Rentenrevolte in Italien:

Generalstreik gegen Sozialabbau

Heute sind in Italien die Straßen und Plätze voll und die Fabriken leer“. So kommentierte Savino Pezzotta, Vorsitzender der Gewerkschaft CISL, am 24. Oktober den geglückten Generalstreik gegen die Rentenreform der Berlusconi-Regierung. Tatsächlich war es der CISL gemeinsam mit den beiden anderen Verbänden CGIL und UIL gelungen, für vier Stunden das gesamte Land lahmzulegen. Gleichzeitig gingen nach Angaben der Gewerkschaften in rund hundert italienischen Städten insgesamt über 1,5 Millionen Menschen auf die Straße. Die größte Demonstration fand in Mailand statt, wo gut 200.000 Teilnehmer dem Gewerkschaftsaufruf folgten. Auch in Rom, Neapel und Bologna protestierten jeweils rund 100.000 Menschen gegen die Rentenkürzungen.

Die Reform der Regierung sieht bis 2008 eine Anhebung des Rentenalters von derzeit 60 auf 65 Jahre vor. Ansonsten soll nur in Pension gehen dürfen, wer bereits 40 Jahre gearbeitet hat. Bereits ab dem nächsten Jahr will die Regierung allen, die früher aufhören, die Renten empfindlich kürzen. Laut Ministerpräsident Silvio Berlusconi sei das jetzige Rentenniveau in Italien wegen der stetig älter werdenden Bevölkerung nicht zu halten. Der Gesetzentwurf soll schon im Dezember verabschiedet werden. Allerdings lehnen nach Angeben des Umfrageinstitutes Demoskopea 59 Prozent der Italiener die Renten“reform“ ab.

Luigi Angeletti, Chef der Gewerkschaft UIL, forderte auf einer Kundgebung in Neapel die Regierung auf, die Rentenpläne „vollständig zurückzunehmen“. Die Argumentation der Regierung sei nicht haltbar. Die Sozialsysteme seien durchaus weiter finanzierbar, wenn „die Beiträge für Unternehmer und Selbständige erhöht werden“. Verhandlungen mit der Regierung lehnte Angeletti ab, solange diese am Entwurf festhält. Mit der Streikbeteiligung zeigten sich die Gewerkschaften sehr zufrieden. Über 80 Prozent der Beschäftigten seien ihrem Aufruf gefolgt. „Wir erhalten aus allen Städten erfreuliche Meldungen, es beteiligen sich mehr, als wir selbst erwartet haben“, sagte Savino Pezzotta, Vorsitzender der Gewerkschaft CISL, am Rande der Demonstration in Rom. Am Vormittag waren alle Geschäfte geschlossen geblieben, die Züge saßen in den Bahnhöfen fest, und über 150 Flugzeuge mussten am Boden bleiben. Selbst die Lufthansa musste 26 Flüge zwischen Italien und Deutschland streichen. In einzelnen Bereichen, wie dem öffentlichen Dienst, der während des gesamten Tages streikte, wurde die Arbeit von fast hundert Prozent der Angestellten niedergelegt. Der Unternehmerverband "Confindustria” behauptete hingegen eine Streikbeteiligung von "höchstens einem Drittel” der Beschäftigten. Allerdings hatten einzelne Unternehmen bereits sehr viel höhere Ausstände eingeräumt. Laut der Unternehmensleitung von FIAT legten 70 Prozent ihrer Angestellten die Arbeit nieder.

Giuglielmo Epifani, Chef der größten Gewerkschaft CGIL, kritisierte die Berichterstattung des staatlichen Fernsehens RAI, das darauf verzichtet hatte, direkt von den Demonstrationen zu berichten. „Warum will die RAI unsere Argumente nicht darstellen? Weil die Regierung Angst vor uns hat“, so Epifani während der Kundgebung in Bologna. Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Berichterstattung ist eine Fernsehansprache von Berlusconi zur Rentenreform. Dieser hatte Ende September alle Fernsehkanäle in Italien gleichschalten lassen, um rund zehn Minuten Werbung für seine Rentenpläne zu machen. Die Gewerkschaften müssen sich dagegen weiter auf ihre Mobilisierungskraft verlassen. „Unsere gleichgeschalteten Kanäle sind die Straßen“, stand deshalb auf dem Transparent an der Spitze der Demonstration in Florenz.

Unterstützt wurden die Streikenden auch von den sozialen Bewegungen. Francesco Caruso, Sprecher des italienischen „no-global“-Netzwerkes, sagte, die Globalisierungskritiker würden sich überall an den Demonstrationen der Gewerkschaften beteiligen, „um auch die Arbeitslosen und prekär Beschäftigten mit einzubeziehen und eine gemeinsame Front gegen die Regierung zu bilden“. Übereinstimmend kündigten die Vorsitzenden aller drei Gewerkschaftsverbände weitere Kampfmaßnahmen an; sie planen u.a. eine zentrale Massendemonstration. „Wir werden so weitermachen, wenn die Regierung ihre Pläne nicht zurücknimmt. Die Einheit und die Kraft dieses Tages wird sich fortsetzen“, sagte Giuglielmo Epifani in Bologna. Pezzotta betonte: „Die Regierung soll nicht denken, dass wir jetzt aufhören. Wir werden weitere Initiativen starten, in der nächsten Woche wird es einige Überraschung geben.“Bei solchen Ankündigungen verwundert es nicht, dass die italienischen Unternehmer nach Deutschland schielen. Hier gelangte am gleichen Tag der Entwurf der Regierung zur Rentenkürzung zur ersten Lesung in den Bundestag – ohne dass sich Proteste regten. „Ich wünsche mir deutsche Verhältnisse, wo solche Reformen ohne Demonstrationen und Streiks möglich sind“, hatte bereits am Dienstag der Tageszeitung La Repubblica zufolge Antonio Amato, Präsident des italienischen Unternehmerverbandes „Confindustria“, erklärt. Den deutschen Gewerkschaften sollte das zu denken geben.

(Damiano Valgolio, entnommen der jungen Welt vom 25. Oktober)