“New Vision for Refugees”

Dieser wie alle Kriege führt zu tausendfachem Flüchtlingselend. Seit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl in Deutschland 1993 wird keine Maßnahme ausgelassen, die AsylbewerberInnen-Zahlen, die schon auf einem historischen Tiefpunkt angekommen sind, weiter zu senken. Dies trifft auch die irakischen Flüchtlinge.

Bundesinnenminister Schily hat einen Abschiebestopp in den Irak während des Krieges erlassen. Gleichzeitig hat er aber auch die Aussetzung von Asylentscheidungen für irakische Flüchtlinge verfügt.

Die Anerkennungsquote von irakischen Flüchtlingen ist von 65% in 2001 auf 16% in 2002 gesunken, und das bei unveränderten Verhältnissen im Irak, die jetzt die Gründe für den Angriffskrieg liefern. Der Entscheidungsstopp des Bundesamtes zum jetzigen Zeitpunkt, sorgt dafür, dass die Anerkennungsquote nicht steigt. Jetzt, wo die Überlebensnot am größten, wo die politische Verfolgung im Irak am perfidesten und wo die Aufnahmebereitschaft der dem Irak benachbarten Länder am geringsten ist, wird den irakischen Flüchtlingen der Zugang zum deutschen Asylrecht und der Schutzanspruch aus der Genfer Flüchtlingskonvention erst recht verweigert.

Noch sind die Fluchtbewegungen aus dem Irak begrenzt, aber im Zuge der Verschärfung der Kriegshandlungen erwarten internationale Hilfsorganisationen Millionen Flüchtlinge. Die Nachbarländer ihrerseits verminen ihre Grenzen und schaffen Flüchtlingslager nur vor den eigenen Grenzen. Abschiebungen und Zurückweisungen in die  Nachbarstaaten des Irak hat das Bundesinnenministerium ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Von dort droht die Weiterschiebung in den Irak. Das nennt man dann Regionalisierung der Fluchtbewegungen.

In einem Aufwasch mit den aktuellen Überlegungen zur Rückführung von afghanischen Flüchtlingen in das angeblich befriedete und demokratisierte Afghanistan denken deutsche Behörden laut Pressemeldungen (z.B. FR vom 31.03.03) schon während des Kriegs über die spätere Rückführung irakischer Flüchtlinge nach. Diese Gedankenspiele machen auch vor “Widerrufsverfahren“ gegen anerkannte irakische Flüchtlinge nicht halt, für den Fall, dass Irak demokratisiert wird.
Wie die Erfahrungen in Afghanistan und anderswo zeigen braucht es Jahrzehnte bis ein Land sich von Kriegs-Zerstörungen erholt. Ob sich unter den gegebenen Bedingungen ein demokratisches System aufbauen lässt, bleibt ohnehin fraglich. Die Frage ist außerdem, ob das von den Kriegsparteien überhaupt gewollt ist oder ob ihnen nicht eine instabile Region viel besser ins Konzept passt.

Der Gipfel des zynischen Umgangs mit Flüchtlingen in Europa und der bisher weitgehendste Anschlag auf die Genfer Flüchtlingskonvention im Rahmen der Europäischen Union kommt vom kriegswilligen Tony Blair.

Er plant am Rande des Krieges die langfristige Einrichtung von großen Flüchtlingsreservaten  nahe den Herkunftsländern und Krisengebieten. Diesen an die EU gerichteten Vorschlag enthält ein britisches Regierungspapier vom 07.03.2003 mit dem zynischen Titel “New Vision for Refugees”. Demnach sollen selbst Flüchtlinge, die Europa erreichen, in Schutzzonen in die Herkunftsregion zurückgebracht werden. Asylanträge sollen dort unter Leitung des UNHCR bearbeitet werden und nach einer von den europäischen Ländern bestimmten Quote Flüchtlinge ausgewählt werden, die den  Flüchtlingsstatus in Europa erhalten dürfen.
Die anderen sollen baldmöglichst wieder in ihr Herkunftsland verbracht werden und, solange dies nicht möglich ist, in den Reservaten ausharren. Mit so einem Modell würde das individuelle Recht auf Asyl, für das immerhin noch die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 steht, europaweit perspektivisch abgeschafft und wieder durch das Gnadenrecht der einzelnen Staaten ersetzt.

Der Umgang mit Flüchtlingen wäre endgültig auf den Stand vor dem zweiten Weltkrieg zurückversetzt. Auch ihr Lebensstandard würde damit, so Pro Asyl in einer Presseerklärung vom 19.03.2003,  auf ein Dahinvegetieren beschränkt und der Flüchtlingsschutz in den zu schaffenden Reservaten auf ein militärisch geschütztes Provisorium reduziert.

Dem Militär kommt in dem Szenario eine wesentliche Rolle bei der so genannten Bekämpfung der Fluchtursachen zu. Denn dieses Modell versteht - wie schon im Kosovo begonnen und in Afghanistan und Irak fortgesetzt -, die “humanitäre Intervention”, z.B. durch die Nato, so das Blair-Papier, als die weitgehendste Form von Prävention.

Dieses Papier soll der EU zur Beratung vorgelegt werden. Wenn sich die Europäische Union auf ein solches Verfahren einigt, wäre Angriffskriegen wie jetzt im Irak Tür und Tor geöffnet. Krieg kann nicht der Bekämpfung von Fluchtursachen dienen, Krieg verursacht Fluchtbewegungen. Und auch die bundesdeutsche wie europäische Flüchtlingspolitik ist nicht darauf ausgerichtet Fluchtursachen zu bekämpfen sondern bekämpft eher die Flüchtlinge.

Rede einer Vertreterin des Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein auf der Kieler Antikriegsdemo am 5. April 2003