Zwischen allen Fronten
Es gibt durchaus bedenkenswerte Argumente gegen einen Angriff auf den Irak. Doch die meisten Kriegsgegner haben einen falschen Begriff vom Krieg:
In der aktuellen Diskussion über einen Krieg gegen den Irak wiederholt
sich eine bereits aus dem Jahr 1991 bekannte Frontstellung der Linken:
Kriegsgegner versus »Bellizisten«. Wolfgang Pohrt, Hermann
L. Gremliza und Joachim Bruhn kritisierten damals die Friedensbewegung,
weil sie die Bedrohung Israels ignoriere. Da sie den USA bescheinigten,
mit dem Krieg gegen den Irak das Richtige zu tun, wenn auch aus den falschen
Gründen, wurden sie als »Bellizisten« bezeichnet.
Nicht viel anders ist es heute. Es gibt kaum eine linke Zeitschrift,
in der es nicht zum guten Ton gehört, gegen die proisraelischen und
proamerikanischen »Kriegstreiber« vom Leder zu ziehen. Und
selbst Autoren wie Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer, die weniger
mit Israel als mit der Situation im Irak selbst argumentieren und die seit
Jahren Solidaritätsarbeit für die kurdische Minderheit und die
irakische Opposition leisten, werden immer lauter als Apologeten des »militärischen
Interventionismus« kritisiert (etwa von Gerhard Hanloser, Jungle
World, 45/02).
Die Kritik der Kriegsgegner an den Antideutschen ist durchaus in einigen
Punkten berechtigt. Wenn die Ideologie oder gar die Praxis des irakischen
Baath-Regimes mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt wird, kommt das
tatsächlich einer Verharmlosung der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten
gleich. Andererseits merken die Kriegsgegner nicht, dass ihre Argumentation
selbst voller Blindstellen und zweifelhafter Annahmen ist.
Eine besteht bereits darin, dass es eine relevante bellizistische Fraktion,
also »Anhänger des Krieges« oder »Kriegstreiber«,
wie der Duden das Wort »Bellizisten« übersetzt, gar nicht
gibt. Mit Ausnahme der Redaktion der Bahamas und ihrer engeren Umgebung
spricht sich derzeit in der deutschen Linken niemand unumwunden für
einen Militärschlag der USA gegen den Irak aus. Von einer Kriegsbegeisterung
größerer Teile der Linken kann überhaupt keine Rede sein.
Die allermeisten derer, die als »Bellizisten« diskreditiert
werden sollen, machen nichts anderes, als darüber nachzudenken, ob
eine Intervention der USA die Situation der Bevölkerung im Irak verbessern
könnte oder nicht.
Dabei ziehen sie wie Osten-Sacken solche Schlussfolgerungen: »Sind
sie (die USA; C.S.) wirklich bereit, die Demokratie im Mittleren Osten
zu unterstützen? In diesem Fall denke ich, dass ein Krieg notwendig
und richtig ist. Oder wollen sie anstelle von Saddam nur einen schrecklichen
General einsetzen? Wenn ja, bin ich gegen diesen Krieg.« (Interview
mit Haaretz, 4. Oktober 2002) An anderer Stelle schreibt Osten-Sacken:
»In der momentanen Irak-Politik der USA spielen natürlich weder
die Bevölkerung noch die Perspektive auf einen demokratischen Irak
eine zentrale Rolle.« (Blätter des iz3w, 260)
Man kann solche Äußerungen kritisieren, aber unter einem
die Politik der USA verklärenden Bellizismus, mit dem »die Linke
auf einen Kriegskurs« eingeschworen werden soll, wie es Hanloser
behauptet, verstehe ich etwas anderes. Die Widersprüchlichkeit solcher
Positionen, ja die hilflose Haltung gegenüber der möglichen US-Intervention
hat nichts damit zu tun, dass Leute wie Osten-Sacken und Uwer leichtfertig
linke Überzeugungen über Bord werfen und die Entwicklung der
rot-grünen Kriegsparteien nachvollziehen würden.
