Antrittsrede der Oberbürgermeisterin:

Alles für die Wirtschaft!

Eigentlich klang die Rede der neuen CDU-Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz zunächst so als sei sie gerade von einem Personalführungstraining in die Ratsversammlung gestolpert, aber beim genaueren Hinhören sträubten sich die Nackenhaare.

Dass die Stadt Kiel hoch verschuldet ist und sich noch weiter verschulden wird, das wussten wir schon. Dass die Stadt mit dem Verkauf von Ostseehalle, KWG, Krematorium und Stadtwerken ihr Tafelsilber verkauft hat, das wussten wir auch. Der Schuldenberg wächst trotzdem weiter, während die Stadtwerke 25 Mio. Euro Gewinn machen, wovon an die Stadt nur noch 1,5 Mio. fließen, den Rest stecken die Privaten ein (KN, 16.8.2003).

Jetzt will OB Volquartz das Übel an der Wurzel packen: Sie will ALLES verkaufen.

- Im Rathaus soll es mit einer “Verschlankung und Effizienzsteigerung der Verwaltung” beginnen, niemand brauche Angst um seinen “sicheren” Arbeitsplatz zu haben, aber alles, was irgendwie privat ausgelagert werden kann, solle durch “public privat partnership” realisiert werden. Dies wird erheblichen Druck und verschärftes Mobbing im Rathaus zur Folge haben.

- Das Städtische Krankenhaus müsse “materiell privatisiert” werden. Damit widersprach sie sogar der mit den GRÜNEN im Koalitionsvertrag verhandelten Lösung die “nur” eine gemeinnützige GmbH-Lösung vorsah. Aber vor allem müsse an den Personalkosten im Verwaltungshaushalt gespart werden. Auf der von Bürgern gut besuchten Ratsversammlung wurden prompt zwei Transparente entrollt: “Wir wollen kommunal bleiben” und “Keine Privatisierung von Krankenhäusern”. Eine Privatisierung der Krankenhäuser wird eine weitere Verschlechterung der Krankenversorgung durch weiteren Personalabbau und Leistungsdruck zur Folge haben.

- Dass die sozialen Anforderungen an die Stadt durch steigende Arbeitslosigkeit in Form von Sozial- und Jugendhilfe stark steigen werden, das war bekannt. Nicht erkannt hat die OB die Tatsache, dass durch das in Zukunft noch schnellere Abrutschen vom Arbeitslosengeld in die Sozialhilfe noch viel mehr auf die Stadt zukommt. Ihr Prinzip: Sozialhilfe ist “kein Dauertropf” sondern “Hilfe zur Selbsthilfe”. Wir werden gespannt darauf sein, wie sich die wachsende Zahl der Erwerbslosen selbst hilft.

- Alle sozialen Leistungen (z.B. Altenarbeit, Wohnungslosenhilfe, Migranten ...) sollen dem privaten Wettbewerb, dem so genannten “Sozialmarkt” überlassen werden.

- Strände und Bäder, angeblich ein “wertvolles Kapital”, sollen komplett in private Rechtsform übergehen, die dann angeblich den desolaten Zustand einiger Bäder beheben werden. Kiels zahlreiche Beach-Girls und -Boys freuen sich schon darauf, dass sie endlich am Falkensteiner Strand Kurtaxe zahlen dürfen, um sich von Bodyguards geschützt am sauberen eingezäunten Strand zu bräunen. Auf der Ratsversammlung standen gleich zwei Anträge zur “Neuordnung der Bäderlandschaft” auf der Tagesordnung. Ein Beschluss ist z.Zt. noch nicht bekannt.

- Kultur in Kiel soll auf das “Existenzminimum” begrenzt werden und solle wirtschaftlich betrachtet werden. Das bedeutet ein Aus für Minderheitenkultur und Einrichtungen wie Pumpe und Hansastraße, selbstverständlich mit Ausnahme der Oper.

- Die Volkshochschule soll von “Privaten” betrieben werden, weil die das angeblich genauso gut können. Eine Beleidigung fast aller Kursanbieter, die ihre teilweise mühselig erworbenen Kenntnisse der Allgemeinheit für wenig Geld zur Verfügung stellen und eine Kommunikation und Kulturaustausch vieler Bürger ermöglichen. Der Wirtschaft natürlich ein Dorn im Auge! Durch die Privatisierung der Volkshochschule wird das Recht auf Fortbildung gerade für Einkommensschwache untergraben, denn sie werden sich gewerbliche Angebote nicht leisten können.

