Kasernen sind für Soldaten.
Es brodelt in der Scholzkaserne an der Haartallee in Neumünster. 350 Asylbewerber leben dort auf engstem Raum unter erbärmlichen sozialen Bedingungen. Es gibt keine Möglichkeit selber zu kochen, wer sich nicht zweimal wöchentlich meldet, bekommt die 10 Euro Taschengeld nicht; am Kasernentor findet eine Ausweiskontrolle statt. - Eine Kaserne eben: Entmündigung als System. In den kahlen 6- oder 8-Bettzimmern scheitert jeder Versuch einer Privatsphäre bereits vor der Spindinnentür.
Die Kaserne fungiert als Umverteilungslager für Schleswig-Holstein. Asylbewerber kommen zunächst in die Erstaufnahmeeinrichtung nach Lübeck - ebenfalls eine Kaserne - und beginnen dort ihr Asylverfahren. Nach etwa drei Monaten werden sie nach Neumünster gebracht, um nach einiger Zeit auf die Gemeinden und Städte umverteilt zu werden. "Transfer" heißt das Zauberwort.
Nur des Übergangscharakters wegen lassen viele Flüchtlinge den Aufenthalt in der Scholzkaserne duldsam über sich ergehen: 'In ein paar Wochen bin ich hier sowieso wieder draußen...'
Die bundesweiten Asylstatistiken melden ein Rekordtief nach dem anderen. Dank der stets perfektionierteren Abschottungspolitik erreichen immer weniger Flüchtlinge Deutschland, und damit auch Schleswig-Holstein. Die Erstaufnahmeeinrichtung in Lübeck ist chronisch unterbelegt, die ersten kommunalen Sammelunterkünfte werden geschlossen. Nur die Scholzkaserne in Neumünster bricht mit diesem Trend und ist voll belegt. Der Trick: es wird schlicht nicht mehr weiterverteilt!
Die Aufenthaltsdauer vieler Bewohner beläuft sich auf sechs Monate oder mehr. Der Transfer lässt auf sich warten, jeden Monat gibt es immer wieder nur eine weitere Verlängerung.
In dieser Situation sorgte der verzweifelte Ein-Mann-Hungerstreik eines jungen Irakers für einen Kristallisationspunkt des Protests. Per Zufall erfuhr eine Mitarbeiterin des Flüchtlingsrates von dem Mann, der völlig unbeachtet bzw. nicht ernst genommen seit zwei Wochen das Essen verweigerte. Das erwachende Medieninteresse brachte daraufhin den Betreiber der Kaserne - das Landesamt für Ausländerangelegenheiten - in Wallungen und führte auch bei den Bewohnern dazu, den angestauten Frust kollektiv zu formulieren.
Nach einigen hitzigen Diskussionen mit dem Landesamt beschlossen rund 60 Flüchtlinge ebenfalls die Mahlzeiten zu verweigern. Die gemeinsame Forderung: "Wir wollen wissen, wer wann wohin umverteilt wird. Wir wollen einen beschleunigten Transfer."
Nach drei Tagen, letzten Freitag, kam es erneut zu einer Versammlung.
Das Landesamt bot an in der nächsten Woche mit jeder Flüchtlingsgruppe
die Fragen zu den individuellen Umverteilungen zu besprechen. Daraufhin
brachen die 60 ihren Hungerstreik ab und die geplante Demonstration durch
Neumünster wurde ausgesetzt.
Der anfängliche Konfrontationskurs des Landesamtes scheint einer
gewissen Dialogbereitschaft gewichen zu sein. Die Flüchtlinge hoffen,
dass diese noch etwas anhält. "Wir wollen hier einfach nur raus. Ich
komme aus einem Umerziehungslager von Saddam. Ich bin geflohen, um irgendwo
in Freiheit zu leben. Und nun sitze ich hier in dieser unerträglichen
Kaserne!", so einer der Flüchtlinge.
Es bleibt ihm nur zu wünschen, dass die kommunale Unterkunft, in
die er vielleicht eines Tages umverteilt wird, erträglicher sein wird.
(Bernhard Karimi)