WTO-Proteste in Italien:

“Stopp der WTO”

An fang September trafen sich am italienischen Gardasee die Außenminister der EU, um unter anderem über die eine Woche später tagende Konferenz der Welthandelsorganisation WTO im mexikanischen Cancún zu beraten. Für die italienischen sozialen Bewegungen war das Grund genug für ein anderes, soziales Europa und gegen die weitere Liberalisierung des Welthandels auf die Straße zu gehen.

Solch eine Demonstration hatte die norditalienische Region Trento seit 25 Jahren nicht gesehen. In der Nähe des Gardasees forderten am Samstag den 6. September, bei 30 Grad Hitze 20.000 Menschen ein soziales Europa und den “Stopp der WTO”. Viele Bürger standen interessiert am Straßenrand. Entgegen der Hetze in der überregionalen Mainstreampresse bekamen sie jedoch keine Krawalle geboten, sondern eine fröhlich-kämpferische Stimmung. Immer wieder wurde das Lied der Bewegung “Bella Ciao” gespielt.

“Man sollte vor den 15 Laufjungen der Konzerne Angst haben, und nicht vor der Bewegung”, brachte es ein Disobbediente auf den Punkt. Dass letztlich die Einheit der Bewegung gewahrt wurde, war in den letzten Wochen jedoch nicht sicher. Der Sprecher der Disobbediente Luca Cassarini hatte die Organisatoren des Alternativforums “Das Europa, das wir wollen” als zu lasch kritisiert. Gegen die Illegitimität des EU-Außenministertreffens seien Aktionen des zivilen Ungehorsams nötig. Die Bewegung hätte in den letzten Monaten genügend diskutiert.

Die Disobbedienti zogen ihre Blockadeaktionen dann auch durch. Einzelne Organiatoren des Gegenkongresses waren darüber sauer, auch weil sie befürchteten, dass das Forum dadurch in ein schlechtes Licht gerückt würde. Vitorio Agnoletto vom Genua Sozial Forum jedoch betonte immer wieder, dass die Einheit und die Pluralität der Bewegung eben auch bedeutet, dass die Aktionsformen der anderen akzeptiert werden, solange niemand dabei zu Schaden kommt. Auch Sprühaktionen mit “Stoppt WTO” und “Enteignet die Banken” verteidigte er gegenüber Presse.

“Brauchen wir einen Konsens, den uns die Medien vorschreiben? Wir brauchen eine Polizei, die nicht schießt und nicht schlägt”, meinte Cassari auf einer Podiumsdiskussion zur Frage der Aktionsformen. Die Aktionen der Disobbedenti, der Ungehorsamen, wollen die Illegalität der Gegenseite hervorheben. “Wir müssen die Legalität auf unsere Seite ziehen. Wir setzen uns für eine neue Demokratie ein”, formulierte er als Ziel der Disobbedienti. Um zu symbolisieren, dass man sich nicht spalten lässt, saß auf der Pressekonferenz der “Gruppe Kontinuiät des Europäischen Sozialforums”, wie sich die italienische Koordination nennt, Cassarini dann auch demonstrativ mit am Tisch.

Die italienische Bewegung wird am 3. und 4. Oktober wieder in Rom zusammenkommen, um gegen die EU-Regierungskonferenz zu protestieren, auf der über die neue EU-Verfassung verhandelt werden soll. Anders als in Deutschland gibt es in der Bewegung eine stärkere Kritik der EU-Verfassung. Sie wird abgelehnt. Einig ist man sich auch in der Forderung nach einem Rückzug der Besatzungstruppen aus dem Irak.
Auch die Kritik an der WTO steht auf breiteren Füßen. In vielen Kommunen wird die Forderung nach einer “GATS freien Zone” zum Teil Recht erfolgreich propagiert. GATS ist das Dienstleistungsabkommen der WTO, dessen Ausweitung, über die derzeit verhandelt wird, ein wesentlicher Hebel für weitere Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge werden könnte.

Auch in Österreich, so war auf dem Gegenkongress in Riva del Garda zu erfahren, gibt es auf lokaler Ebene zahlreiche Aktionen gegen GATS. “Wir sollten die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene gegen GATS und Privatisierungspolitik vorantreiben”, meinte Alexandra Strickner von Attac Österreich im Gespräch. Die GATS-Kampagne sei in Österreich zwar durchaus erfolgreich gewesen, so hätten sich 250 Gemeinden zur GATS-freien Zone erklärt, bewirkt hätte die Kampagne jedoch wenig. Das GATS sei nicht durch Lobbying zu verhindern. Die österreichischen Gewerkschaften bewegten sich nicht, vergleichbar dem Europäischen Gewerkschaftsbund, der das GATS sogar eher unterstützt. “Für die Interessen des Südens im Rahmen des GATS interessiert sich der EGB überhaupt nicht”, so Strickner.
Unterdessen feierten am Gardasee nach anstrengenden drei Tagen schließlich Tausende Aktivisten bis kurz vor Mitternacht auf einem Konzert, auf dem auch Musiker aus dem Ensemble Buena Vista Social Club aus Kuba auftraten.

(Sascha Kimpel)