EU-Gipfel in Kopenhagen:

Mehr Widersprüche

Begleitet von zahlreichen Protesten trafen sich in Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen die EU-Staats- und Regierungschefs Mitte Dezember zu ihrem Jahresabschlussgipfel. Aus Kiel hatte vor allem Avanti nach Kopenhagen mobilisiert. Wie schon bei früheren internationalen Ereignissen, waren die Grenzkontrollen verschärft worden. In Puttgarden wurden sechs Deutsche vom BGS an der Ausreise gehindert. LinX sprach mit Søren Søndergaard, der für die Rot-Grüne Einheitsliste im dänischen Parlament sitzt, über eine vorläufige Bilanz der Proteste. Die Einheitsliste ist ein Zusammenschluss verschiedener sozialistischer und kommunistischer Parteien.(wop)

LinX: Während des EU-Gipfels in Kopenhagen gab es eine ganze Reihe von Protesten. Waren sie  ein Erfolg?

Søren Søndergaard (S.S.): Ja. Seit Donnerstag (12.12.) hatte es verschiedene Demonstrationen gegeben. Das fing an mit einer kleineren gegen die israelische Besatzungspolitik in Palästina. Am Freitag demonstrierten zirka 5.000 Menschen gegen die Festung Europa, das heißt gegen die Abschottungspolitik der EU. Am Samstag demonstrierten waren dann 15.000 bis 20.000 Menschen gegen die neoliberale Politik der EU und gegen den drohenden Krieg gegen Irak auf der Straße. Daneben gab es eine Reihe kleinerer Demonstrationen.

LinX: Wie hat sich die Polizei verhalten? Gab es Provokationen?

S.S.: Ich habe noch keinen endgültigen Überblick, aber man kann sicherlich sagen, dass in einigen Aspekten sich die Polizei mehr als gewöhnlich zurückgehalten hat. Es hat fast keine Angriffe auf Demonstrationen gegeben, mit Ausnahme einer Solidaritätskundgebung vor einem Gefängnis am Samstag, wo einige Italiener festgehalten wurden. Von offizieller Seite hatte man es offensichtlich nicht auf Konfrontation abgesehen. Andererseits hat die Polizei vor allem am Samstag wiederholt die Absprachen mit den Veranstaltern missachtet, zum Beispiel indem der Verkehr nicht angehalten wurde. Es wurden auch Polizisten in Zivil eingesetzt, die sogar Steine warfen und versuchten, Auseinandersetzungen zu provozieren. Im Augenblick können wir jedoch noch nicht sagen, ob das von der Polizeiführung ausging oder ob da vielleicht einige rechte Kräfte im Polizeiapparat ihre eigenen Absichten hatten.

LinX: Es fanden auch zahlreiche Gegenveranstaltungen und internationale Konferenzen statt.

S.S.: Ja. Das war eine sehr positive Erfahrung, denn diese Treffen haben gezeigt, dass es nicht um einen nationalistischen Widerstand gegen die EU geht, der gegen europäische und internationale Zusammenarbeit wäre. Auf allen Treffen ging es darum, wie man besser unter fortschrittlichen Kräften in Europa zusammenarbeiten kann und wie man Lösungen für die globalen Probleme auf der europäischen Ebene finden kann, die nicht nur Europa, sondern auch der übrigen Welt dienen.
Schon zu Beginn der Woche gab es ein Treffen der Europäischen Antikapitalistischen Linken zu dem 15 Organisationen aus Westeuropa gekommen waren. Alles revolutionär-sozialistische Gruppen, die einigen Masseneinfluss haben oder zumindest einen breiteren politischen Ansatz. Die Schottische Sozialistische Partei war zum Beispiel da, der portugiesische Linksblock oder die niederländische Sozialistische Partei. Auch die italienische Rifondazione Comunista beteiligt sich an dieser Initiative, die es bereits seit längerem gibt. Für uns war dieses Treffen sehr inspirierend, weil da nicht irgendwelche Sekten zusammenarbeiten, sondern breitere revolutionäre Organisationen mit einem klaren Anspruch, den Kapitalismus zu überwinden.

LinX: Wie erwartet, haben sich die EU-Regierungschefs in Kopenhagen endgültig auf die Vergrößerung der EU geeinigt. Wie steht ihr dazu, und was bedeutet dies für die Einheitsliste?

S.S.: Man verkauft uns die Aufnahme der zehn neuen Mitglieder als eine Einigung Europas. In der Realität wird die EU aber auch dann erst die Hälfte des Kontinents umfassen. Was wirklich stattfindet ist, dass die Grenze einige hundert Kilometer nach Osten verschoben wird. Aber wir wollen nicht, dass der Eiserne Vorhang nach Osten verschoben wird, sondern dass er verschwindet, dass die Teilung Europas überwunden wird.

Die Menschen nehmen allerdings etwas Anderes wahr. Wir müssen uns also mehr anstrengen, ihnen zu erklären, dass die EU nur ein Projekt der reichsten Länder Europas ist, nicht ein Schritt in Richtung internationaler Zusammenarbeit sondern in die entgegengesetzte Richtung ist. Selbst in der EU wird es künftig zwei Arten von Mitgliedern geben, denn die Neuen haben weniger Rechte als die bisherigen Mitglieder.

Es werden also erhebliche Widersprüche in der EU aufgebaut, und eines der großen Risiken wird sein, dass sich nationalistisches oder sogar faschistisches Sentiment breit macht, wenn in den mitteleuropäischen Ländern die Menschen merken, dass die Armut zunimmt und sie nichts in Brüssel zu melden haben. Die Linke muss deshalb dafür sorgen, dass dieses Gefühl, verraten worden zu sein, nicht von rechten Kräften ausgebeutet werden kann, und dass es eine entsprechende internationale Zusammenarbeit unter Linken gibt. Unsere Alternative muss eine wirkliche europäische Zusammenarbeit sein, aber nicht diese EU, in der die Interessen des Kapitals an erster Stelle stehen und das mit anderen Konkurrenten um Vorherrschaft in der Welt kämpft, wofür inzwischen auch militärische Mittel geschaffen werden.