DGB-Demo gegen Arbeitsplatzabbau:

Was tun?

“Kiel steht auf!” Wofür ist zwar noch nicht so klar, aber immerhin wogegen: Gegen den galoppierenden Abbau von Arbeitsplätzen und die Verlagerung der Produktion an andere Standorte. Am Tag des Erscheinen dieser Ausgabe werden wahrscheinlich mehrere Tausend Menschen dem Aufruf der Gewerkschaften zu einer Demonstration in der Innenstadt folgen.

In den letzten Wochen hat eine Hiobsbotschaft die nächste gejagt. Und es wird immer ruppiger: New Yorker räumte das Lager entgegen richterlichem Beschluss und unter Polizeischutz, und Cellpap im Ostuferhafen begründete die Entlassungen mit der mangelnden Opferbereitschaft (Weihnachtsgeldverzicht etc.) der Belegschaft. Über die bürgerliche Presse öffentlich wahrgenommen wurden insbesondere die vollzogenen oder weiter anstehenden Entlassungen bei ORGA, MobilCom, comdirekt, und Heidelberger. Die Chipkartenfabrik in Flintbek prognostizierte vor einem Jahr noch einen Zuwachs von 600 auf 1000 Mitarbeiter. Nach der nun zweiten Entlassungswelle werden nur noch ein Drittel davon bei ORGA ihre Brötchen verdienen. MobilCom will auch im Kieler Callcenter entlassen und comdirekt ganz schließen. Öffentlich nicht so bekannt zeichnen sich (weitere) Entlassungen bei Caterpillar, HDW, Siemens, usw. ab. Überall wird entlassen oder Entlassungen angedroht. Industrie und verarbeitendes Gewerbe ist, seit Jahren fortlaufen, zuerst betroffen, doch nun wird bei der Uni, in den Kliniken und den Pflege- und anderen Diensten ebenfalls von betriebsbedingten Kündigungen gesprochen. Auch die Landesregierung drohte entsprechendes wiederholt an. Und die Stadt verhängte, in Person vom Oberbürgermeister Norbert Gansel, am 28. November eine sofortige Haushaltssperre und “absoluten Einstellungsstop”.
Die angekündigte Entlassung von 770 Leuten durch Verlagerung der gesamten Produktion bei der Heidelberger Druckmaschinen AG (HDM, ehemals Dr. Hell) war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Die Kieler IG Metall geht von weiteren 700 Entlassungen bei den Zulieferern in der Region aus – betroffen sind z.B. auch 50 bis 60 behinderte Menschen in der Werkstatt Drachensee. In der Tat stehen die – in der Summe beachtlichen – Entlassungen und Betriebsschließungen im Bereich der Kleinbetriebe in der öffentlichen Debatte. Zum Beispiel bei der Maschinenfabrik Koch in Hassee oder der dichtgemachten Gießerei Poppe.

Folgen der Deindustrialisierung

Inzwischen macht sich überall große Unsicherheit und zum Teil auch ziellose Wut breit. Nicht nur bei den direkt von den Folgen der Deindustrialisierung Betroffenen, sondern auch beim Rest der Bevölkerung: Viele spüren, dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist, und haben Angst, als nächstes dran zu kommen. 119 Unternehmenspleiten hat es nach Angaben der CDU-Ratsfraktion in Kiel bereits in diesem Jahr gegeben. Die offizielle Arbeitslosenrate betrug in der Stadt im Oktober 11,7 Prozent, Stadtteile wie Gaarden weisen bis zu doppelt so hohe Werte auf. Und die Nachricht von der Pleite des einst viel gelobten Mehrheitseigner der Stadtwerke, der TXU, trägt auch nicht gerade zur Beruhigung der Gemüter bei, auch wenn zur Zeit noch unklar ist, ob und wenn ja welche Auswirkung die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens auf die Stadtwerke haben wird.

Entsprechend sah sich auch die Ratsversammlung auf ihrer Novembersitzung kurz nach Redaktionsschluss der letzten Ausgabe genötigt, eine aktuelle Stunde zur wirtschaftlichen Lage in Kiel einzulegen. Was dabei herauskam war allerdings ähnlich hilflos, wie die Reaktionen der Kieler Gewerkschaftsspitzen: Viel mehr als neoliberale Propaganda (”Lohnnebenkosten senken") und Durchhaltesprüche (”Die wirtschaftliche Lage muss gedreht werden, und Kiel kann das schaffen") bekamen die zahlreichen Zuhörer nicht geboten. Die hatten Transparente mitgebracht wie: ”Jetzt reicht es! Kampf um jeden Arbeitsplatz!", welche die Ratsversammlung artig zur Kenntnis nahm und die auf Aufforderung ebenso artig wieder eingerollt wurden.

In der Debatte, kabbelte man sich ein wenig darum, ob genug zur Unternehmenspflege getan wird und verabschiedete eine Resolution, die weitere Steuergeschenke anbietet: ”Wir sichern dem Unternehmen und den Beschäftigten jede zulässige Hilfestellung zu, die die Vernichtung der Arbeitsplätze verhindert und erwarten Vorschläge vom Vorstand und Aufsichtsrat der Heidelberger Druckmaschinen AG."

Ansonsten fehlte nicht viel, um den OB, Norbert Gansel, ausrufen zu lassen: ”Ich kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Neoliberale." Besonders beschämend, dass sich gerade Lutz Oschmann von den Grünen, selbst Gewerkschafter und langjähriger Betriebsrat, dafür hergab, die Gunst der Stunde zu nutzen, um einmal mehr ”den Umbau der Sozialversicherungssysteme" zu fordern, um ”die Lohnnebenkosten dauerhaft zu senken". Deren Erhöhung sei das falsche Signal an die Wirtschaft: ”Arbeit muss preiswerter werden." Dem mochte auch der sozialdemokratische OB-Kandidat Jürgen Fenske nicht widersprechen, der sich, wie alle anderen Redner, der Forderung nach Abbau der Ausgaben für die Sozialversicherungen anschloss, die er gar für die entscheidende Frage hielt. Ansonsten sei der Markt eben so, da könne man wenig machen. Nur Noch-OB Gansel gelang es bei soviel Deprimierendem das Licht im Dunkeln zu sehen: Von Oktober 1997 bis Oktober 2002 habe die Zahl der Arbeitslosen um 1200 abgenommen. Wenn das nichts ist.

Bleibt zu hoffen, dass sich an der Gewerkschaftsbasis der allgemeine Frust und die grassierende Verunsicherung, in tarif- und betriebspolitisches Handeln gegen und nicht mit den Unternehmern wandelt. Von entsprechenden kämpferischen Aktionen und Druck auf die Regierenden – in der Frage der Bezahlung von Zeit- und Leiharbeit beispielsweise – war bisher nichts zu spüren. Bisher erschöpft sich das Meiste in unsäglicher Standort-Propaganda, wie sie beim örtlichen DGB vorherrscht. Dafür bräuchte es aber dringend Diskussionen darüber, was denn sinnvoller Weise die Forderung solcher Aktionen sein kann, d.h. welche Mittel es überhaupt gibt, ein Unternehmen zum Erhalt von Arbeitsplätzen zu zwingen. (wop, W. Jard)

(Die LinX-Redaktion hofft in dieser oder einer der nächsten Ausgaben entsprechende betriebliche Ansätze dokumentieren zu können. Entsprechende Berichte ggf. auch an artikel@ sozialismus-jetzt.de oder die bekannten Autoren.)

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