Die Widersprüche sind vielmehr in der Situation des Irak selbst
angelegt. Einerseits kann aus einer emanzipatorischen Perspektive kein
Zweifel daran bestehen, dass der Sturz des Baath-Regimes eine notwendige
Voraussetzung für eine soziale Entwicklung im Irak und im gesamten
Nahen Osten ist. Andererseits hat das Regime alle oppositionellen Kräfte
erfolgreich geschwächt oder gar liquidiert. Ohne Unterstützung
von außen kann diese Situation nicht verändert werden. Die besondere
Tragik liegt darin, dass derzeit außer den USA niemand willens oder
fähig ist, die Lage im Irak substanziell zu verändern.
Es ist traurig, aber wahr: »Ein besserer Dritter als die USA
ist derzeit nicht zu haben.« (Osten-Sacken / Uwer in Blätter
des iz3w, 260) Dass es im Moment keine geeigneteren Akteure als die wahrlich
ungeeigneten USA gibt, ist nicht nur der Appeasementpolitik der meisten
europäischen Staaten gegenüber dem Irak geschuldet, sondern auch
dem Versagen der Linken in aller Welt. Sie haben sich durch die Fokussierung
ihres Protestes auf die USA und auf das Embargo zu Komplizen des Regimes
gemacht, auch wenn es wohl selten intendiert war.
Der Gegnerschaft zum Krieg gegen den Irak liegt folgende Annahme zugrunde:
Im Vergleich zur Intervention der USA sei das Baath-Regime für die
irakische Bevölkerung das kleinere Übel. Doch diese Annahme wird
nicht ausgesprochen. Im Gegenteil, die sich als Hüter des Antimilitarismus
gerierenden Kritiker der »Bellizisten« unterschlagen, dass
im Irak ein Krieg schon längst geführt wird. Es handelt sich
dabei im Moment zwar nicht um einen heißen Krieg, eher um low-intensity-warfare
des Regimes gegen die eigene Bevölkerung. Aber dieser lang anhaltende
Krieg ist angesichts einer Million Opfer während Husseins Herrschaft
keine Marginalie. Warum sprechen so viele »Kriegsgegner« davon
nicht?
Viele von denen, die derzeit gegen die »Bellizisten« polemisieren,
haben einen falschen Begriff vom Krieg. Sie verstehen darunter, dass sich
die Armeen zweier Nationen bekämpfen oder dass die Armee eines Staates
einen anderen Staat angreift. Doch dieser klassische Kriegsbegriff hat
schon in früheren, übersichtlicheren Zeiten nicht weit geführt,
etwa wenn Regime vor allem die eigene Bevölkerung niedermetzelten.
Erst recht versagt er, wenn die Armeen der Nationalstaaten in Auflösung
begriffen sind oder Konkurrenz erfahren durch transnationale Netzwerke
wie al-Qaida oder durch bewaffnete Banden im Gefolge von Warlords und anderen
privaten Kriegsherren, bei denen es sich entgegen einer weit verbreiteten
Annahme immer öfter um gut ausgerüstete und effiziente Gewaltapparate
handelt.
Wegen dieses Defizites des linken Alltagsverstandes, die Vielfalt der
heutigen Formen von Krieg und Gewalt adäquat zu erfassen, nimmt es
nicht Wunder, dass die Kriegsgegner ihre theoretische wie praktische Kritik
nahezu ausschließlich gegen die zwischenstaatlichen Formen des Krieges
richten. Und zwar insbesondere dann, wenn die USA daran beteiligt sind.
