Reform des der schleswig-holsteinischen Hochschulen

Erichsen-Gutachten vorgestellt

Die von der Landesregierung eingesetzte Hochschulstrukturkommission hat ihren Abschlussbericht Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave übergeben. In der unter der Leitung des Münsteraner Rechtswissenschaftlers Hans-Ulrich Erichsen tagenden Kommission waren ausschließlich etablierte HochschullehrerInnen vertreten. Studierende und wissenschaftlicher Unter- und Mittelbau durften an den Vorschlägen nicht mitwirken.

Entsprechend sind die Empfehlungen des Gremiums ausgefallen, auch wenn einige Eckpunkte wie die Fusion der Kieler und Lübecker Universitätskliniken als unveränderbar bereits im Untersuchungsauftrag durch das Wissenschaftsministerium festgeschrieben waren.

Dennoch: Die völlig ökonomisierte Sicht von Bildung, dessen Nutzen sich allein am monetären Gewinn für den “Standort Schleswig Holstein” (und damit vor allem seiner Unternehmer) misst und jeden gesellschaftlichen und auch individuellen “Mehrwert” von Bildung ausblendet, liegt zwar “im Trend”, ist deshalb aber nicht weniger erschreckend.

So schlägt Erichsen allen Ernstes die Einführung von “sozialverträglich ausgestalteten” Studiengebühren vor und verweist dabei auf die private Fachhochschule Wedel, deren “moderate Gebühren” sich positiv “auf die Zufriedenheit der Studierenden als Kunden der Hochschule” ausgewirkt hätten. Erst 150 Seiten später führt die Kommission aus, was StudentInnen in Schleswig-Holstein möglicherweise schon bald als ‚moderate Gebühr’ ihrer Hochschule überweisen sollen: Rund 760 Euro im Semester zahlen die Lernenden in Wedel. Für einen Masterstudiengang sind gar 2500 Euro fällig. Ein Glück, dass sich wenigstens die deutsche Wirtschaft um den wissenschaftlichen Nachwuchs sorgt. Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung des Erichsen-Gutachtens hat die Hypo-Vereinsbank in München schon mal ein “Bildungsfonds-Darlehen für exzellente Studenten” vorgestellt. ‚Reich’ oder ‚exzellent’ werden also die entscheidenden Attribute norddeutscher Studienbewerber in den nächsten Jahren sein.

Auch auf dem Gebiet der Demokratisierung der Hochschulen bricht Erichsen eine Lanze für den neoliberalen Zeitgeist. Zwar erteilt er der Idee einer Fusion aller Fachhochschulen und Universitäten zu einer Landeshochschule eine Absage, er empfiehlt jedoch die ohnehin nur rudimentär vorhandenen Mitbestimmungsrechte der StudentInnen und der HochschulmitarbeiterInnen im Wissenschaftsbetrieb zu Gunsten eines fast allmächtigen Hochschulrektorates weiter zu beschneiden. Ferner sollen die “bisweilen noch anzutreffenden kleinteiligen Organisationen” der Universitäten durch entschieden größere Institute ersetzt werden.

Besonders gefallen wird den Haushaltspolitikern des Landes der Vorschlag, die Lehramtsstudiengänge nach den neuen Abschlüssen Bachelor und Master neu zu organisieren. Zwar wird es im Kommissionsbericht nicht explizit ausgesprochen, doch bietet eine völlig neue Ausbildungs- und Prüfungsordnung zumindest mittelfristig die Möglichkeit, über eine neue Tarifeinstufung der LehrerInnen mit den Gewerkschaften zu verhandeln.

Auch die immer wiederkehrende Idee der Expertengruppe, das Land nur noch zur Finanzierung einer Grundausstattung der Hochschulen zu verpflichten, damit diese sich dem “freien Wettbewerb” stellen und ihre Fachbereiche über das Einwerben von Drittmitteln ausbauen können, wird den Landespolitikern gefallen. Schließlich wird so nicht nur der Landeshaushalt entlastet, es können auch durch eine “natürliche Auslese” einige Studiengänge, die von der Schleswig-Holsteinischen Wirtschaft nicht nachgefragt werden (das wird vor allem geisteswissenschaftliche Fächer betreffen), ohne lästige politische Diskussionen dichtgemacht werden.

Bis diese Maßnahmen greifen, sollen erstmal die medizinischen Fakultäten und die Universitätskliniken in Kiel und Lübeck unters Messer: Die Zahl der MedizinstudentInnen soll um rund 100 (bzw. 26 %) abgebaut werden. Die Zahl der Klinikbetten soll sich um 20-30% verringern. Einige Klinikabteilungen sollen privatisiert werden. Und: Die Trägerkosten, die das Land zum Betrieb der Unikliniken verwendet, sollen vollständig wegfallen: “Die Krankenversorgung zu finanzieren, ist Aufgabe der Krankenversicherungen bzw. der PatientInnen”. Also nicht nur die Beiträge zur Absicherung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall werden die ArbeitnehmerInnen bald zur Gänze selbst bestreiten müssen…

Fast unbedeutend fallen dem gegenüber die weiteren Vorschläge der Strukturkommission aus. Zum Beispiel soll die Technische Fakultät der Uni Kiel von der Werftstraße wieder auf das Westufer verlagert werden - ein paar Arbeitsplätze weniger auf dem Ostufer fallen ohnehin nicht mehr ins Gewicht.

Ute Erdsiek-Rave hat in einer ersten Stellungnahme die Vorschläge begrüßt und eine entschlossene und zügige Umsetzung angekündigt. Der Bericht sei eine “sehr gute Vorlage für Entscheidungen zur weiteren Profilierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der schleswig-holsteinischen Hochschulen”.

Nicht ganz so begeistert zeigt sich der für Bildung, Wissenschaft und Forschung zuständige ver.di - Gewerkschaftssekretär Frank Hornschu. Zwar sieht sich ver.di von den Ergebnissen der Erichsen-Kommission in der Auffassung bestätigt, dass die Landesregierung jahrelang eine völlig verfehlte Hochschulpolitik betrieben hat, jedoch zieht die Kommission falsche Schlüsse aus den vorhandenen Missständen. Die Empfehlungen werden in der Tendenz den Niedergang der Schleswig-Holsteinischen Hochschullandschaft beschleunigen und zu einer weiteren fatalen “Verökonomisierung” von Bildung führen.

Eigene Vorstellungen zum Erichsen-Gutachten haben gewerkschaftlich organisierte Studierende und Beschäftigte der Kieler Hochschulen zu Papier gebracht. Unter dem Titel “Die Neugier auf Wissen organisieren - Bildung ist bürgerliches Grundrecht” beschreiben die ver.di - Mitglieder ein zukunftsfähiges, visionäres Hochschulsystem, das nicht aus aktuellen Missständen erwächst. Die ver.di-Mitglieder werden sich im Fortgang der Debatte auch weiterhin substantiiert einbringen - so findet u.a. am 14. Mai 2003 um 17.00 Uhr im Restaurant Legienhof in Kiel eine Veranstaltung mit den hochschulpolitischen SprecherInnen der Landtagsfraktionen statt.

Der Bericht der Erichsen-Kommission ist über die Seiten der Uni Kiel (www.uni-kiel.de) unter dem Stichwort Erichsen als PDF-Dokument abrufbar. “Die Neugier auf Wissen organisieren” kann auf den Seiten des Fachbereichs 05 unter “Aktuelles” ebenfalls als PDF - Dokument abgerufen werden.
 

(mk /F. H.)