Kieler Arbeitsloseninitiative:

Aufklären über neuste Schweinereien

LinX sprach mit Wolfram Otto von der Kieler Arbeitsloseninitiative über ein Landeserwerbslosenparlament und die bundesweite Demonstration gegen die „Agenda 2010“ am 1. November in Berlin. Das Gespräch führte Daniela Grant.

LinX: Ihr habt vor kurzem Flugblätter vor dem Arbeitsamt verteilt, wie die LinX berichtete. War die Aktion erfolgreich?

Wolfram Otto (W.O.): Erstmals seit Jahren wurde eine Info-Aktion dieser Art von den betroffenen Erwerbslosen voller Interesse aufgenommen. Wir informierten eine Woche lang gemeinsam mit der ver.di-Erwerbslosengruppe über anstehende Verschlimmerungen für Arbeitslose, z.B. die „Agenda 2010“, und warnten vor den gegenwärtigen Vorgehensweisen des Arbeitsamtes, das jetzt vermehrt mit unterschiedlichen Begründungen Sperrzeiten verhängt.So ist in der Öffentlichkeit und vor allem bei den Betroffenen nicht bekannt, dass die einzelnen Ämter sogar Vorgaben für die Anzahl der monatlichen Sperrzeiten haben. Wir trafen also nicht nur auf Interesse, sondern es kam auch zu intensiven Gesprächen.

LinX: Ich habe von einer Mitarbeiterin des Arbeitsamtes gehört, wie empört zum Teil Angestellte des Amtes über den provokativen Spruch auf Eurem Plakat waren, auf dem stand: „Wer glaubt, dass ein Arbeitsvermittler Arbeit vermittelt, der glaubt auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet“. So sei doch die Regierung in Berlin für die Kürzungen verantwortlich und nicht das Arbeitsamt in Kiel, das nur „ausführt“. Was sagst du zu dem Vorwurf?

W.O.: Um mit einer Plakatwand Menschen direkt zu erreichen, braucht man einen einprägsamen Slogan. Auf dem Plakat standen auch die  Arbeits- losenzahlen vom Hauptamt Kiel, und diese 20.230 wurden direkt gegenübergestellt den 1.750 gemeldeten offenen Stellen. Dies relativierte den Spruch insofern, dass klar wird, dass der einzelne Vermittler nur schwerlich vermitteln kann. Des Weiteren haben wir in allen Gesprächen mit Arbeitslosen und Angestellten des Arbeitsamtes darauf hingewiesen, dass wir nicht die einzelnen Mitarbeiter des Amtes angreifen wollen, sondern dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt. Dies muss aber besonders von den Betroffenen wie auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Amtes erkannt werden. Daher haben wir uns nicht vor den Reichstag gestellt. Nur von den Betroffenen vor Ort können Änderungen eingeleitet werden! Über die Politik der einzelnen Parteien ist nichts mehr zu erwarten.

LinX: Einen Tag später hatte der Betriebsrat des Amtes zu einer Mitarbeiterversammlung einberufen. Dort wurde gerade von den gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kritisiert, dass sie nicht über die Aktion von der Gewerkschaft informiert waren. Weißt Du, wie es dazu kam?

W.O.: Unsere Aktion sollte vorrangig für Betroffene sein. Die ver.di-Erwerbslosengruppe wollte diese Aktion eigenständig durchführen und sich nicht in Abhängigkeit von übergeordneten Gewerkschaftsstrukturen bringen. Des Weiteren hatte niemand mit dieser Reaktion gerechnet, da die weitergehenden Informationen auf der Plakatwand und den Handzetteln eigentlich klar machen sollten, welche Zielrichtung vorgesehen war. Ganz nebenbei waren die Kosten minimal, da das meiste in Eigenarbeit erstellt wurde und ver.di auch nur die Hälfte der geringen Kosten trug.

LinX: Ihr wollt ein Erwerbslosenparlamentes für Schleswig-Holstein gründen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es ein solches bereits, und es funktioniert. Wie ist der Stand der Vorbereitungen hierzulande?