Obwohl die durch nichts zu beschönigenden und zu rechtfertigenden
Kriege der USA seit dem Zweiten Weltkrieg keineswegs die einzigen kriegerischen
Auseinandersetzungen waren und auch hinsichtlich ihrer Brutalität
keineswegs einzigartig (man denke nur an die Kriege in Ruanda oder in Tschetschenien),
richteten sich nahezu alle Antikriegskampagnen der Linken gegen die USA.
Dieses Muster wurde bislang nur dadurch durchbrochen, dass nun auch Israel
zum bevorzugten Feindbild wurde.
Kriegsgegnern wie Hanloser ist allerdings zuzustimmen, wenn sie eine
Geschichtsphilosophie kritisieren, nach der mit Gewalt durchgesetzte bürgerliche
Revolutionen quasi die Voraussetzung für eine spätere sozialistische
oder kommunistische Vergesellschaftung bildeten. Insbesondere, wenn dieses
Geschichtsbild wie bei Uwer und Osten-Sacken mit allzu frohen Hoffnungen
befrachtet ist, ist ein Verweis auf die »Dialektik der Aufklärung«
dringend notwendig.
Aber das Nachdenken darüber, unter welchen gesellschaftlichen
Bedingungen soziale Emanzipation noch am ehesten möglich ist, läuft
nicht per se auf die von Hanloser behauptete Apologetik der bürgerlichen
Zivilgesellschaft hinaus. Das müssten zumindest jene linksradikalen
Kritiker des Kapitalismus einsehen, die auf Nachfrage eingestehen, dass
sie lieber in New York als in Bagdad lebten.
Es ist ein großer Unterschied, ob man sich wie in den meisten
westlichen Gesellschaften offen politisch betätigen kann, oder ob
man wie im Irak dafür ständig mit dem Tode bedroht ist. Wer das
bei seiner Anklage des barbarisierten Weltkapitalismus nicht berücksichtigt,
argumentiert ahistorisch und negiert alle bisherigen sozialen Kämpfe
für Emanzipation, ob sie nun proletarisch oder bürgerlich geprägt
waren.
Weil gegen solche Überlegungen angesichts des vorherrschenden
Lagerdenkens automatisch der Vorwurf erhoben wird, sie verklärten
die westliche Zivilisation und die USA, sei hier unmissverständlich
festgehalten: Nein, unter den gegebenen Umständen bin ich nicht für
einen Krieg der USA gegen den Irak. Denn es ist zu befürchten, dass
ihm nicht nur Saddam Hussein und seine Schergen zum Opfer fallen, sondern
auch viele andere IrakerInnen; dass die Bedingungen für eine soziale
Emanzipation im Irak nach einem militärisch erzwungenen Elitenaustausch
nicht substanziell besser sind; und dass keine Entspannung im Nahen Osten
eintritt und weder Israel geholfen wäre noch jenen marginalisierten
arabischen Linken, die keine nationalistischen und antisemitischen Projekte
verfolgen.
Aber ebenso wenig bin ich der Ansicht jener Kriegsgegner, deren Duldung
des Baath-Regimes die Möglichkeit einer anderen Welt selbst dementiert.
Solange wie zuletzt beim Europäischen Sozialforum in Florenz vor allem
gegen den US-Präsidenten George W. Bush und den israelischen Ministerpräsidenten
Ariel Sharon demonstriert, über Saddam Hussein und die Hamas aber
geschwiegen wird, bleibt in guter sozialrevolutionärer Tradition nur
eine defätistische Position der Äquidistanz. Sie schließt
die Unterstützung jener irakischen Oppositionellen, denen es nicht
zuerst um die Macht im Staate geht, keineswegs aus.
Christian Stock
(Der Artikel wurde der Wochenzeitung JUNGLE WORLD, Nr. 49/2002, www.jungle-world.com,
entnommen! Anm.: Nicht “... aus den falschen Gründen ...” wie am Anfang
d. Art. geschrieben steht, sondern “aus schlechten Gründen” das Richtige
zu tun wurde den USA im 2. Golfkrieg bescheinigt! W. Jard)