DGB: Kiel steht auf

Weiter auf Kuschelkurs?

Kiel steht auf – FÜR EINE SOLIDARISCHE STADT!” Der DGB mobilisiert für eine ”Demonstration für Arbeitsplätze” am Nikolaustag – nach Arbeitsschluss in den meisten Betrieben. Eine direkte Konfrontation mit den Vertretern des Kapitals in den Unternehmen wird offensichtlich gescheut. ”Die Kieler Gewerkschaften wollen mit der Politik, mit den Unternehmensverbänden, dem Einzelhandel, den Sportvereinen, dem öffentlichen Dienst, den Kirchen, der Universität und den Fachhochschulen und allen weiteren engagierten Organisationen und Vereinen ein Bündnis schmieden, um den Kieler Standort zu sichern, attraktiver zu machen, aber auch die Hürden eines Arbeitsplatzabbaus zu erhöhen”, so die Kieler IG Metall in einer Presseerklärung. Acht Tage zuvor hatten Jürgen Fenske (Oberbürgermeisterkandidat der SPD), Horst Herchenröder (DGB-KERN), Wolfgang Mädel (IGM Kiel) und Wolfgang Malterer (Verdi Kiel) mit der Gemeinsamen Pressemitteilung ”Wir werden um jeden einzelnen Arbeitsplatz kämpfen!” den Mund reichlich voll genommen. ”Jetzt reichts! Kampf um jeden Arbeitsplatz” lautet ebenfalls eine Unterschriftenaktion bei der Heidelberger Druckmaschinen AG (HDM) in Kiel-Suchsdorf. Die Ankündigung der Stillegung aller Produktionskapazitäten im Kieler Werk zugunsten einer Verlagerung nach Rochester (USA) und Wiesloch (BRD) schlug in Kiel wie eine Bombe ein. Nach den angekündigten Entlassungen über der Hälfte der 1450 Beschäftigten Ende Oktober, waren Betriebsrat und betriebliche Gewerkschaftsleitung bei HDM in den ersten Tagen offensichtlich gelähmt. Vorschläge zu streitbaren und öffentlichen Aktionen kamen mehr aus den Reihen der Belegschaft. “Die (Hauptamtlichen Funktionäre, d. Verf.) aus der Legienstraße mussten denen (Betriebsräten, d. Verf.) erst auf die Beine helfen” wurde aus dem Suchsdorfer Betrieb berichtet.
Die Kieler Ortsverwaltung der IG Metall ist auch der Initiator der ”Kiel steht auf”–Kampagne und Demonstration am 6. Dezember. Zwar sind in und um Kiel fast ausnahmslos alle Sektoren von Kürzungen, Entlassungen oder gar Insolvenzen und Stillegungen betroffen, doch den Produktions- und IT-Sektor trifft es besonders hart und zahlreich. (LinX berichtete: www .sozialismus-jetzt.de) Hier ist als Gewerkschaft die IG Metall zuständig, die bekanntlich in Deutschland zu den aktions- und mobilisierungsfähigsten Organisationen gehört.

In den Betrieben der Metall- und Elektroindustrie an der Förde herrscht schon seit Monaten eine Stimmung, die der örtlichen IG Metall vermutlich eine gemeinsame Kampagne aller Betriebe und Gewerkschaften ratsam scheinen lies. Selbst in mit Militäraufträgen auf Jahre ausgelasteten und liquiden Unternehmen, wie HDW, ist ein Teil der Arbeitsplätze auf kurze Sicht ungesichert bzw. sind, wie der von Thales in Gaarden, von Standortschließungen betroffen. Beim Arbeitsamt sich vorsorglich arbeitsuchend meldenden HDM-lern wurde mit der Bemerkung ”Was meinen sie was hier erst los ist, wenn noch 800 Leute von HDW zu uns kommen” die Hoffnung auf Arbeit nördlich der Elbe genommen. Bei HDW waren im September schon 200 Leute – noch mit silbernem Handschlag – von Bord gegangen. Vossloh Schienenfahrzeugtechnik (VSFT) und Lindenau Werft in Kiel-Friedrichsort oder Gelenkwellenwerk Kiel (GKN) in Hassee sind einige der wenigen Metallbetriebe an der Förde, bei denen auf mittlere Sicht noch von guten Perspektiven gesprochen wird.

