Kein “Offenes Europa” für ESF-Aktivisten

Die italienische Rechtsregierung ließ im Vorfeld des Europäischen Sozialforums nichts unversucht, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu diskreditieren. So wurde ein Bild entworfen, in dem marodierende Horden über Florenz herfallen würden, um die Stadt, ihre Geschäfte und Kunstdenkmäler in Schutt und Asche zu legen.
Diese Hetze führte dazu, dass zahlreiche Florentiner ihre Stadt verließen und Ladeninhaber ihre Geschäfte verbarrikadierten.

Die Regierung konnte sich zwar nicht mit dem Versuch durchsetzen, das Europäische Sozialforum völlig zu verbieten. Dennoch knüpfte sie an die Repression beim G8-Gipfel in Genua an, z.B. indem sie das Schengener Abkommen kurzerhand außer Kraft setzte, Grenzkontrollen durchführte und zahlreiche Aktivisten abwies.
Ich selbst war zusammen mit etwa 40 Aktivisten in einem Bus aus Hamburg unterwegs. Am österreichisch-italienischen Grenzübergang Brenner wurden wir von der Polizei herausgewunken. Die Busse standen bereits dort. Zunächst wurden sämtliche Ausweise eingesammelt, dann wurden das Gepäck und der Bus durchsucht. Nach etwa zwei Stunden kam ein Beamter in den Bus und rief meinen Namen aus. Ich solle mitkommen und auch gleich mein Gepäck mitnehmen. “You can’t go to Italy”, sagte man mir und händigte mir ein Papier in italienischer Sprache aus, das ich unterschreiben sollte. Ich verweigerte die Unterschrift und fragte statt dessen nach einer Begründung für dieses völlig willkürliche Einreiseverbot. Man sagte mir, dass es um die Aufrechterhaltung der “öffentlichen Sicherheit” gehen würde. Ich könnte bis zum Ende des Europäischen Sozialforums nicht nach Italien einreisen. Ich wies darauf hin, dass ich in Italien niemals irgendeine Straftat begangen habe. Auf die Frage, worin konkret die Gefahr bestünde, die von mir ausginge, konnten oder wollten mir die Beamten keine Auskunft geben. Sie wussten es auch nicht, die Entscheidung sei an höherer Stelle gefallen, sie würden “nur ihren Job machen”.

Es ging alles sehr schnell, ich war völlig hilflos und ohnmächtig. Drei Polizisten fuhren mich zum nächsten Bahnhof und bewachten mich dort eine Stunde lang bis der Zug kam. An die Tür der kleinen Polizeistation im Bahnhof war ein faustgroßes Hakenkreuz gemalt, das keinen Polizisten zu stören schien, wohl eher dazugehörte. Dennoch waren die Beamten nicht schikanös - eher desinteressiert. Sie machten “ihre Job” und ließen mich erst aus den Augen, als ich den Zug Richtung Österreich bestiegen hatte.

Ich war völlig fertig, kam mir behandelt vor wie ein Schwerkrimineller, erniedrigt, allein und völlig machtlos gegen diese Ungerechtigkeit.
Mir fehlen genaue Zahlen, doch insgesamt soll es bis zu 1.000 Aktivisten - die Rote Hilfe spricht von 1.600 - ähnlich gegangen sein. Einige konnten mit Hilfe von Anwälten des Europäischen Sozialforums doch noch einreisen, die zum Teil direkt an die Grenze gekommen waren.

Es existieren also offenbar Listen, auf denen die Namen von Aktivisten festgehalten werden. Wer erstellt diese Listen? Gibt es eine europaweite Zusammenarbeit dabei? Und welche Kriterien werden angewandt, nach denen Aktivisten in diese Listen eingetragen werden, die als Grundlage völlig willkürlicher Einreiseverbote und zur Kriminalisierung der Bewegung (denn es geht um alle, nicht um einzelne - alle sollen verunsichert werden!) dienen?

Dies sind Fragen, mit denen sich die Bewegung in Zukunft auseinandersetzen muss, um weiteren Repressionen zu begegnen.

Schön allerdings, dass die Schikanen der Regierung den Erfolg des Europäischen Sozialforums und der Anti-Kriegs-Demo nicht schmälern konnten. Das Europäische Sozialforum war für die Beteiligten eine ausgesprochen positive Erfahrung und die Demo mit etwa 1.000.000 Teilnehmern bombastisch. Große Teile der Florentiner Bevölkerung solidarisierte sich und es kam trotz der enormen Teilnehmerzahl zu keinerlei Gewalttaten oder sinnloser Zerstörung. Einige Geschäftsleute, die die Läden geschlossen hatten, erwägen sogar eine Klage gegen die Regierung, da sie der Panikmache Glauben schenkten und nun Verdienstausfälle beklagen.

Obwohl Florenz für die Zurückgewiesenen natürlich etwas frustrierend war, ging der Schuss aus Sicht der Regierung voll nach hinten los. Und das ist ein starker Trost.

(cg)