Kurdisch-iranische Kommunisten zwischen allen Fronten

“Es wird keine Demokratie geben”

Weder Bush noch Saddam sollen es sein, ist man sich in weiten Teilen der Friedensbewegung einig, auch wenn man beim Lesen der hiesigen linken Presse manchmal einen anderen Eindruck gewinnen könnte. Wie dem auch sei, iranische Kommunisten können antiquierten Vorstellungen, nach dem es sich bei dem irakischen Regime um ein antiimperialistisches handeln würde, nichts abgewinnen. So sieht es zumindest Ibrahim Alizadeh, Generalsekretär der kurdisch-iranischen Komalah/Kommunistische Partei Iran. Seine Partei wurde 1967 gegründet. Die Organisation hat im Nordirak zirka 1000, in Europa etwa 2000 Mitglieder. Im Iran arbeitet die Organisation im Untergrund und ist vor allem unter der kurdischen Bevölkerung im Westiran sehr populär. Ihrem Aufruf zu Nowruz-Demonstrationen (kurdisch-iranisches Neujahrsfest) folgten in diesem Jahr allein in der Stadt Sanandaj im iranischen Teil Kurdistans nach eigenen Angaben an die 100.000 Menschen. Mit ihm sprach Karin Leukefeld. Das Interview erschien zuerst in der jungen Welt vom 5. April. Wir übernahmen es mit der freundlichen Erlaubnis der Autorin. (wop)

LinX: Ihre Partei ist sowohl im Nordirak als auch im Iran aktiv. Wie ist die aktuelle Lage Ihrer Organisation? Welche Auswirkungen hat der Krieg für Sie?

Ibrahim Alizadeh: Wir haben in den Städten Irakisch-Kurdistans bewaffnete Peschmergaeinheiten und eigenständige, humanitär und politisch arbeitende Organisationen. Wir wissen nicht genau, was unserer Partei nun bevorsteht. Was in Irakisch-Kurdistan jetzt geschieht, hat zweifelsohne negative Auswirkungen auf unsere Organisationsstruktur und unsere Mitglieder. Im iranischen Kurdistan hingegen intensiviert und verbreitert sich in der letzten Zeit der politische Widerstand. Das macht uns zuversichtlich, und wir hoffen, die negative Entwicklung im Irak kompensieren zu können.Es könnte uns zum Beispiel passieren, dass wir als Kollaborateure hingestellt werden, die mit den USA gemeinsame Sache machen. Aber für uns kommt es darauf an, uns nicht von den US-Kräften vereinnahmen zu lassen, ihnen nicht zu erlauben, dass sie uns dazu benutzen, gegen das Regime der Islamischen Republik aktiv zu werden oder auch nicht. Es gehört nicht zu unserer mittelfristigen Planung, mit den zukünftigen Machthabern in Irak, also voraussichtlich den Amerikanern, die Konfrontation zu suchen. Wir wollen unsere dortigen Kräfte vor den Übergriffen der kommenden Machthaber schützen, darum geht es. Wir sind bereits seit längerem davon ausgegangen, dass es in den nächsten Jahren zu einer militärischen Besatzung in der Region kommen könnte. Darum haben wir unsere Manövriermöglichkeiten so strukturiert, dass wir in der Lage sind, unsere Kräfte zu schützen und mobil zu halten. Weil wir schon frühzeitig reagiert haben, sind wir zuversichtlich, dass uns das auch in Zukunft gelingt. Konkret verfolgen wir zwei Ziele: Mit den herrschenden kurdischen Parteien im Nordirak wollen wir keine Konfrontation, sondern freundschaftliche Kontakte. Noch wichtiger aber ist, dass wir mit der kurdischen Bevölkerung im Nordirak, wie früher, sehr enge Verbindungen und humanitäre Beziehungen aufrechterhalten können.

Das eine sind die US-Amerikaner. Was aber ist mit den Interessen der türkischen Armee im Nordirak?