Nachhaltig ratlose Räte

Keine neuen politischen Perspektiven enthalten die zahlreichen Erklärungen der Gewerkschaften und Betriebsräte. ”Durch Bündnisse für Arbeit in Betrieben, Sanierungstarifverträge, Auffang- und Transfergesellschaften bis hin zu Gestaltungsvorschlägen der Arbeitsorganisation und Produktivitätssteigerung werden betriebswirtschaftliche Erforderlichkeiten vorgeschlagen und damit Fehler von Leitungsebenen in den Betrieben korrigiert”, wird fast Stolz in der o.g. “Gemeinsamen Pressemitteilung” auf den anhaltenden Ko-Managementkurs mit weitreichenden Zugeständnissen verwiesen. Das neuerdings vermehrt die opulenten Managergehälter und deren Abfindungssummen kritisiert werden, ist angesichts der gewerkschaftlichen Praxis in den Aufsichtsräten mehr als pikant: Die gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten stimmen nicht nur diesen Spitzengehältern zu, sondern tragen – mehr oder weniger ratlos – grundsätzlich den Firmenkurs der jeweiligen Vorstände mit. Bis kurz vor dem bitteren Ende wie jetzt bei Heidelberger: ... ”Wir haben im Juli diesen Jahres einen Interessenausgleich abgeschlossen, in dem festgelegt wurde, dass bis zum 31.03.03 die Kapazität von 196 Arbeitsplätzen abgebaut werden, dafür hat der Vorstand im Gegenzug zugesagt, dass “der Standort Kiel ‘der’ Digitalstandort und Pressestandort der Heidelberger Druckmaschinen AG wird um somit die Arbeitsplätze nachhaltig zu sichern.” ... Ein Vierteljahr später liegen für den HDM-Vorstand, vor dem Hintergrund der ökonomischen Entwicklung und vermutlich persönlicher Interessen, die Dinge anders. ... ”Jetzt begeht der Vorstand einen Wort- und Vertragsbruch”, beklagt der HDM-Betriebsrat weiter in einer Presseerklärung, die mit ”Wir werden gemeinsam mit der Belegschaft um unsere Arbeitsplätze kämpfen und auch juristisch um die Einhaltung des Interessenausgleiches streiten und damit um die langfristige Sicherung des Standortes Kiel” endet.

Am 15.11.02 wurde im Rahmen einer Betriebsversammlung in Suchsdorf eine öffentliche Kundgebung mit anschließender Werksbesichtigung von Betriebsrat und IG Metall organisiert. 2000 Menschen versammelten sich und nahmen, gegen den erklärten Willen des HDM-Chefs, durch Betriebsrat und IG Metall aufgefordert an einer Betriebsbesichtigung teil. Die Reden an die Versammelten gipfelten hauptsächlich in Personenkritik und Lokalchauvinismus. Positiv war der hohe Anteil von Delegationen aus anderen Betrieben. Manche Betriebsräte, Jugendvertreter und Vertrauensleute scheinen zur Zeit von einer Kondolenz zur anderen zu eilen. So waren zwei Tage zuvor Betriebsräte aller Werften spontan nach Lübeck geeilt. Die Belegschaft der insolventen Flender Werft verabschiedete sich, im wahrsten Sinne der Wortes, in der Marienkirche. In Kiel besteht dagegen der Eindruck, dass die IG Metall bestrebt ist alle Belegschaften ihres Organisationsbereiches aus der Grabesstimmung zu reißen. Der DGB-Aufruf “Kiel steht auf” zur Demonstration am 6. Dezember war das einzigste verteilte Flugblatt – neben einem Artikel “Heidelberg lets the light in” der Democrat and Chronicle  vom 9. Februar – auf der Kundgebung in Suchsdorf. Wie gewohnt standortpatriotisch v.a. an Unternehmen und “die Verantwortlichen” appellierend. Anderen der zahlreichen mehr oder weniger großen politischen Organisationen an der Förde scheint dagegen überhaupt nichts einzufallen. Ob die linken Organisationen mit ihrem Latein am Ende sind – bei der angekündigten Kundgebung bei Heidelberg war nur die MLPD mit einem Publikationsstand vertreten – oder sich nur (mit “allwissender” Arroganz?) zurückhalten, wird sich am Nikolaustag zwischen Wilhelm- und Rathausplatz zeigen. Kiel steht auf! Lokalchauvinistische Weckertöne sind kein Grund zum liegen bleiben. Im Gegenteil!
 
W. Jard)