Die CDU verfolgt mit ihrer Zukunftspolitik unter Duldung der GRÜNEN als Koalitionspartner eine strikte Politik im Interesse der Wirtschaft. Dies war auch schon unter SPD/GRÜNER-Koalition der Fall (siehe Privatisierungen) und die CDU knüpft auch nur an den Ganselschen Sparkurs an. Frau Volquartz hat sich das erklärte Ziel gesetzt der Wirtschaft bessere “Rahmenbedingungen” zu schaffen. Ihre Devise für den Stadthaushalt lautet: “Nicht was wir nicht einnehmen, sondern, was wir nicht ausgeben... ” sei entscheidend.

Also muss gekürzt werden – außer es hilft der Wirtschaft:

- Ihr persönliches Projekt: Eine neue Einkaufspassage “Mühlenbach” in der Kieler Innenstadt für den “gehobenen Bedarf”

- Ein Science Center (allerdings bei Verzicht auf das Historische Zentrum) zur Belebung des Städtetourismus und Werbung für den Kieler Wirtschaftsstandort.

- Den Flughafenausbau als “moderne Infrastruktur”. Eine nähere Begründung der wirtschaftlichen Notwendigkeit gab es nicht. Während sich die OB noch stark gegen weitere unnötige und geldverschlingende Gutachten aussprach, wurde dann später unter dem Tagesordnungspunkt “Neue Finanzberechnung zum Flughafen Holtenau” mit den Stimmen von CDU und Grünen die Vorbereitung des Planfeststellungsverfahrens eine Projektleitung mit Untersuchungen beauftragt, die insgesamt ca. 1,3 Mio Euro kosten wird, während ein Antrag des Ortsbeirates Holtenau, die Finanzen doch vor dem Planfeststellungsverfahren noch mal zu prüfen, abgelehnt wurde. Die Gesamtkosten einer Startbahnverlängerung werden, unabhängig ob im Haushalt “gedeckelt” (max.19,7 Mio.) oder nicht, mehr als 35 Mio. Euro kosten. Die Folgekosten eines dann vermutlich weithin unprofitablen Flughafens sind nicht absehbar und belasten bereits jetzt den Haushalt jährlich mit 1,5 Mio Euro. Ihren Protest trugen auf der Ratsversammlung zahlreiche Gegner der Startbahnverlängerung mit Transparenten und Unmutsäußerungen vor.

- Was will die Stadtverwaltung noch verkaufen, um das alles zu finanzieren? Möglicherweise den Falkensteiner Strand!
Insgesamt sollen überall für die “Wirtschaft schnell und unbürokratisch Hindernisse aus dem Weg” geräumt werden, im Zusammenwirken der Metropolregion Kiel-Lübeck-Hamburg. Auch der Erhalt des Militärs wurde als unverzichtbar für Kiel hervorgehoben, der im Zusammenspiel mit den Werften für die Rüstungsproduktion in Kiel eine bedeutende Rolle spielt.

Die Pläne der Oberbürgermeisterin und aller im Stadtrat vertretenden Parteien liegen damit voll im Trend der Welthandelskonferenz in Cancun Anfang September 2003. Dort geht es u.a. um die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte, d.h. der weltweiten Öffnung der kommunalen Dienstleistungen wie Versorgung, Daseinsvorsorge, Kultur und Bildung. Mit dem Verkauf der Stadtwerke wurde der “Bürgervertretung” schon die demokratische Kontrolle der Versorgung mit Strom, Gas, Wasser und Verkehr entzogen. Jetzt geht es weiter mit dem Ausverkauf von Gesundheitswesen, Bildung und Kultur.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die GRÜNEN dieser Politik unterordnen und ob sie z.B. ihr Versprechen wahr werden lassen, dass sie beim Einstieg in die Planfeststellung um die Flughafenerweiterung den Koalitionsvertrag kündigen (nur dafür haben vermutlich viele ihre Stimme den GRÜNEN gegeben).
Es reicht nicht darauf zu warten. Diese Stadtpolitik braucht dringend eine deutliche Reaktion aus der Bevölkerung. Gewerkschaften, Betriebsräte, Personalräte, Verbände und Bürgerinitiativen sollten sich gegen diesen massiven Sozialabbau und Privatisierungen zusammenschließen.(Uwe Stahl)