Kommentar:

Kleinarbeit

Schlimmer geht's nimmer, denkt man dieser Tage oft, wenn man über die sozialen Grausamkeiten der real regierenden großen Koalition liest, nur um einen Tag später eines Besseren belehrt zu werden. Erst die Kranken, dann die Erwerbslosen, aktuell mal wieder die Rentner und zwischendurch wird ein bisschen über die (weitere) Einschränkung des Streikrechts sinniert. Kaum haben sich SPD und Grüne darauf geeinigt, die Renten – erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik – im nächsten Jahr zu kürzen und Akademikern die Anrechnung von Schule und Studium zu streichen, da meinen die Unternehmerverbände, mal so richtig den Asozialen raushängen lassen zu können. Bei den Witwen- und Waisenrenten gäbe es ein Einsparpotenzial von 18 Milliarden Euro jährlich verkündet ihr Vertreter in der Rentenkasse.

Was lehrt uns das? Dass in diesem Land nur zwei Dinge heilig sind: 1. Die Zinsen, die Banken und Anleger vom Staat auf die Schulden der öffentlichen Haushalte kassieren. Wären diese deutlich niedriger, rechnen Ökonomen vor, wäre der Staatshaushalt ausgeglichen oder hätte gar einen Überschuss. Mit anderen Worten: Der ganze vermeintliche Sparzwang ist allein eine Frage der hohen Zinsen. 2. Niedrige Lohn“neben“kosten. Die Kapitalisten drücken mit aller Gewalt die Sozialabgaben nach unten, von denen sie die Hälfte zahlen müssen, um ihren Wettbewerbsvorteil auf dem Weltmarkt weiter ausbauen zu können. Diesen Sommer hat Deutschland die USA überrundet und ist nunmehr wieder weltweit größter Exporteur.

Um diese Stellung zu behaupten und die Profite weiter kräftig sprudeln zu lassen, wird einem nach dem anderen das Fell über die Ohren gezogen. Der Widerstand dagegen kommt – immerhin – langsam, sehr langsam in Fahrt. Der bundesweite Aktionstag am 20. Oktober war ein erster Schritt, die zentrale Demonstration in Berlin am 1. November wird hoffentlich ein weiterer sein. Das viel mehr möglich ist, haben wir in diesem Jahr bei den Nachbarn in Frankreich, Österreich und zuletzt in Italien gesehen. Doch gewaltige Streiks und breite Bündnisse, die in diesen Ländern bereits an den Stühlen der Regierungen sägen, entstehen nicht über Nacht, und sie sind mit Sicherheit nicht die Arbeit einsamer Gewerkschaftsvorstände. Vielfältige und zähe Arbeit in den Kommunen ist dafür notwendig, der Aufbau lokaler Bündnisse und Netzwerke, viel aufklärerische Kleinarbeit, die auf unzählige Schultern verteilt werden muss, und nicht zuletzt auch eine Kultur des Widerstandes. Und da gäbe es gerade in Kiel noch viel zu tun. (wop)