Nach unserer Einschätzung, und die aktuellen Fakten bestätigen das, verfolgt die türkische Regierung langfristige Ziele im Nordirak. Die Aggression, die im Moment von der türkischen Seite ausgeht, ist nicht neu. Zum Beispiel hat die Türkei im Nordirak in der letzten Zeit mit der Bewaffnung der turkmenischen Minderheit und dem Stärken nationalistischer und fundamentalistischer Kräfte eine Basis für zukünftige Spaltungen geschaffen.
Doch lassen Sie mich noch einmal auf unsere Organisation zurückkommen. Wir verstehen uns als eine besondere politische Stimme in der Region und im Nordirak. Die beiden kurdischen Parteien im Nordirak haben ihr Schicksal mit der Strategie der USA im Irak verknüpft. Wir halten das für einen Fehler. Sie haben damit die Sympathie von Millionen Menschen auf der ganzen Welt verloren.
Wir sind gegen den Krieg wegen seiner internationalen Dimension, wegen der regionalen Probleme, die der Krieg mit sich bringt. Und vor allem sind wir gegen diesen Krieg wegen der humanitären Katastrophe. Uns ist klar, welche hegemonialen Interessen die USA verfolgen und welche Gemeinsamkeiten sie mit der türkischen Regierung haben. Die Politik in einer solchen Konstellation kann nicht im Sinne der Bevölkerung im Nordirak sein.

Sie leben selbst im Nordirak und kennen die Ansichten der irakischen Kurden gut. Stimmt die kurdische Bevölkerung wirklich mit dem politischen Kurs der Führer von KDP und PUK überein? Oder lässt man sie einfach machen und schweigt?

Die Entwicklung der letzten zehn Jahre hat die Bevölkerung im Nordirak von der politischen Bühne verdrängt. Meiner persönlichen Einschätzung nach begegnet die Bevölkerung im Nordirak der aktuellen Situation zwar mit Erwartungen, aber die Menschen sind unsicher. Nicht nur wird die Bevölkerung im Nordirak keinen Gewinn aus dem Krieg haben, das Ganze wird im Nordirak auch tiefe Narben hinterlassen. Die Weltöffentlichkeit meint jetzt, die Leute im Nordirak seien passiv oder stimmen dem Krieg zu, während die Menschen in der Hauptstadt, in Bagdad, Widerstand leisten. In Zukunft aber sollen die Menschen in diesem Land miteinander leben. Wie aber soll das gehen, wenn man jetzt schon solche Zwietracht sät? Im Südirak versuchen die USA, die schiitische Bevölkerung gegen die Zentralregierung aufzuwiegeln, vielleicht klappt das. Aber in Bagdad selbst leben auch Millionen Schiiten. Wie soll diese Gesellschaft in Zukunft funktionieren, wenn jetzt schon die überlegene Macht, also die Amerikaner, von Schiiten, Turkmenen, Kurden und Arabern sprechen, obwohl die alle in diesem Land leben und ihnen allen dieses Land gehört. Die Spaltung ist vorprogrammiert. Aus Kirkuk waren 150 000 Kurden vertrieben worden, dafür wurden dort Araber angesiedelt. Das irakische Regime bewaffnete diese Leute und sagte: "Kämpft gegen die Kurden." Und jetzt werden die Kurden aufgestachelt und bewaffnet und ihnen wird gesagt: "Kämpft gegen die Araber, und holt eure Häuser zurück." Man versucht absichtlich, die irakische Gesellschaft zu spalten. Das sind die Narben, von denen ich rede. Es geht nicht darum, ob der Irak als einheitlicher Staat bestehen bleibt oder nicht. Nein, dieser Krieg wird keine Probleme lösen, er wird zusätzliche Probleme in die irakische Gesellschaft hineintragen, und das ist Absicht.

Lassen Sie uns über den Iran sprechen. Sie sagten, einerseits seien die Entwicklungen im Nordirak nicht sehr gut für Ihre Organisation, doch für den Iran haben Sie sich vorsichtig positiv geäußert. Wie wird sich der Krieg auf die Kurden im Iran und auf die iranische Gesellschaft auswirken?

