Erste ver.di-Nabelschau mit Appell zur Tarifautonomie beendet

Der erste ver.di - Bundeskongress ist am vergangenen Samstag zu Ende gegangen. In sechs Tagen hatten die rund 1000 Delegierten 1300 Anträge zu entscheiden. Außerdem standen die Wahlen zum Bundesvorstand und zum Gewerkschaftsrat, dem höchsten Gremium zwischen den Bundeskongressen, auf dem Programm.
Einzige Überraschung bei den Wahlen zum Vorstand war die Abwahl der Vorsitzenden des Fachbereichs 3 (Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt, Kirchen) Beate Eggert, die ohne Gegenkandidatin lediglich 48% der Stimmen erhielt. Sie erhielt die Quittung für ihre auf Konsens mit der Bundesregierung ausgerichtete Haltung im Bereich der Gesundheitspolitik. Neue Vorsitzende des Fachbereichs wurde Ellen Paschke, die bislang stellvertretende Vorsitzende des Landesbezirks Nord in Lübeck war. In den 105 Mitglieder zählenden Gewerkschaftsrat wurde die Kielerin Monika Segler gewählt.

Frank Bsirske hatte zur Eröffnung des Kongresses zwar deutliche Kritik an der Politik der Bundesregierung geübt, konkrete gewerkschaftliche Gegenmaßnahmen wie sie beispielsweise erfolgreich in vielen europäischen Ländern in Form von Flächenstreiks gegen Sozialkürzungen praktiziert wurden aber nicht gefordert. Er rechtfertigte sogar das weitgehend positive Votum der ver.di-Vertreterin zu den Vorschlägen der Hartz-Kommission.

Neben den obligatorischen Grußworten von Vertretern aller im Bundestag vertretenden Parteien berichtete eine kolumbianische Gewerkschafterin über die gefährliche Lage für Gewerkschafter in ihrem Land. Sadik Özben von einer türkischen Gewerkschaft machte den Kampf der beim Handelsunternehmen METRO Beschäftigten gegen Diskriminierung in der Türkei zum Thema. Zur Verwunderung vieler Delegierter durfte auch der Präsident des Deutschen Sportbundes, Manfred von Richthofen, auf dem Kongress sprechen. Während die Reden von Joschka Fischer und Franz Müntefering von lautstarken Protesten begleitet wurden, änderten die Delegierten bei Angela Merkel ihre Taktik und ertrugen ihre Rede, in der sie erneut für betriebliche Bündnisse, in denen Bezahlungen unter Tarif vereinbart werden sollten warb, mit eisigem Schweigen.

Auch der Bundesvorsitzende der Grünen Reinhard Bütikofer äußerte sich zu den Angriffen gegen den Flächentarifvertrag von Bundesregierung und Opposition. Er erklärte auf Nachfrage, Eingriffe des Gesetzgebers in die Verbindlichkeit von Tarifverträgen seien nur dann nicht notwendig, wenn die vorhandenen Spielräume für betriebliche Regelungen ausgenutzt würden. "Ich sehe dazu gar keinen Diskussionsbedarf mehr, wenn uns dies nicht gelingt, weil wir dann in dieser Frage weggeblasen werden".

Der Delegierte Wolfgang Gröft hatte zuvor darauf hingewiesen, dass beispielsweise die Landesregierung Nordrhein-Westfalens anstrebt, die Aushebelung der Tarifautonomie durch eine gesetzliche Regelung von betrieblichen Bündnissen zu betreiben. "Was ist mit unserer Kampagnenstrategie, wenn diese Attacke Gesetzeskraft erreicht? Sie steht kurz davor. Sind wir dann in der Lage zu sagen: Wir geben nicht auf? Ich bin der Auffassung, dass es in diesem Punkt entscheidend auch darauf ankommt, dass wir unseren Widerstand, unsere Haltung und unseren Kampf noch mehr politisieren."

Heftig gestritten wurde über die innere Organisation der Gewerkschaft, die seit ihrer Gründung rund eine viertel Million Mitglieder verloren hat. Die  Gewerkschafts- führung verhandelt derzeit mit dem Betriebsrat über den Abbau von 800 Stellen und strebt eine pauschale Gehaltskürzung von 10% in Verbindung mit einem  ent- sprechenden Freizeitausgleich für die rund 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, um das Haushaltsdefizit von 66 Millionen Euro abzubauen. Flankierend hatte der Gewerkschaftsrat ein 25 Seiten starken Antrag eingebracht und vom Kongress absegnen lassen, der über weite Strecken eher vage weitere Einsparpotentiale benennt. Gefordert wird beispielsweise in Einzelfällen die Zusammenlegung von Fachbereichen auf Bezirksebene. In nicht veröffentlichten Ausführungen zum Antrag wird die Schließung aller Bezirksgeschäftsstellen gefordert, in denen weniger als 10.000 Mitglieder organisiert sind. Angenommen wurde auch ein Antrag der BundesarbeiterInnenkonferenz, der dazu auffordert, den Widerstand gegen die Agenda 2010 fortzuführen, "auch kosmetische Korrekturen, Bauernopfer und schlechte Presse dürfen nicht zu einer Verwässerung der Haltung führen".

Nachdem sich der Bundesvorstand wochenlang geziert hatte und keinen Beschluss zur Unterstützung der Demonstration gegen den Sozialabbau am 1. November fassen wollte, haben das die Delegierten kurz vor Konferenzende übernommen. Sie forderten einstimmig alle 2,6 Millionen Mitglieder zur Teilnahme auf. Der nächste Bundeskongress findet 2007 statt. (mk)