Europäisches Sozialforum

Qualitativer Sprung

Das Ergebnis überstieg alle Erwartungen. Mit maximal 33.000 Teilnehmern hatten die italienischen Organisatoren gerechnet, bis zu 60.000 waren schließlich aus allen Teilen Europas und des Mittelmeerraumes gekommen. Die Rede ist vom ersten Europäischen Sozialforum, das vom 6. Bis zum 10. November in Florenz unter dem Motto "Ein anderes Europa ist möglich - Gegen Neoliberalismus, Krieg und Rassismus" tagte. Das Forum stand in der Tradition der Weltsozialforen, die 2001 im brasilianische Porto Alegre begründet worden war.

Aus Deutschland waren knapp 2000 Teilnehmer gekommen. Nicht darunter war indes ver.di-Chef Frank Bsirske, um dessen Nominierung als Redner es zuvor in der deutschen Vorbereitungsgruppe einigen Ärger gegeben hatte. Nicht einmal einen Vertreter schickte er.

Im Vorfeld hatte die Rechtsregierierung in Rom massiv gegen das Forum gehetzt, das allerdings die Unterstützung der lokalen und Provinzregierung hatte, die vom mittelinks Bündnis "Olivio" gestellt wird. An den Grenzen wurden allerdings 1000 bis 1600 potenzielle Teilnehmer abgewiesen (siehe nebenstehenden Bericht).
Der Rest konnte dann aber immerhin drei Tage lang über den Kampf gegen den Abbau sozialer Rechte, über Neoliberalismus und Umweltzerstörung, über die Ausplünderung der Länder des Südens und die Privatisierung der öffentlichen Dienste in der EU diskutieren. Oder auch über die Weltschuldenkrise: "Die von der G7 1999 in Köln gestarteten Entschuldungsprogramme sind reine Augenwischerei", so Denise Cormann aus Belgien auf einem der über hundert Podien. Die Länder der Dritten Welt würden immer tiefer in den Strudel aus Verschuldung, Elend und Hunger gezogen. Die Nichtregierungsorganisationen sollten sich daher lieber nicht in die entsprechenden Initiativen, der G7, die über die Weltbank abgewickelt werden, einbinden lassen, sondern weiter politischen Druck mobilisieren.

Damit sprach sie eine der wesentlichen Konfliktlinien an, die im wilden Zickzack durch die in Florenz versammelten sozialen Bewegungen verlief: Soll man versuchen, die Institutionen der Globalisierung von Innen heraus zu verändern, oder sie nur ablehnen. Aber nach Ansicht mancher Teilnehmer führt die Zuspitzung dieses prinzipiellen Konflikts - reformieren oder generelle Ablehnung - eher auf Abwege. Man solle sich lieber auf die Dinge konzentrieren, die man gemeinsam bekämpfen müsse, und für eine Konvergenz der reformistischen und antikapitalistischen Bewegungen sorgen, meinte ein Teilnehmer in einer der zahllosen Diskussionen.
Auffällig war die starke Präsenz vor allem italienischer Gewerkschaften. COBAS, die einflussreiche Koordination der gewerkschaftlichen Basiskomitees, gehörte gar zu den Organisatoren.

In einer Abschlusserklärung, die am letzten Tag von einer "Versammlung der sozialen Bewegungen" angenommen wurde (auf den Foren selbst werden grundsätzliche keine Beschlüsse gefasst), heißt es:

"Wir haben uns in Florenz versammelt, um unsere Ablehnung gegen eine europäische Ordnung zu Ausdruck zu bringen, die auf der Macht der Konzerne und dem Neoliberalismus basiert. Dieses Marktmodell führt zu konstanten Angriffen auf die Lebensbedingungen und Rechte der Arbeiter, zu sozialen Ungleichheiten, zur Unterdrückung von Frauen und ethnischen Minderheiten und zur sozialen Ausgrenzung der Arbeitslosen und Einwanderer. Es führt zur Zerstörung der Umwelt, Privatisierung und Unsicherheit der Arbeitsplätze. Es treibt die mächtigen Staaten an, die Ökonomien der schwächeren Staaten zu dominieren und ihnen oftmals wirkliche Selbstbestimmung zu verweigern. Und einmal mehr führt es derzeit zum Krieg."

Mit verschiedenen internationalen Kampagnen sollen in den nächsten Monaten und Jahren die sozialen Bewegungen zusammenwachsen. Geplant sind unter anderem Aktionen gegen die Rolle der EU in den Dinestleistungsverhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO), von denen allgemein eine Verstärkung der Privatiserungswelle in Bereichen wie Bildung und Gesundheit befürchtet wurde. Auch eine antirassistische Kampagne ist geplant, die unter anderem ein europäisches Niederlassungsrecht für alle fordern soll. Wichtige Daten für die Mobilisierungen der nächsten Monate sind die WTO-Verhandlungen im März, die WTO-Ministertagung im September in Mexiko, der G-7-Gipfel in Frankreich (Juni), sowie die EU-Gipfel in Dänemark (Mitte Dezember 2002) und Griechenland (Juni 2003).

In einem ebenfalls verabschiedeten "Aufruf an die Bürger Europas" heißt es unter der Überschrift "Zusammen können wir diesen Krieg stoppen": "Wir glauben, daß dieser Krieg - egal ob er die Unterstützung der UNO hat oder nicht - eine Katastrophe für die Menschen im Irak sein wird, die schon jetzt unter dem Embargo und Saddam-Hussein-Regime zu leiden haben, wie auch für die Menschen überall im Mittleren Osten. Er sollte von jedem, der an demokratische, politische Lösungen internationaler Konflikte glaubt abgelehnt werden ..." Daher solle der Widerstand gegen den Krieg europaweit koordiniert und am 15. Februar in ganz Europa Massendemonstrationen unter der Forderung "Kein Angriff auf den Irak" abgehalten werden.

Das nächste ESF soll in einem Jahr im französischen Saint Denis stattfinden, einem Vorort von Paris.

(wop)