Die Atmosphäre in Iranisch-Kurdistan wird von der Gesamtsituation im Iran beeinflusst, und die ist hochpolitisch. Selbstverständlich haben auch die negativen Entwicklungen im Irak und in Irakisch-Kurdistan Auswirkungen. Nach 20 Jahren Erniedrigung und Unterdrückung im Iran haben wir seit einiger Zeit die Situation, dass alle Schichten, Gruppierungen und Teile der Gesellschaft ein neues politisches Selbstbewusstsein entwickeln. Wir haben es mit einer neuen Form von Widerstand zu tun.
Es ist aber zu befürchten, dass eine Erwartungshaltung entsteht, von Amerika könnten irgendwelche Lösungen kommen. Wenn die fortschrittlichen Kräfte, die linke Opposition im Iran aus ihrer Zerstrittenheit nicht herauskommen, sich nicht breit und einheitlich organisieren, könnte die neue Situation im Irak dazu führen, dass von oben auf den Widerstand im Iran Einfluss genommen wird und sogar innerhalb des Regimes der Iranischen Republik Alternativen angeboten werden. Das wäre keine Lösung, sondern würde das Regime im Iran nur nach amerikanischer Vorstellung ersetzen.

Und wie beeinflussen die Entwicklungen die Lage im Iran?

Es besteht im Iran die Möglichkeit, dass die Bevölkerung das Regime vielleicht stürzt. Die Mehrheit im Iran will das Regime nicht haben, die Amerikaner aber wollen das Regime auch nicht haben, darin liegt die Gefahr.Ein Freund hat mir ein chinesisches Sprichwort erzählt, wonach eine Krise immer aus zwei Komponenten besteht: Es gibt eine Chance und die Gefahr. Genau so können wir die Krise in der Region beschreiben. Doch was ich versuche, zum Iran zu erklären, trifft auf die ganze Region zu: Überall sind wir mit dem Geschrei der nationalistischen Kräfte konfrontiert. Sogar die reaktionären Regimes machen Stimmung gegen die amerikanische Einmischung. Andererseits gibt es den realen Widerstand der Bevölkerung in den jeweiligen Ländern. Die Leute wollen einfach menschenwürdig leben. Wir wollen in dieser Situation die Stimme sein, die sagt, die Leute wollen frei von imperialistischem Einfluss leben. Aber die USA sind nicht die einzige Macht auf der Welt, es gibt Konkurrenz innerhalb der Machtblöcke, die um Einfluss und Ressourcen kämpfen. Wir wollen uns nicht zwischen den Fronten zerreiben lassen. Wir wollen manifestieren, dass es gerecht ist, für die Belange der Menschen in unserer Region zu kämpfen. Genau das geht heutzutage in den Medien unter.

Weltweit sind die fortschrittlichen und linken Kräfte sehr schwach und zerstritten, auch im Mittleren Osten. Dieser neue Krieg der Briten und Amerikaner hingegen ist sehr zerstörerisch. Welche Möglichkeiten sehen Sie inmitten einer so gewaltsamen Einmischung in der Region, noch für fortschrittliche Organisationen? Besteht nicht die Gefahr, dass alle Überreste solcher Organisationen hinweggefegt werden?

Möglichkeiten für eine Widerstandsbewegung gibt es nicht nur innerhalb von Organisationen und Parteien. Vor zwei, drei Jahren hätte niemand geglaubt, dass Millionen Menschen weltweit gegen einen Krieg auf die Straße gehen würden, ohne Organisationen, ohne Parteien, ohne Führung. Und jetzt gehen in sehr vielen Länden Menschen ohne Verbindung zueinander auf die Straße und machen den Großmächten einen Strich durch deren Rechnung. Das ist die Kraft, auf die wir setzen. Es gibt eine globale Bewegung gegen die hegemonialen Bestrebungen der Großmächte. Wir wollen, dass die fortschrittlichen Kräfte aus aller Welt in der Region des Mittleren Ostens ihre Verbündeten nicht nur in den nationalistischen und konservativen Kräften sehen. Wir setzen unsere Kraft dafür ein, dass fortschrittliche Strukturen geschaffen werden, die Partner der globalen Kräfte gegen die Hegemonialpläne der Großmächte sein können. Daran arbeiten wir. Die Menschen in der Region haben ein Recht auf Selbstbestimmung.

