und bringt das Buch zu Tage: Mein Kampf in der zweibändigen Taschenbuchausgabe aus dem Jahr 1927. Eben noch hatten wir Interesse an ”Literatur zwischen 1933 und 1945” bekundet, jetzt halten wir das Buch mit Hakenkreuz und Hitlerporträt in den Händen. ”Hundert Euro - bestens erhalten.”

Kein Einzelfall. Ein paar Stände weiter, direkt neben dem Rathaus, vertreibt ein Händler etwas neuere Propagandawerke: Das Diktat von Versailles oder Wie wir das Reich verspielten. Darunter auch der Titel KL Majdanek, in dem der Holocaust unverhüllt verharmlost wird. Gaskammern im Vernichtungslager? ”Ein Mythos”.
”Entlausungsanlagen zum Schutz der Häftlinge”. Das Vorwort wirbt für die Unterstützung von Schoa-Revisionisten, die ”dem staatlichen Terror hilflos ausgesetzt” seien und unter ”weitverbreitetem Zensurverhalten” litten. Bestellungen bitte direkt nach Großbritannien.

Deutschlands Ausplünderung findet sich beim Nachbarstand. Untertitel: Das deutsche Volk als Melkkuh der Welt. Im Vorwort hetzt DVU-Vorsitzender Gerhard Frey gegen Ausländer, die mit ”frechen Forderungen” und ”brutaler Gewalt” gegen ”das gast-gebende Volk” vorgingen. Weiter hinten im Buch ist Westpolen als ”rechtmäßig zu Deutschland gehörendes Ostgebiet” verzeichnet.

Keinen Steinwurf entfernt: Eine Göring-Biographie. Dreizehn Euro für ein Werk, das dem Kriegsverbrecher auf dem Buchrücken eine ”erfolgreiche Außen- und
Friedenspolitik” bescheinigt und für das sich der Naziführer ”schützend vor das deutsche Volk stellte”. Der Autor ist der britische Holocaust-Leugner David Irving. ”Ist das nicht illegal?” Der Händler reagiert gelassen: ”Irving ist das kleinere Problem” versichert er. ”Bei Goebbels und Heß muss man ein bisschen aufpassen. Aber die sind heute auch schon alle verkauft”. Hitlers Mein Kampf? Ein Griff unter den Ladentisch und eine gebundene Ausgabe aus dem Jahr 1935 kommt ans Licht. 75 Euro. Wir lehnen dankend ab.

In Riechweite eines Crepestandes finden wir antisemitische Hetze der Nazizeit. Ein Plakat aus den dreißiger Jahren zeigt das Zerrbild eines jüdischen Bankiers als
Kriegstreiber mit Hakennase. Drei Euro Verhandlungsbasis.

Ein paar Meter weiter: Bücher mit handtellergroßen Hakenkreuzen - unverdeckt. ”Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen”. Darüber scheint sich der Verkäufer klar zu sein. Fotos unerwünscht. Der Leiter des Kieler Ordnungsamtes Manfred Rotzoll zeigt sich überrascht. ”Das ist das erste Mal, dass wir eine solche Meldung erhalten. Die Marktsatzung verbietet Propagandamaterial eindeutig. Darauf weisen wir auch hin - aber jeden Stand kontrollieren können wir nicht.”

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Autoren aus der Jüdische Allgemeinen Wochenzeitung Nr. 21/02 vom 10. Oktober 2002