Fatal Global:

Schonung für die Regierung

Noch immer ist das Wissen über die WTO viel zu gering", stellte GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange am ersten Sebtemberwochenende in Berlin fest. Dem sollte eine kurzfristig organisierte Konferenz ein wenig Abhilfe schaffen. Mitte September tagte im mexikanischen Cancún die zweijährliche Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (siehe Artikel in dieser Ausgabe). In Deutschland hatte man sich zwar schon seit längerem auf die Aktionswoche vorbereitet, in der vom 7. bis zum 14.9. in aller Welt Proteste gegen Privatisierung und Liberalisierung des Welthandels abgehalten wurden. Die Idee zu einer Anti-WTO-Konferenz war jedoch erst im Juni auf einem gemeinsamen Kongress von ATTAC und verschiedenen Umweltorganisationen entstanden. In Windeseile holte man noch verschiedene Einzelgewerkschaften, den DGB so wie wichtige entwicklungspolitische Organisationen ins Boot und stellte ein anspruchvolles Programm auf die Beine. Angesichts der kurzen Vorbereitungszeit war man bei ATTAC recht zufrieden, dass sich immerhin 700 Teilnehmer aus der ganzen Republik auf den Weg gemacht hatten, um den Podiumsdiskussionen zu lauschen und in gut drei Dutzend Workshops verschiedenste Aspekte der internationalen Handelspolitik zu vertiefen.

Doch was dem Publikum mit den beiden Podiumsdiskussionen am Freitag- und Samstagabend geboten wurde, war eher lauwarm. Zwar ließ die GEW-Vorsitzende in ihrem Eröffnungsstatement wissen, die Welt müsse gegen die Profitgier verteidigt werden, doch als Übeltäter fielen ihr lediglich die USA ein. An die eigene Regierung hatte sie lediglich die Forderung nach mehr Transparenz und Information zu richten: "Wir müssen der Bundesregierung sagen, dass wir beteiligt werden wollen."

Entsprechend glimpflich kam, obwohl schlecht vorbereitet, Staatssekretär Alfred Tacke davon, der am Freitag auf dem Podium die Position der Bundesregierung darstellen sollte. Tacke entblödete sich nicht, darauf verweisen, dass Deutschland zwar die zweitgrößte Handelsnation sei, in Cancún gar nicht am Verhandlungstisch sitze. Das ist faktisch zwar richtig, da die EU-Mitgliedsländer in Cancún wie auch sonst in den WTO-Verhandlungen von der EU-Kommission vertreten werden. Allerdings sind Bundesregierung und der Bundesverband der Deutschen Industrie seinerzeit eifrige Befürworter des Beschlusses gewesen, mit dem die Kommission vor drei Jahren entsprechende Befugnisse bekam. Auch in das konkrete Verhandlungsmandat, in dem die angestrebten Ziele festgehalten werden, flossen im erheblichen Umfang die Interessen der deustchen Industrie ein.

Doch derlei kritische Anmerkungen hatte Tacke am Freitag weder vom ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske noch vom ehemaligen IGM-Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner zu befürchten. Allerdings ging Bsirske den Staatssekretär immerhin an, weil die Bundesregierung sich geweigert hatte, die Übernahme der sogenannten Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation durch die WTO zu fordern. Diese Normen regeln unter anderem das Verbot der Sklavenarbeit und das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung. Des Weiteren kritisierte Bsirske vor allem die Politik der EU, mit dem  WTO-Dienstleistungs- abkommen GATS die Entwicklungsländer zur Privatisierung ihrer Wassermärkte zwingen zu wollen.

Kritik gab es auch an den Plänen der EU-Regierungen, im Rahmen der WTO auf ein Investitionsabkommen zu drängen. Peter Wahl von der  Nichtregierungs- organisation WEED sah darin eher ein Investorenschutzabkommen und auch Horst Schmitthenner hielt durch dieses Vorhaben die Interessen und die Souveränität der ärmeren Länder gefährdet. Die müssten das Recht behalten, Investoren Vorschriften zum Beispiel über den Anteil des Profits zu machen, der im Lande zu bleiben habe.

Auch Angelika Zahrnt vom Bund für Umwelt und Naturschutz schloss sich dieser Kritik an, und verwies darauf, dass sich auch der Bundestag im Frühjahr entsprechend geäußert hatte, ohne dass die Bundesregierung sich darum kümmern würde. Befürchtungen, ein Scheitern der WTO-Verhandlungen würden einen Rückschlag für den Multilateralismus bedeuten, wie sie einen Tag später DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer äußerte, liess sie hingegen nicht gelten. Es gebe einen geeigneten Rahmen für Multilateralismus, und zwar in der UNO. Von fairen Verhandlungen, so beipflichtend Peter Wahl, könne in der WTO sowieso nicht die Rede sein. Spätestens seit dem Krieg gegen den Irak wisse man ja, wie Koalitionen der Willigen zustande kämen.

Das von Staatssekretär Tacke vorgetragene Dogma der Neoliberalen, nach dem nur die Ausweitung des Welthandels die Armut beseitigen könne, erntete ebenfalls Widerspruch. Erzwungene Marktöffnung würde oftmals kleine lokale Produzenten an die Wand drücken, so Marita Wiggerthale von Germanwatch. Das beweise unter anderem das Beispiel Jamaikas, das vom Internationalen Währungsfonds die Auflage bekommen habe, die Stützung der heimischen Milchproduktion aufzugeben. Seitdem haben Importe von Milchpulver aus der EU, das aus hochsubventionierter Produktion stammt, die Existenz hunderter Bauern auf Jamaika vernichtet. Insofern konnte sie, wie die meisten Diskutanten dem Motto der Konferenz nur zustimmen: "Fatal Global". (wop)