Über die Mobilisierung in Kopenhagen:

Ich bin ziemlich zuversichtlich

Kenneth Haar ist Mitarbeiter der Parlamentsfraktion der dänischen Rot-Grünen Einheitsliste und Mitglied von ATTAC Dänemark. Letztere vertritt er im EU-weiten Netzwerk “Von Seattle nach Brüssel”, das gegründet wurde, um die auf Freihandel ausgerichtete Politik der EU in der Welthandelsorganisation WTO zu bekämpfen. Er ist außerdem an Vorbereitungen für die Aktivitäten gegen den EU-Gipfel in Kopenhagen Mitte Dezember beteiligt. Wir sprachen mit ihm in Florenz am Rande des Europäischen Sozialforums über den Stand der Vorbereitungen und über die Kampagnen gegen die WTO. Letzteren Teil des Gesprächs werden wir in einer der nächsten Ausgaben veröffentlichen. (wop)

LinX: Demnächst treffen sich die EU-Staats- und Regierungschef zu ihrem Jahresabschlussgipfel in Kopenhagen, auf dem es im Wesentlichen um die Osterweiterung geht. Welche politischen Kräfte bereiten die Gegenaktionen vor?

Kenneth Haar (K.H.): Es gibt vor allem zwei Bündnisse: Das eine ist "Stoppt die Union". In ihm haben sich im wesentlichen Dänemarks EU-Gegner zusammengeschlossen. Das andere ist "Für ein anderes Europa", ein internationales Bündnis von der Art, wie wir es bei den vergangenen Gipfeln seit Amsterdam 1997 oft gehabt haben, zu dem auch ATTAC gehört. In ihm sind 20 dänische und die gleiche Zahl ausländischer Gruppen, vor allem aus Skandinavien, die bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt in die Diskussionen eingebunden wurden. Drei Punkte bilden die Plattform: Die Ablehnung der neoliberalen Politik der EU und der Beschneidung der Bürgerrechte und die Opposition gegen den drohenden Krieg. In der Frage, ob man den Austritt aus der EU anstreben sollte, gibt es in diesem Bündnis im Gegensatz zum erst genannten keine Einigkeit.

LinX: Schließt die Gegnerschaft gegen den aktuellen Krieg auch die Ablehnung der Militarisierung der EU ein?

K.H.: Auf jeden Fall. Wir haben unsere Plattform geschrieben, als vom Krieg gegen den Irak noch nicht die Rede war, und uns seinerzeit darauf geeinigt, dem Kampf gegen die Militarisierung der EU Priorität einzuräumen. Aber in der jetzigen Situation wird die aktuelle Kriegsgefahr natürlich eine große Rolle spielen. Einige Tage nach dem Gipfel gibt es ein wichtiges Treffen zwischen der EU und den USA auf dem es um den Angriff auf den Irak gehen wird.

LinX: Die Straßenschlachten und die exzessive Polizeigewalt während des EU-Gipfels in Göteburg im Juni 2001 hatten großen Einfluss auf die Debatte in Dänemark. Was bedeuten diese Erfahrungen für die Mobilisierung während des Kopenhagen-Gipfels?

K.H.: Nach Göteburg gab es in unseren Medien eine große Welle der Verurteilung der Straßenschlachten, und, anders als in Schweden, hat es in Dänemark auch keine Kritik am Polizieeinsatz gegeben. In Schweden hatte man immerhin, nachdem die erste Aufregung vorüber war, angefangen kritische Fragen zu stellen, anstatt alle Schuld den Demonstranten zu geben. Unterm Strich kam in der dänischen Öffentlichkeit ein Bild heraus, nach dem das Gleiche auch in Kopenhagen zu erwarten sei. Das war natürlich ein erhebliches Problem für uns.
Die ersten sechs Monate nach der Gründung von "Für ein anderes Europa" waren wir also gemeinsam mit anderen Gruppen mit einer sehr erhitzten öffentlichen Debatte über die Mobilisierung für Kopenhagen beschäftigt. Alle politischen Fragen wurden leider in den Hintergrund gedrängt. Das ging so bis etwa zum Juni. Die einzige Frage, die die Medien interessierte, war, ob sich die Straßenschlachten wiederholen würden.

