WTO-Ministerkonferenz in Mexiko:

Weltweite Proteste gegen Freihandel

Vom 10. bis zum 14.9. tagte im südmexikanischen Cancún die fünfte Ministertagung der Welthandelsorganisation WTO, und zwar wiedereinmal begleitet von weltweiten Protesten. Seit vor fast vier Jahren im Spätherbst 1999 im US-amerikanischen Seattle die Minister der Mitgliedsländer ergebnislos auseinandergingen, nach dem es zu massiven Protesten auf der Straße und unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen Nord und Süd im Konferenzsaal gekommen war, ist die WTO auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Keines ihrer größeren Treffen blieb seit dem von Protesten verschont, so auch diesesmal.

Auf allen fünf Kontinenten beteiligten sich soziale Bewegungen, Bauernorganisationen, Gewerkschaften und zum Beispiel auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac an einer Aktionswoche. In Deutschland gab es laut Attac Happenings und Kundgebungen in über 30 Städten, ein Überblick lag bei Redaktionsschluss allerdings weder aus dem Inland noch von den weltweiten Protesten vor. In Cancún hatte es verschiedene Gegenforen gegeben, sowie mehrere Demonstrationen. Dabei kam es auch zu einem tragischen Zwischenfall, als ein südkoreanischer Buernaktivist aus Protest gegen die Freihandelspolitik Selbstmord beging. Den größten Protestmarsch mit etwa 10.000 Teilnehmern gab es in Cancún am Samstag, den 13. Berichte von Teilnehmern berichten von einer trotz der internationalen Zusammensetzung hochorganisierten Demonstration, der es gelang, den massiven Zaun, der den Zugang zur Konferenz versperrte niederzureißen, ohne dass man es dabei allerdings auf Auseinandersetzungen mit der Polizei angelegt hätte. „Das niederreißen dieser Barrikaden ist für uns ein symbolischer Akt, der unsere Absicht demonstriert, die WTO zu Fall zu bringen“, meinte Rafael Alegría aus Honduras. Er ist Vorsitzender von Via Campesina, einem internationalen Netzwerk von Kleinbauern- und Landarbeiterorganisationen das maßgeblich an den Protesten beteiligt war.

Bei Redaktionsschluss war unklar, ob es in Cancún zu einer Einigung über die zahlreichen strittigen Fragen kommen würde, oder ob sich das Debakel von Seattle wiederholen würde. Bis zu letzt hatte es erbitterten Streit zwischen den Industriestaaten auf der einen und vielen Entwicklungsländern auf der anderen Seite gegeben. Dabei sah sich der Norden zum ersten Mal in der Geschichte internationaler Verhandlungen einem von Indien, China und Brasilien angeführten Bündnis gegenüber. Vor allem das Zusammengehen von Peking und Neu Delhi ist dabei eine kleine Sensation. Tokios, Washingtons und Brüssels Diplomaten hatte diese neue Einigkeit offensichtlich eine harte Nuss zu knacken gegeben.

Hauptziel der EU in den Verhandlungen ist es einerseits, ihre exorbitanten Agrarsubventionen zu verteidigen, die für andere Staaten, Entwicklungsländer vor allem, zum Problem werden, wenn die landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu Spottpreisen auf den Weltmarkt drängen. Andererseits geht es den 15 EU-Mitgliedern, die sich in Cancún von EU-Handelskommissar Pascal Lamy vertreten lassen, darum, Verhandlungen über die sogenannten Singapur-Themen zu beginnen: Wettbewerb, Investitionen, öffentliches Beschaffungswesen und Handelsabwicklung. Hinter dem Stichwort Investitionen verbirgt sich das Ziel der EU, ein Multilaterales Investitionsschutzabkommen ins Leben zu rufen, das die Rechte der international agierenden Konzerne absichern soll.

Ein Vorhaben, das bei vielen Entwicklungsländern, die zunächst die alten Probleme gelöst haben wollen, auf erbitterten Widerspruch stößt.«Die Profiteure dieser Agenda werden die großen Konzerne sein«, meint Alexandra Wandel, die für Europas größten Zusammenschluss von Umweltschutzverbänden, Friends of the Earth
Europe, die WTO-Verhandlungen verfolgt. »Die Verlierer sind die Gemeinden, kleine Unternehmen und die Umwelt.«

Um ihre Position in den Verhandlungen durchzusetzen, wirft die EU nicht nur ihr ökonomisches Drohpotential in die Waagschale, sondern kann vor allem die kleineren Ländern schon allein mit dem Umfang ihrer Verhandlungsdelegationen an die Wand drücken. Auf der WTO-Ministerkonferenz vor zwei Jahren in Doha zum Beispiel umfasste die EU-Delegation 508 Personen, 50 davon von der EU-Kommission. Japan hatte 159, Indonesien 60, die USA 52, Indien 48 Fachleute geschickt. Kleinere Entwicklungsländer wie Haiti konnten sich dagegen nur einen einzigen Diplomaten leisten; klar, dass diese gar nicht an allen wichtigen Treffen teilnehmen konnten.

Von manchen, den berüchtigten Greenroom-Meetings, sind sie zumeist sowieso ausgeschlossen. Auf denen handeln die »großen Vier« (Japan, die EU, die USA und Kanada) gemeinsam mit ausgewählten Entwicklungsländern Kompromisse aus, die dem Rest dann alternativlos vorgelegt werden. Und hilft das alles nichts, dann wird, wie in Doha geschehen, die Konferenz verlängert und ein Abschlussplenum von 36 Stunden Länge abgehalten. Mancher Minister eines Entwicklungslandes hatte zu dieser Zeit bereits seinen gebuchten Rückflug antreten müssen, so dass USA und EU schließlich ihre Position weitgehend durchsetzen konnten.              (wop)