Rürup-Kommission und Sozialreformen

Die Union lauert mit brutalen Konzepten

Auch wir könnten leicht in den Chor jener einstimmen, die zur Zeit die Regierung runtermachen, weil das, was sie derzeit auf dem Sektor Steuer- und Finanzpolitik sowie an Sozialreformen anpackt, selbst mit viel gutem Willen kaum zu verteidigen ist. Sie verschärft das Problem, das sie lösen sollte, und lähmt die Akteure des Wirtschaftslebens: die Unternehmen, weil sie sagen, mal abwarten, welche Steuer am Ende wirklich erhöht wird, die Konsumenten von Waren und Dienstleistungen, weil sie sagen, mal abwarten, ob ich mir das am Ende überhaupt noch leisten kann.

Dabei hätte die Regierung durchaus ”Fachleute”, Professoren, die irgendwie eine Idee haben, wie sich aus einer Mischung von ”Neuer Mitte”, sozialer Gerechtigkeit (light) taugliche Reformen auch bei eher trüben Konjunkturaussichten umsetzen ließen. Die Regierung beruft solche Leute sogar in Kommissionen wie jetzt neuerdings das SPD-Mitglied Bert Rürup, der für die Sozialversicherungen ein Konzept erarbeiten soll. In einem Interview mit dem Darmstädter Echo (in PB 24/2002 auszugsweise dokumentierten, W. Jard) stellt er seine Ideen vor, um zugleich mitzuteilen, dass das jetzige Regierungshandeln auf dem Sektor kaum hilfreich ist.

Man weiß nicht so recht, ob man sich auf seine Vorschläge überhaupt genauer einlassen soll oder ob es so ähnlich geht, wie mit den sogenannten Hartz-Vorschlägen. Die enthielten bekanntlich verschiedene Vorschläge, wie die Arbeitsvermittlung zu beschleunigen sei, die Arbeitsämter zu modernisieren, zwar kombiniert mit einer Lockerung des Kündigungsschutzes, aber es klang nicht alles unvernünftig. Die Realität ist aber z.B. so: Das Arbeitsamt München, so berichtete jüngst die Süddeutsche Zeitung, ist dermaßen überrascht von der großen Anzahl arbeitsloser Akademiker aus der IT-Branche, dass es nicht einmal schafft, pünktlich das Arbeitslosengeld an die Betroffenen auszuzahlen, geschweige denn eine qualifizierte Beratung zu geben.

Ähnlich könnte das mit den an sich interessanten Umbauplänen Professor Rürups gehen. Sie lassen sich wahrscheinlich relativ leicht realisieren, wenn der finanzielle Druck auf die Versicherungskassen nachlässt, wehe aber, der Aufschwung lässt auf sich warten und die Arbeitslosigkeit steigt weiter.
 
Ein Beispiel: Rürup schlägt vor, das Rentenalter schrittweise ab 2010 jährlich um einen Monat zu erhöhen. Ein solches Vorgehen ist schon einmal erfolgreich gewesen und ohne größeren politischen Aufstand über die Bühne gegangen: bei der Heraufsetzung des Rentenalters von Frauen von einst 60 Jahren auf demnächst 65 Jahre. Dass dies aber relativ geräuschlos vor sich ging, hing mit dem für Frauen expandierenden Arbeitsmarkt zusammen. Ob aber eine solche Expansion des Arbeitsmarktes auch für ältere Beschäftigte in den nächsten Jahren zu erwarten ist? Und wenn nicht: dann muss der Rentenbeitrag weiter steigen UND die Renten gekürzt werden UND das Rentenalter in viel rascheren Schritten heraufgesetzt werden, harte Verteilungskämpfe zwischen den Generationen, die im Moment eher noch als witzige Feuilletonartikel aufscheinen, würden harte Realität.

Dito mit dem Gesundheitswesen. Sicher hat das sogenannte Schweizer Modell einen gewissen Reiz. Der Beitrag würde pro Kopf gerechnet; die Subvention der nichtverdienenden Ehefrau per Krankenkasse entfiele, die Konjunkturabhängigkeit der Beiträge wäre gemildert, eine Ausdehnung der Krankenversicherung auf Beamte, Selbständige oder gar jeden wäre leicht möglich, der von Rürup genannte Betrag von 200 Euro pro Kopf läge deutlich unter dem jetzigen Beitrag eines Durchschnittsverdieners (ca. 340 Euro inkl. Arbeitgeberanteil). Aber: der von Rürup angedeutete Transfer aus dem Staatshaushalt, um Geringverdiener, Arbeitslose, Rentner (?) zu versichern, schafft dem Gesundheitssektor nur eine neue Abhängigkeit. Das geht, wenn die Steuern wegen florierender Wirtschaft reichlich fließen, was aber, wenn nicht? Die Gefahr von Zwei-Klassen-Versicherten mit Zwei-Klassen-Leistungen ist dann nicht von der Hand zu weisen.

Eingangs wurde festgestellt, dass es leicht ist, die Regierung runterzumachen. Dabei wird in der öffentlichen Meinung leicht übersehen, mit welchen Konzepten die Unionsparteien aufwarten. Im neuen Bundestag hat die CDU/CSU-Fraktion bereits drei Anträge eingebracht, die alle in irgendeiner Form die Zwangsarbeit für Arbeitslose propagieren und einen sozialversicherungsfreien Niedriglohnsektor fordern (siehe Dokumentation in PB). Wer sich die Vorschläge ansieht, erkennt darin ”Hartz pur”, die bei der Regierung noch vorhandenen sozialen Abfederungen verschwinden bis zur Unkenntlichkeit. Ähnliches ist bei der Reform der Sozialkassen zu befürchten. Seehofer von der CSU hat bereits ein Papier veröffentlicht, in dem er Vorschläge aufgreift, die bei Rürup enthalten sind, allerdings fehlen noch die Details.

Der Plan von Angela Merkel und Edmund Stoiber, die Regierung vor sich her zu treiben, bis die Koalition platzt, und dann durch Neuwahlen oder Große Koalition doch noch dranzukommen, erscheint in diesem Licht nicht ganz unrealistisch.

Man vermisst inzwischen doch ziemlich die PDS im Bundestag – weniger weil von ihr kluge Vorschläge zur konkreten Politik zu erwarten wären, sondern mehr deswegen, weil sie Regierung und Unionsparteien wenigstens etwas mäßigen würden.
alk

(Der Artikel wurde Politische Berichte Nr. 24/2002 entnommen! W. Jard)