LinX: Und was ist eure Schlussfolgerung für die Demonstrationen Mitte Dezember?

K.H.: Ich bin ziemlich zuversichtlich. "Für ein anderes Europa" hat in der Linken und in der Öffentlichkeit klar gemacht, dass wir keine Wiederholung der Vorgänge in Göteborg wollen. Der Vandalismus in Göteborg hat sowohl in Schweden als auch in Dänemark einen großen Teil der Bevölkerung gegen die Demonstranten aufgebracht. Göteborg war eine Niederlage für die Linke. Nach langen Diskussionen konnten wir uns daher für Kopenhagen mit allen wesentlichen Kräften, einschließlich der Autonomen von Global Roedder (Globale Wurzeln), auf eine Plattform der Gewaltfreiheit geeinigt.

LinX: In Deutschland ist unter Autonomen die Ansicht weit verbreitet, dass Auseinandersetzungen wie in Göteborg nötig seien, um ihre radikale Opposition zu den herrschenden Zuständen deutlich zu machen. Was würdest Du solchen Leuten sagen?

K.H.: Dass über die Jahre Methoden des zivilen Ungehorsams entwickelt worden sind, die sich in vielen Fällen als politisch sehr effektiv erwiesen haben. Zum Beispiel Seattle. Der Erfolg des dortigen Protests gegen die Tagung der WTO 1999 lag meiner Meinung nach daran, dass es von Seiten der Demonstranten nur sehr wenig Gewalt gegeben hat, aber sehr effektive Sitzblockaden. Die Gewalt ging hingegen fast ausschließlich von der Polizei aus.
Außerdem: Die Gruppen, die solche Aktionen wie in Göteburg unterstützen, mögen dabei vielleicht keine Leute verlieren. Aber die anderen können sehr stark getroffen werden. In Göteburg waren 95 Prozent der Aktivisten extrem frustriert durch das, was passiert ist, weil eine kleine Minderheit meinte, die Polizeigewalt rechtfertige militante Aktionen. Ein gutes Beispiel dafür ist ATTAC Dänemark. Wir hatten nicht das Geringste mit den Straßenschlachten zu tun. Dennoch haben wir durch Göteburg viele Mitglieder und viel politischen Einfluss verloren.

LinX: Ein anderer Aspekt der Vorfälle in Göteburg ist, dass man es in der Polizeiführung offensichtlich darauf anlegte, Straßenschlachten zu provozieren. Was kann man dagegen tun? Wie haben Sie sich für den EU-Gipfel vorbereitet?

K.H.: Das war in der Tat ein wichtiger Aspekt in unseren Diskussionen. Ich sehe das auch so, dass die Polizei in Göteborg die Auseinandersetzungen provoziert hat, und habe ähnliches schon bei vielen anderen Gelegenheiten erlebt.Für Kopenhagen heißt das, dass wir zwar einige Absprachen mit der Polizei haben und glauben, dass sie sich pragmatisch und zivilisiert verhalten werden. Dennoch denken wir, dass wir auf Polizeiprovokationen vorbereitet sein sollten. Das heißt wir haben konkrete Taktiken vorbereitet und werden zum Beispiel im Falle von Polizeiangriffen die Leute auffordern, sich hinzusetzen, um gewalttätige Antworten der Demonstranten im Rahmen zu halten. Eine andere Sache ist, dass wir einen Dienst von Beobachtern organisieren, so dass, falls es zu Übergriffen oder Mißhandlungen durch die Polizei kommt, diese notfalls vor Gericht gebracht werden können.