Nach der Sozialabbau-Demo:

Weitere Aktionstage vorbereiten?

Bernd Riexinger ist ver.di-Bezirksgeschäftsführer in Stuttgart und aktiv im Netzwerk der Gewerkschaftslinken. In Stuttgart gibt es bereits seit längerem zahlreiche betriebliche Aktionen gegen den Sozialabbau der Bundesregierung, woran Riexinger maßgeblichen Anteil hat. Wir sprachen mit ihm über die Demo der Hunderttausend am 1. November in Berlin. (Das Interview erschien zuerst in der jungen Welt.)    (wop)

LinX: Mit 100.000 Teilnehmern übertraf die Demonstration gegen Sozialabbau und „Agenda 2010“ am Samstag in Berlin die meisten Erwartungen. Wie geht es weiter?

Bernd Riexinger (B.R.): Die Demo hat gezeigt, dass der Protest noch viel stärker ausgeweitet werden kann. In der Bevölkerung sind viele gegen die herrschende Politik des Sozialabbaus und die Stimmung kippt eindeutig. Nach der Demo muss es in drei Richtungen weiter gehen: Zum einen muß es mehr Aktionen auf der betrieblichen und Regionalen Ebene geben. Die Arbeitsniederlegungen in vier Metallbetrieben und die Kundgebungen in 16 Stuttgarter ver.di-Betrieben haben gezeigt, dass so etwas möglich ist, wenn die örtlichen Gewerkschaftsführungen und die Akteure in den Betrieben wollen. Die Politik muss verstärkt in die Betriebe getragen werden. Zum zweiten ist der geplante europäische Aktionstag im März wichtig. Das wäre eine Gelegenheit, sich gemeinsam zu wehren, und zu zeigen, dass man sich nicht mit Dumpingpolitik gegeneinander ausspielen lässt. In ganz Europa ist die Situation für Arbeitslose und Beschäftigte ähnlich: der Neoliberalismus hat überall das Sagen. Wenn in allen großen Städten auf dem ganzen Kontinent demonstriert wird, hätte das erheblichen symbolischen Wert, ganz praktischer Internationalismus sozusagen. Zum dritten muss die Aufklärungsarbeit verstärkt werden. Auf der Demo waren auch sehr viele Leute, die nicht unbedingt zur Linken gehören. Das zeigt, dass es ein erhebliches Potential gibt. Alternativen müssen aufgezeigt werden, und dabei sollte man auch nicht mit grundsätzlicher Kritik am Shareholder-Kapitalismus geizen.

LinX: Der europäische Aktionstag existiert bisher nur als Vorschlag, der in zwei Wochen in Paris auf dem Europäische Sozialforum diskutiert werden soll. Von wem wird die Idee getragen?

B.R.: Soweit ich das überblicke, hierzulande vor allem von den Organisatoren der Demo. Bisher wurde das nur im kleinen Kreise diskutiert, aber überall wo man davon erzählt, gibt es großen Zuspruch. Die Zeit ist wirklich reif dafür.

LinX: Die Spitzen der DGB-Gewerkschaften haben die Demo entweder gar nicht unterstützt, oder erst sehr spät. Wird der große Erfolg vom Samstag ein Umdenken bewirken?

B.R.: Man kann die Vorstände nicht über einen Kamm scheren. Es gibt verschiedene Strömungen, und zwar nicht nur an der Spitze, sondern das geht bis in die betriebliche Ebene herunter. Die einen wollen keinen Protest und wollen den Bruch mit der rot-grünen Regierung vermeiden. Die anderen wollen sich wehren, sind aber verunsichert. Denen hat die Demo den Rücken gestärkt. Die Beschlüsse der Gewerkschaftstage der IG Metall und von ver.di haben gezeigt, dass zumindest eine Mehrheit der Delegierten dieser beiden großen Verbände die Proteste unterstützt. Wichtig ist aber auf jeden Fall, daß die Ebene der Vertrauensleute und Ortsverwaltungen von den Protesten ergriffen wird. Dort sind in den letzten Monaten viele wegen der Verunsicherung und des Gegenwindes, der allen Kritikern ins Gesicht bläst, abgetaucht. Die Demo bringt für diese Leute Auftrieb.

LinX: Was muss konkret in den nächsten Monaten laufen?

B.R.: Wir brauchen vor allem betriebliche Aktionstage, und zwar im Vorfeld des europäischen. Wenn die Angriffe gegen die Tarifautonomie fortgesetzt werden, dann werden die Gewerkschaften am geschlossensten mobilisieren. Allerdings müssen die Proteste gegen das ganze Sozialkahlschlag-Paket gerichtet sein. Wir müssen verdeutlichen, dass die ganze Richtung falsch ist.Das Problem ist bisher noch, dass die diversen örtlichen betrieblichen und anderen Initiativen nicht gebündelt auftreten. Dadurch sind die Proteste in der Öffentlichkeit nicht genügend sichtbar und zu wenig schlagkräftig. Wenn die Gewerkschaftsvorstände nicht die Voraussetzungen für die Koordination der Proteste schaffen, dann muss man ein Netzwerk der örtlichen Gruppen schaffen, die die Proteste in und außerhalb der Betriebe organisieren.