W.O.: Ein Erwerbslosenparlament kann man als die Lobby und das Sprachrohr der Betroffenen bezeichnen. Vorab: dies war auch eine wichtige Information bei unserer Aktion und stieß auf offene Ohren. Bevor ein Erwerbslosenparlament einberufen wird, werden von den Initiatoren alle Vereine, Organisationen, Initiativen, Gruppen u.s.w. in Schleswig-Holstein, die sich mit Erwerbslosigkeit, Sozialhilfe und daraus resultierender Armut befassen, mit je einem Vertreter eingeladen, um einen Erwerbslosenbeirat zu gründen. Der Beirat beruft per Einladung das Erwerbslosenparlament ein und arbeitet Schwerpunkte aus, die dann Grundlage für die Parlamentsarbeit werden können. Das Parlament ist beschlussfähig für Resolutionen, die dann dem Landtag oder anderen jeweiligen Adressaten und der Presse übergeben werden. Insofern ist der Erwerbslosenbeirat in den relevanten Fragen als Gegengewicht zur Landesregierung zu betrachten. Die entsprechenden Gruppen sind inzwischen von uns angeschrieben worden, und wir warten auf Rückmeldungen, um einen Termin festzulegen. Noch ist also alles offen. Wir hoffen, dass nun endlich ein Ruck durch Schleswig-Holstein geht! In absehbarer Zeit kann es sonst zu spät sein, die Abschaffung des Sozialstaates zu verhindern.

LinX: Habt ihr noch andere Veranstaltungen in der Planung?

W.O.: Natürlich müssen wir in dieser Zeit ständig über die gegenwärtige Flut von Gesetzesentwürfen informieren. Ein wichtiger Termin ist für uns die Diskussionsveranstaltung mit Professor Rainer Roth am 24.10.2003 um 19.00 Uhr in der Räucherei, die wir gemeinsam mit der Gruppe „Klartext“ organisieren. Rainer Roth von der Fachhochschule für Sozialwesen in Frankfurt am Main ist Verfasser des Buches „Nebensache Mensch -  Arbeitslosig- keit in Deutschland“, ein neues Standardwerk über Hintergründe unserer gegenwärtigen Probleme. Er wird über die allerneusten „Schweinereien“ im Sozialen berichten und die Ursachen hierfür mit den Fakten aus seinem Buch belegen. Es soll dann mit den Anwesenden und wohl auch Betroffenen hierüber diskutiert werden. Auch diese Veranstaltung soll hinführen zu einem Erwerbslosenparlament.

LinX: Im ver.di-Bezirksvorstand haben wir kürzlich über die bundesweite Demonstration am 1. November in Berlin gegen die „Agenda 2010“ diskutiert. Auch aus Kiel werden einige nach Berlin fahren, auch wenn wir keine Massen mobilisieren können. Ruft Ihr zur Teilnahme auf und haben die Arbeitslosenverbände in Berlin eventuell Aktionen geplant?

W.O.: Natürlich steht ein Aufruf auf unserer homepage: www.aloini-kiel.de, und wir informieren in unserem Zentrum, doch leider können wir keine Busplätze vermitteln, ver.di hält sich in dieser Sache sehr bedeckt, wäre dafür aber als zuständig anzusehen! Einen Tag vor der Demo, am Reformationstag, ist ein Reichstagsanschlag geplant. Erwerbslose werden aktuelle Thesen zum Sozialabbau an die Reichstagstür anschlagen.

LinX: Du bist immer noch optimistisch, dass Du die Welt verändern kannst?

W.O.: Nein, ich will nicht die Welt verändern, ich möchte nur einen gesellschaftlichen Zustand erreichen, in dem ich mit glücklichen Menschen glücklich sein kann, ohne Zwänge und mit einer absolut ausreichenden Existenzabsicherung für alle, die nicht vom Kapitalinteresse Einzelner bestimmt wird.

LinX: Danke für das Gespräch.

Grundsicherung für alle Arbeitslosen

Diejenigen, die das Problem Arbeitslosigkeit verursachen, sollen auch dafür zahlen. Wenn es dem Kapital nicht möglich ist, die produktiven Kräfte der arbeitenden Menschen zu nutzen, dann soll es wenigstens dafür aufkommen, dass sie einigermaßen anständig leben können. Und zwar ohne den Vorwurf, sie hätten ihre Lage selbst verursacht. Deshalb müsste allen Arbeitslosen für die volle Dauer der Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld bezahlt werden. Das Arbeitslosengeld muss ausreichen, um die durchschnittlichen Lebensbedürfnisse zu decken. Es muss über der heutigen Sozialhilfe liegen. Warum sollen Arbeitslose für die Ineffizienz des ganzen Wirtschaftssystems bluten? Nicht sie haben versagt, sondern das Kapital. Ein ausreichendes Arbeitslosengeld würde die Arbeitsfähigkeit eher erhalten und die gesundheitliche und psychische Belastung reduzieren. Die Konkurrenz unter den Arbeitskräften wäre abgemildert. Der Druck auf das Lohnniveau wäre geringer. (Zitat aus: “Nebensache Mensch” von Rainer Roth)