Dafür brauchen Sie Verbündete in der Türkei, im Iran, im Irak. Wer kommt in Frage?

Zugegeben, im Moment ist die Linke relativ schwach. Unsere engsten Verbündeten sind alle fortschrittlichen Kräfte im Iran. 1979 und 1980 sind Hunderttausende für ihre Ideale auf die Straße gegangen. Im Iran gibt es ein Potential, das sich bei der kleinsten Öffnung und Veränderung entfalten kann. Für diese Veränderung arbeiten wir. Wir sind uns nicht alle ideologisch einig. Es geht um die Kräfte im Iran und in der Region, die für soziale und zivile Grundlagen kämpfen. Das, was die Amerikaner angeblich auf ihre Fahnen geschrieben haben, Demokratie für die Region, für dieses Ziel kämpfen wir seit Jahren.

Vor wenigen Tagen gab es zum ersten Mal seit Kriegsbeginn eine große Demonstration in Teheran gegen den Krieg. Die westlichen Medien meinten, diese Demonstrationen sei von der iranischen Regierung organisiert worden, und nur diejenigen hätten sich beteiligt, die das iranische Regime unterstützen. Stimmt das?

Das ist eine bittere Wahrheit, auf die Sie mich da ansprechen. Das Regime hat die tief verwurzelten antiamerikanischen Gefühle instrumentalisiert. Ja, es war eine staatlich organisierte Demonstration. Die Menschen im Iran haben zu wenig Vertrauen zum Regime, um selber so etwas zu organisieren. Was nicht von der Regierung ausgeht, wird meistens massiv unterdrückt. Obwohl die Menschen die Verbrechen der US-Militärs gegen die irakische Zivilbevölkerung sehen, gehen sie nicht von allein auf die Straße und entwickeln keine Eigeninitiative. Das ist die bittere Wahrheit.

Der Krieg zieht sich in die Länge, weitere Soldaten werden in den Irak geschickt. Wie lange wird Ihrer Ansicht nach dieser Krieg noch dauern, und wie wird die Region danach aussehen?

Man muss davon ausgehen, dass der Krieg länger dauern wird, als es geplant war. Die irakische Bevölkerung leistet Widerstand, obwohl die Menschen das Regime im Irak ablehnen. Aber vergessen Sie nicht die Situation in Palästina. Auch dort sieht man, welche Rolle die USA spielen. Der Hass in der Bevölkerung gegen die fremde Besatzung sitzt tief, deshalb leistet sie Widerstand. Der »Sieg« der US-Besatzungsarmee wird viele Opfer unter der Zivilbevölkerung kosten.
Die Auswirkungen des Krieges? Die Zerrissenheit der irakischen Gesellschaft wird sich vertiefen, man muss mit langwierigen Krisen innerhalb des Irak rechnen. Der Einfluss der reaktionären arabischen Regimes wird zunehmen. Die Region wird, wenn der Krieg im Sinne der USA erfolgreich beendet ist, um Jahre in ihrer Entwicklung zurückgeworfen sein. Die Massenvernichtungswaffen werden nicht beseitigt und zerstört, sondern deren Zahl wird zunehmen. Der Krieg wird keine Demokratie bringen. Im Gegenteil: Alle demokratischen Ansätze werden um Jahre zurückgeworfen. Die Lage der Kurden, egal in welchem Land, wird sich nicht verbessern sondern verschlechtern. Und die Menschen im Irak selbst, die irakische Gesellschaft werden in absehbarer Zeit keinen Wohlstand sehen, sondern sie werden verelenden und in Armut und unter Entbehrungen leben.